Systemische Professionalität und Transaktionsanalyse. Bernd Schmid
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1.7 Systemlösungen
Welche Perspektiven müssen wie zusammen gefügt werden, damit für ein System (eine Organisation) verantwortliche, wirksame und alltagstaugliche Lösungen zustande kommen? Hierbei geht es um pflegbare Gesamtlösungen und nicht um die modisch wechselnde Optimierung von Teillösungen. Die Systemperspektive ist auch dann einzufordern, wenn man sich auf Teilperspektiven spezialisiert hat. Insofern leisten systemische Ansätze einen Beitrag zur Verantwortungskultur in Organisationen.
Ein Beispiel hierfür ist die integrierte Betrachtung von personen- und systemqualifizierenden Maßnahmen, damit nicht eine Seite hochgezüchtet wird um letztlich am Engpass der anderen zu scheitern.
1.8 Komplexität und Professionskultur
Aus systemischer Perspektive ist professionelles Handeln in Training und Beratung also immer komplex und bedarf hoher Komplexitätskompetenz. Hierzu gehören die Beachtung von zirkulären Wirkungszusammenhängen in vielfach vernetzten Systemen ebenso wie vielschichtige (und hoffentlich konstruktive) Ankoppelungen an sich selbstorganisierende, »eigen-sinnige« Systeme. Zu viel Komplexität bewusst-methodisch berücksichtigen zu wollen, führt zu Handlungsunfähigkeit oder Aktionismus. Zu wenig Komplexität ins Kalkül zu ziehen, führt zu oberflächlichen Vorgehensweisen, die dann eben nicht die erhofften Wirkungen und dazu noch unerwünschte Nebenwirkungen zeigen. Was wann wie angezeigt ist, kann nicht in Form von Regeln, sondern eher in der qualifizierten Auseinandersetzung mit der Vielfalt eigener Praxis, z.B. in der kollegialen Supervision gelernt werden. Hierzu braucht es ein Professionsverständnis, das selbstverständlich lebenslanges gemeinsames Lernen mit einschließt. Es bedarf auch der Beheimatung in einer professionellen Gemeinschaft mit systemischer Professionskultur, in der die notwendigen Kompetenzen erworben und gegenseitig zur Verfügung gestellt werden.
1.9 Systemische Lernkultur
Eine Professionalisierung aus systemischer Perspektive muss den oben dargestellten Perspektiven Rechnung tragen. Dies gilt für das »Was«, mehr noch aber für das »Wie« einer Weiterbildung. Die zu einer stabilen systemischen Lernkultur führende systemische Didaktik ist ein komplexes Netz von Vorgehensweisen, das systemische Erfahrungen, Reflexionen von einem Metastandpunkt aus und Einübung konkreter Interventionsfiguren integriert. Das »Systemische« liegt auch darin, Perspektivenflexibilität, Rollenvielfalt, aber auch Rollendisziplin zu üben. Im ständigen Dialog zwischen bewusst-methodischen und intuitiven Vorgehensweisen wird die Kulturbegegnung der beteiligten Systeme und der gemeinsame Wirklichkeitsschöpfungs-Prozess reflektiert und steuerbar gemacht. Systemische Lernkultur heißt auch, eine zur persönlichen Wesensart und Lebensorientierung passende, professionelle Identität und Professionskultur zu entwickeln. Systemische Konzepte bleiben ohne Kulturbildung durch systemische Didaktik und ohne darauf ausgerichtete Persönlichkeitsentwicklung aufgepfropfte Modeinhalte.
1.10 Klassische systemische Vorgehensweisen
Mit den bisherigen Beschreibungen wäre dargestellt, was systemisch heute und für uns bedeutet. Hier hat es in den letzten 20 Jahren einige Entwicklungen gegeben (s.u. Kap. 9: Fraktale Beratung). Unter dem systemischen Dach hat sich eine große Vielfalt entwickelt. Nach anfänglicher Abgrenzung von allen am Individuum orientierten Ansätzen dürfen jetzt wieder persönlichkeitsorientierte Ansätze integriert werden. Die anfänglichen Beratungsformen folgten einigen Schemata, die hauptsächlich von der Mailänder Schule der Familientherapie (PALLAZOLI et al. 1996) und deren damals spektakulärer Behandlung schizophrener Familiensysteme abgeleitet wurden. Systemische Therapie war zunächst Systemtherapie. Die Betonung des wirklichkeitskonstruktiven Ansatzes im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem Erkenntnisbiologen HUMBERTO MATURANA (1987) und dem Soziologen NIKLAS LUHMANN (1982) kam erst später. Die Integration von Ansätzen des Hypnotherapeuten MILTON ERICKSON (1999) oder des Tiefenpsychologen CARL GUSTAV JUNG (1968; 1972) und vieler andere Strömungen ist wiederum zeitlich später einzuordnen.
