Ausbildung der Ausbildenden (E-Book, Neuauflage). Geri Thomann
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Obwohl die Bedeutung der Erwachsenen- und Weiterbildung – aktuell besonders unter dem Stichwort des lebenslangen Lernens – inzwischen seit Jahrzehnten zumindest programmatisch hervorgehoben wird, ist diese Bedeutung im Zuge der gesellschaftlichen Debatte um die Digitalisierung noch einmal gestiegen. Es gibt kaum eine Stellungnahme zur Bedeutung und zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der Digitalisierung ohne den drängenden Hinweis, dass permanentes Lernen und kontinuierliche Weiterbildung essentiell seien, um den Wandel durch Digitalisierung bewältigen zu können. Im Vordergrund steht hier zumeist die Debatte darum, wie Arbeit sich wandelt und welche Kompetenzen Beschäftigte benötigen.
Im Zuge der Digitalisierung wird jedenfalls noch klarer, dass eine Front-loading-Vorstellung von Bildung unhaltbar ist, also die Vorstellung, man könne sich auf eine Ausstattung mit Bildung in jungen Jahren allein verlassen, die dann bis zum Ende zumindest des Erwerbslebens trägt. Es geht vielmehr darum, ein System des lebenslangen Lernens zu etablieren, das allen Menschen ermöglicht, sich nach ihren Interessen, Bedürfnissen und Bedarfen über die Lebensspanne weiterzubilden. Dabei gilt es, die Diskrepanz zwischen der Betonung der Wichtigkeit von Weiterbildung und realer Implementation weiter zu verringern. Hierzu gibt es vielfältige Initiativen zum lebenslangen Lernen auf europäischer und nationaler Ebene, die aber mit Blick auf die Lernenden deutlicher profiliert und ausgebaut werden müssten – einige davon skizziert im folgenden Kapitel.
2.2Lebenslanges Lernen
«Heute kommt es nicht so sehr darauf an, was man kann, sondern was man gelernt hat.»
F.W. Bernstein, 1991
«Wirst alt wie Kuh – lernst imma zu.»
Gerhard Polt, 2000
Das Memorandum der EU zum «lebenslangen Lernen»
Basis der europäischen Weiterbildungspolitik ist nach wie vor das «Memorandum zum Lebenslangen Lernen» (verabschiedet von der EU-Kommission im Jahre 2000) und das Bekenntnis zur Wissensgesellschaft, an dem alle EU-Bürger teilnehmen können sollen; dazu gehört unter anderem die Optimierung der «Weiterbildung vor Ort» sowie der bessere Zugang zu hochwertigen Informations- und Beratungsmöglichkeiten. «Adult Learning» ist dabei ein zentrales Programm. Dabei zeigt sich der Trend, dass Weiterbildung enger auf berufliche Verwertbarkeit hin diskutiert wird. Gemäss dem «Lissabon-Prozess» ist mehr Investition in Humankapital durch bessere Bildung beabsichtigt, die EU möchte mit Hilfe einer Bildungsoffensive zur weltweiten Wirtschaftsführerin werden.
Der Gedanke einer lebenslangen Bildungsphase ist in der umfassenden Bildungsreform Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre entstanden. Die OECD, die UNESCO und der Europarat prägten die Begriffe «lifelong education», «recurrent education» und «éducation permanente». Das Konzept der «éducation permanente» (vgl. Aebi 1995, S. 52, Gonon 2001, S. 56) entstammt ursprünglich der französischen Kulturtradition und ist den Ideen der Aufklärung verpflichtet; der Begriff wird als Anliegen anfangs der 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts von UNESCO und Europarat verwendet.
