Digitalisierung und Lernen (E-Book). Erik Haberzeth
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Solche Unwägbarkeiten treten in nahezu sämtlichen Arbeitsprozessen auf, und Tätigkeiten, die auf den ersten Blick als standardisierbar und formalisierbar erscheinen, erweisen sich bei genauerer Betrachtung als höchst widerständig (vgl. Pfeiffer, Suphan 2015). Daher fällt es schwer, einzelne Tätigkeiten und Aufgaben pauschal als digitalisierbar auszuweisen, und ebenso ist es umgekehrt eher nur in Ausnahmefällen möglich, bestimmte Tätigkeiten und Aufgaben als grundsätzlich nicht digitalisierbar zu bestimmen. Realistisch erscheint vielmehr ein «mehr oder weniger». Folgt man einer solchen Diagnose und Prognose, wird die Frage virulent, in welcher Weise es in unterschiedlichen Arbeitsbereichen jeweils zu bestimmten Konfigurationen zwischen der Digitalisierung und menschlicher Arbeit kommt beziehungsweise diese zukünftig notwendig werden. An die Stelle der Ersetzung menschlicher Arbeit durch Technik oder der Beherrschung und Steuerung der Technik durch den Menschen tritt demnach die «Kooperation» zwischen Mensch und Technik. Paradigmatisch hierfür ist das Konzept der «verteilten» beziehungsweise hybriden Handlungsträgerschaft zwischen Mensch und Technik (vgl. Rammert 2009, Huchler 2018).
Soll verhindert werden, dass sich die nicht ersetzbare, notwendige menschliche Arbeit erst im Nachhinein bei dem praktischen Einsatz technischer Systeme zeigt – so wie dies in der Praxis oft der Fall ist –, wäre es notwendig, bereits prospektiv Grenzen der Digitalisierung zu thematisieren und die Auslegung der technischen Systeme nicht an der Vision der Automatisierung, sondern am Konzept der wechselseitigen Ergänzung von Mensch und Technik und der Nutzung ihrer jeweiligen Stärken auszurichten (Huchler 2018). Den diskutierten Grenzen der Digitalisierung und den Perspektiven einer verteilten Handlungsträgerschaft von Mensch und Technik wäre dann auch in der beruflichen Bildung und speziell in der Weiterbildung Rechnung zu tragen.
4Konsequenzen für die Weiterbildung
Zu unterscheiden ist zwischen der von öffentlichen oder privaten Trägern sowie Unternehmen angebotenen Weiterbildung in schulischen Einrichtungen wie Seminaren oder Kursen zum einen und der Weiterbildung unmittelbar im Arbeitsprozess im Sinne eines arbeitsintegrierten Lernens und eines Lernens durch Arbeit zum anderen. Wir bezeichnen Ersteres als formelle Weiterbildung und Letzteres als Lernen im Arbeitsprozess.
4.1Formelle Weiterbildung
Es ist eine wichtige Aufgabe der beruflichen Weiterbildung, Kenntnisse für den Umgang mit den verschiedenen, auf Digitalisierung beruhenden Technologien zu vermitteln (Boes et al. 2012). Für unterschiedliche Arbeitsbereiche und Tätigkeiten ergeben sich dabei neben allgemeinen Grundkenntnissen jeweils besondere Anforderungen wie die Arbeit in Netzwerken, die Interaktion mit komplexen teilautonomen Systemen, Statistikkenntnisse im Umgang mit Big Data, Mustererkennung und lernenden Systemen/KI, Umgang mit Assistenzsystemen der «Entscheidungsvorbereitung» (Decision Support Systems) und so weiter.
Vor dem hier diskutierten Hintergrund wäre es jedoch notwendig, im Rahmen der formellen Weiterbildung auch Grenzen der Digitalisierung zu thematisieren und die damit verbundenen Anforderungen an Arbeit sichtbar zu machen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die genannten Grenzen der Digitalisierung vielfach erst beim praktischen Einsatz der jeweiligen technischen Systeme sichtbar werden. Zu unterscheiden ist daher zwischen explizit definierten Anforderungen an menschliche Arbeit, wie z. B. die Auswahl von Programmen, das Controlling von festgelegten Prozessen, das Anfahren komplexer technischer Anlagen und deren Überwachung, und den eher implizit im praktischen Einsatz auftretenden Anforderungen, wie bspw. das Erkennen der Entstehung von Fehlern und Gefahrenquellen, Abweichen vom Standard, Gegensteuerung bei Unregelmäßigkeiten, bevor hierzu exakte Informationen vorliegen etc.