Die klassische systemische Beratung bestand aus einem Interview, in dem die Kontextanalyse den Anfang bildete und in dessen Verlauf auf das Zusammenspiel der Akteure fokussiert wurde. Informationen wurden als Unterschiede erfragt oder erzeugt. Dabei spielte das zirkuläre Fragen eine zentrale Rolle. Außerdem wurden viele positive Konnotationen und Umdeutungen der systemischen Zusammenhänge eingeführt.
Die Beratung schloss gewöhnlich mit einer Beratungspause und einer nachfolgenden systemischen Intervention, die nicht weiter diskutiert werden durfte, damit sie ihre Wirkung im System entfalten konnte. Mit der Zeit nahm die hervorgehobene Bedeutung der Abschlussintervention ab und die vielen kleinen Vorgänge im Beratungsgespräch gewannen als das Agens der systemischen Beratung an Bedeutung. Um den Lesern einen Geschmack von dieser klassischen Vorgehensweise und den begeisternden Perspektiven, die sie eröffnete, zu geben, folgt ein fiktiver Beratungsbericht (SCHMID 1987) aus dieser Zeit. Schmunzeln ist erlaubt.
1.11 Klein-Bonum – ein Beispiel für klassische Systeminterventionen
Angenommen, wir würden vom Häuptling des Asterix-Dorfes um eine Konsultation gebeten, weil er den Eindruck hat, dass sein Dorf nicht mehr so hochmotiviert und schlagkräftig sei, wie dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist.
Schon am Telefon fragen wir, für wen dies ein Problem sei, und erfahren, dass die Frau des Häuptlings nach Rücksprache mit der Frau des Fischhändlers diesen Eindruck gewonnen und der Druide dazu geraten habe, vorsichtshalber externe Organisationsberater hinzuzuziehen, da ein solches Problem möglicherweise mit seinen üblichen Heilmitteln nicht gelöst werden könne.
Zur ersten Beratung an unserem Institut erscheinen der Häuptling, Asterix, Obelix und der Druide. Nachdem wir die Klienten begrüßt haben, schildern wir den bisherigen Überweisungskontakt mit dem Häuptling und fragen diesen als nächstes, wie es zur Auswahl der heute am Gespräch Beteiligten kam, und er erklärt, dass diese ausgewählt wurden, weil sie üblicherweise mit zentralen Fragen der Dorfgemeinschaft beschäftigt würden. Auf unsere Frage, wer von den Anwesenden am ehesten ein Beratungsgespräch für sinnvoll halte, und wer am skeptischsten einem solchen Unterfangen gegenüber stehe, schätzt der Häuptling sich selbst als sehr besorgt, den Druiden als motiviert weil vorsichtig, Asterix und Obelix eher als desinteressiert ein. Durch Rückfragen bei den anderen bestätigt sich diese Einschätzung. Obelix – befragt, wer denn die Initiative zu dem Gespräch ergriffen habe – verweist auf den Häuptling. Er und Asterix seien mitgekommen, weil es zur Zeit ohnehin langweilig im Dorf sei und dies eine willkommene Abwechslung böte. Außer dass er möchte, dass wieder etwas los ist im Dorf, habe er keine Wünsche. Dass die Beratung im Dorf für Action sorgen könne, kann er sich nicht vorstellen. Asterix schließt sich der Äußerung von Obelix in etwa an. Auf unsere Frage, wer sich denn nun am meisten Sorgen mache, hören wir, dass es die Frau des Häuptlings und die des Fischhändlers seien, und dass der Häuptling und der Druide die heutige Konsultation vereinbart hätten, weil sich auch aus Sicht des Druiden psychosomatische Beschwerden aus unerklärlichen Gründen im Dorf mehrten.
Nun fragen wir den Häuptling, was er denn glaube, was seine Frau und die des Fischhändlers damit meinen könnten, wenn sie sagen, die Schlagkraft und der Enthusiasmus hätten nachgelassen. Wir erfahren hier, dass diese beiden einerseits eine lahme und ungesunde Stimmung im Dorf wahrnähmen, andererseits sich Streitereien – etwa zwischen dem Fischhändler und seiner Kundschaft oder zwischen dem Häuptling und seiner Frau – in letzter Zeit auf unangenehme Weise häuften. Das konkrete Interesse des Häuptlings sei, weniger mit seiner Frau zu streiten, das des Druiden, weniger psychosomatische Beschwerden behandeln zu müssen, und das von Asterix und Obelix,