Der Begriff «recurrent education» – von der OECD geprägt – entstammt der angelsächsischen Tradition (vgl. Aebi 1995, S. 53). Dabei sollen spezifische (Nach-)Qualifikationen es ermöglichen, den veränderten Anforderungen am Arbeitsplatz gerecht zu werden. Von der Europäischen Union wurde der Begriff des lebenslangen Lernens mit dem Memorandum als ein neuer Hauptbegriff deklariert. Die permanente Anpassung der Qualifikationen der arbeitenden Menschen an neue Techniken und auch kulturelle Anforderungen tragen dem internationalen Konkurrenzdruck Rechnung. Das Grundkonzept des lebenslangen Lernens geht davon aus, dass nur Menschen, die ihr ganzes Leben lang lernen und sich weiter qualifizieren, in der Lage sind, die raschen Veränderungen kompetent zu meistern. Lebenslanges Lernen beinhaltet ebenso, dass die Lernenden die lebenslange Lernperspektive ihres Lernprozesses selber lenken. Die Bildungssysteme des lebenslangen Lernens werden somit nicht mehr nur von Institutionen und Bildungsanbietern definiert, sondern auch von denjenigen Personen, die lernen (Nachfrage-Orientierung). Beim lebenslangen Lernen geht es darum, dass das Individuum entsprechend seinem individuellen Lebensentwurf und seiner Biografie die Lerninhalte definiert und wählt. Dazu braucht es neue und strukturierbare Angebote mit freien Zugängen. Entsprechend rücken Fragen nach individuellen Lernformen und der persönlichen Gestaltung von Lernprozessen in den Vordergrund.
Das Konzept des lebenslangen Lernens stellte einen Paradigmenwechsel in der Weiterbildung dar und bedingte eine strukturelle Veränderung des bisherigen Bildungssystems. Es erfordert nach wie vor neue Bezüge zwischen den einzelnen Bereichen des Bildungssystems, sowohl bezüglich Lerninhalten, Gestaltung der Angebote als auch bezüglich Übergängen, Zugängen und des Aufbaus von Wissen, Qualifikationen und Fähigkeiten.
Politische Umsetzung in Europa
2008 haben das Europäische Parlament und der Rat eine Empfehlung zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen (EQR) verabschiedet. Der Europäische Qualifikationsrahmen macht als Übersetzungsinstrument nationale Qualifikationen europaweit verständlich und soll die grenzüberschreitende Mobilität von Beschäftigten und Lernenden und deren lebenslanges Lernen fördern. Mit der Einführung des EQR sollen Zugang zum und Teilnahme am lebenslangen Lernen sowie die Nutzung von Qualifikationen auf nationaler Ebene gefördert werden. Zudem soll der EQR der Brückenbildung zwischen formalem, nicht formalem und informellem Lernen dienen sowie der Validierung von durch Erfahrungen schon erlangten Lernergebnissen. Leider jedoch haben 2017 erst fünf europäische Länder begonnen, an Konzepten für die Integration von non-formaler Bildung in ihren NQR (nationalen Qualifikationsrahmen) zu arbeiten.
Das Verständnis von «lebenslangem Lernen» ist in den EU-Staaten unterschiedlich:
In Grossbritannien beispielsweise mit seinem stark dezentralen und wettbewerbsorientierten Bildungssystem existiert keine offizielle, einheitliche Definition.
In Frankreich mit einem ausnehmend zentralistisch regulierten Bildungssystem wird lebenslanges Lernen als «persönliches Recht» der Bürgerinnen und Bürger verstanden; dafür soll der Staat entsprechende Angebote bereitstellen.
Die Bundesregierung Deutschlands hat 2008 eine Konzeption für das «Lernen im Lebenslauf» verabschiedet. Diese schliesst an schon bestehende Qualifizierungsmassnahmen an. Leitend war hier der empirische Befund, dass die Beteiligung an Weiterbildung in Deutschland im internationalen Vergleich zu niedrig war. Insbesondere Menschen mit niedriger Qualifikation nehmen zu wenig an Weiterbildung teil (das gilt auch für die Schweiz!). Speziell zu erwähnen ist zudem die geplante Einführung von «Bildungsprämien» und die Verbesserung der Bildungsberatung. Durch finanzielle Anreize sollen mehr Menschen zur individuellen Finanzierung von Weiterbildung motiviert und befähigt werden. Ausserdem sollen Bildungsausgaben grundsätzlich als Investition verstanden werden.
Das Weiterbildungsgesetz in der Schweiz
Das Schweizer Parlament hat 2014 das Weiterbildungsgesetz (WeBiG) angenommen. Es ist seit 2017 in Kraft. Die Weiterbildung wird damit in die Politik zur Förderung von Bildung, Forschung und Innovation (BFI) integriert.
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