Neben der Diskussion der grundlegenden Methodik und Logik der Digitalisierung und ihrer Grenzen wären auch Erfahrungen aus der Praxis einzubeziehen, wobei die jeweiligen Erfahrungen der Teilnehmenden eine wichtige Informationsquelle sein könnten. Schwierigkeiten beim Umgang mit «neuen» Technologien wären dementsprechend nicht vorschnell als individuelle Defizite oder lediglich als Frage der Gewöhnung abzutun. Sie sind vielmehr aufzugreifen und es ist darüber zu diskutieren, in welcher Weise hier Anforderungen an menschliche Arbeit sichtbar werden, die bei der Auslegung der technischen Systeme nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
Korrespondierend mit der Diskussion über Grenzen der Digitalisierung und verteilte Handlungsträgerschaft wäre ein weiterer notwendiger thematischer Schwerpunkt menschliche Fähigkeiten und Handlungsweisen, so wie sie zuvor mit dem Konzept des subjektivierenden Handelns umrissen wurden. Die bisher vorherrschende einseitige Orientierung am Modell des objektivierenden Handelns und wissenschaftlich begründeten Fachwissens ist entsprechend zu ergänzen. Dabei geht es nicht um eine Ersetzung, sondern um die Erweiterung objektivierenden Handelns und Wissens. Wie zuvor ausgeführt weist das subjektivierende Handeln eine besondere Systematik auf; es beruht bei der Erreichung von Zielen und Lösung von Problemen auf einer besonderen Ausprägung des Vorgehens, der Wahrnehmung, des Denkens und der Beziehung zur Umwelt sowie deren wechselseitigen Zusammenhang. Dabei handelt es sich zwar um grundlegende menschliche Fähigkeiten, sie müssen aber ebenso wie die Fähigkeit zu einem objektivierenden Handeln entwickelt, gefördert und gelernt werden. Im Folgenden sind die grundlegenden Merkmale des subjektivierenden Handelns und seine Unterschiede zum objektivierenden Handeln nochmals systematisch dargestellt.
Abbildung 1: Objektivierendes und subjektivierendes Handeln; Quelle: Böhle u. a. 2011; Böhle u. a. 2004
Wie die hierzu vorliegenden Untersuchungen zeigen, erlangt das subjektivierende Handeln in unterschiedlichen Arbeitsprozessen eine jeweils besondere, konkrete Ausprägung und muss ebenso wie das objektivierende Handeln an die Veränderungen von Produkten, Materialien, Verfahren und Technologien angepasst werden. Im Rahmen formeller Weiterbildung ist es jedoch nur begrenzt möglich, diese konkreten Fähigkeiten zu erwerben. Vielmehr ist hierfür ein besonderes erfahrungsgeleitetes Lernen im Arbeitsprozess erforderlich, auf das wir im Folgenden noch näher eingehen. Gleichwohl ist respektive wäre es notwendig, auch im Rahmen formeller Weiterbildung darauf vorzubereiten und das Verständnis für die hier maßgeblichen menschlichen Fähigkeiten zu fördern. Ein erster Schritt dazu ist die Vermittlung vorliegender wissenschaftlicher Erkenntnisse, so wie sie zuvor umrissen wurden. Ein Beispiel für die Entwicklung von allgemeinen Fähigkeiten zu subjektivierendem Handeln ist die Schulung der Imaginationsfähigkeit auf der Grundlage eigener sinnlicher Erfahrungen. Beim Lesen eines Wortes, wie beispielsweise Bahnhof, soll möglichst konkret eine visuelle Vorstellung über einen bestimmten Bahnhof entstehen bis hin zur Imagination eines Rundgangs oder Einkaufs in Geschäften– «wie in einem Film». Dies kann auch auf die Imagination von Arbeitssituationen, sowohl der eigenen als auch der von Kolleginnen und Kollegen oder Kundinnen und Kunden, angewendet werden. Weitere Hinweise hierzu finden sich etwa im Modell erfahrungsgeleiteten Lernens im Rahmen beruflicher Bildung in der chemischen Industrie (vgl. Bauer et al. 2006) sowie bei Modellen zu erfahrungsgeleitetem Lernen im Rahmen von Innovationsprozessen (vgl. Bauer et al. 2012). Dabei zeigt sich, dass in besonderer Weise künstlerische Lernarrangements für die Entwicklung der Fähigkeiten zu subjektivierendem Handeln geeignet sind und hierfür grundlegende Erfahrungsmöglichkeiten eröffnen (vgl. Trobisch, Kraft 2018).
4.2Lernen im Arbeitsprozess
Grundlegend für den Erwerb der Fähigkeiten für ein subjektivierendes Handeln ist – wie schon erwähnt – ein erfahrungsgeleitetes Lernen, das mit den Merkmalen subjektivierenden Handelns korrespondiert (vgl. Bauer, Munz 2004). Auf das Lernen