Non-Profit-Organisationen in die Zukunft entwickeln. Heike Fischer

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Non-Profit-Organisationen in die Zukunft entwickeln - Heike Fischer EHP-Organisation

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sowie für chronisch Kranke, Senioren, Patienten und sozial Schwache eintritt. Der Verband betreibt bundesweit über 400 Geschäftsstellen und zählt 1,5 Millionen Mitglieder.

      Das Potenzial gesellschaftlicher Problembewältigung im Dritten Sektor zwischen Markt und Staat oder zwischen Wettbewerbsregime und Staatsdirigismus könnte für die zukünftige Entwicklung der globalen Gesellschaft entscheidend sein. Zumindest wenn man daran denkt, dass schlimmstenfalls beide Systeme – das politische und das Wirtschaftssystem – implodieren könnten. Genossenschaftliche Konzepte und Selbsthilfelösungen wären bekannte Alternativen, auf die man zurückgreifen könnte. So sind die Dreiteilung und die Konturierung der Unterschiede zwischen den drei Sektoren durchaus sinnvoll. Sie dient im Weiteren auch als Folie für die Beschäftigung mit Mischformen und fließenden Übergängen. Denn Hybridformen nehmen zu (s. u.: 4. Vielfalt, Mischformen und ein uneinheitlicher Sprachgebrauch). Um die Vielfalt im Non-Profit-Bereich übersichtlicher zu kategorisieren, kann man zwischen staatsnahen, basisnahen und wirtschaftsnahen NPO unterscheiden.

      Allerdings ist aus historischen und politischen Gründen die Verbindung zwischen dem öffentlichen und dem Dritten Sektor in Deutschland vergleichsweise eng. Die gewachsene Staatsnähe des Dritten Sektors betrifft vor allem den Wohlfahrtsbereich. Die Bismarck’sche Sozialgesetzgebung zur Absicherung gegen Krankheit, Berufsunfall und Invalidität (1883-1889) und auch spätere Maßnahmen der staatlichen Wohlfahrtspflege trugen dazu maßgeblich bei. In der Weimarer Republik wuchs der dritte Sektor vor allem mit der Arbeiterbewegung. Der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) überschritt 1920 die Mitgliederzahl von acht Millionen. In allen politischen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Bereichen nahmen organisierte Interessen zu.

      Demokratische Werte und Bürgerrechte hatten aber während der Weimarer Republik noch keinen ausreichenden Rückhalt. Zu sehr war die politische Kultur noch von obrigkeitlichem Denken beherrscht.

      1933 begann ohne breiten Widerstand die nationalsozialistische Gleichschaltung von Gewerkschaften, Verbänden und Vereinen. Die zwangsweise Gleichschaltung folgte dem Führerprinzip sowie rückwärtsgewandten Bildern einer ständischen Gesellschaftsordnung.

      Nach der militärischen Überwindung des Dritten Reiches stellte das Besatzungsregime in der britisch-amerikanischen Zone schon früh die Weichen für ein marktwirtschaftliches System. In der alten Bundesrepublik (BRD) wurde dann die sozialpolitisch flankierte marktwirtschaftliche Ordnung Basiskonsens der großen Volksparteien. Gewerkschaften und Interessenverbände formierten sich neu. Markt, Staat und Dritter Sektor konnten sich mit dem Konzept der sozialen Marktwirtschaft relativ gleichgewichtig entwickeln.

      Im anderen Teil Deutschlands wurde der Non-Profit-Sektor weitgehend staatlich dominiert. In der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) standen alle Verbände und Vereine unter Aufsicht der Sozialistischen Einheitspartei (SED). Die offiziellen Verbände hatten nicht nur gesellschaftliche, sondern auch halböffentliche Funktionen. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) etwa war ein Organ der Jugendpolitik in Schulen, Betrieben und Hochschulen. Nur Großorganisationen, wie etwa die Evangelische Kirche, konnten eine gewisse Eigenständigkeit bewahren. Unter ihrem schützenden Dach sammelten sich Ende der 1980er-Jahre oppositionelle Bürgerrechtler, die schließlich entscheidend zum Zusammenbruch des Regimes beitrugen. Friedens-, Menschenrechts- und Bürgerinitiativen, die vor allem durch die Leipziger Montagsdemonstrationen bekannt wurden, gehörten zu diesen Gruppen.

      In der Wendezeit vom November 1989 bis zur Deutschen Vereinigung im Oktober 1990 lösten sich die Massenorganisationen der DDR in rasantem Tempo auf. Allerdings dehnten Organisationen aus dem Westen – Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, Kammern, Ärzteverbände, Wohlfahrtsverbände, Sportverbände – auch rasch ihre Strukturen nach Osten aus. Die schwächer und basisnah organisierten Bürgerinitiativen der Ex-DDR wurden von den etablierten Institutionen westlicher Provenienz geradezu aufgesogen.

      Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges, der für die Nachkriegsgesellschaft so bestimmend war, begann auch die hohe Zeit der neoliberalen Doktrin. Wirtschaftsliberale Überzeugungen wurden im Laufe der letzten beiden Dekaden so selbstverständlich, dass sie wie Sachzwänge funktionierten. Rückblickend, nachdem ungezügelte Finanzmärkte ungeahnte Risiken hervorbrachten, erscheint dieses Phänomen als »Marktgläubigkeit«.

      Der Glaube an die Selbstregulierung der Märkte dominierte das Verhältnis zwischen Wirtschaft, Staat und Drittem Sektor. Diese Verschiebung zugunsten der Marktlogik seit den 1970er-Jahren bis heute wird uns im nächsten Kapitel weiter beschäftigen.

      Zu Zeiten der Rivalität wirtschaftspolitischer Weltbilder zwischen Ost und West gab es in der Bundesrepublik Deutschland einen ganz eigenen Weg der wohlfahrtsstaatlichen Programmatik: die Soziale Marktwirtschaft. Dieses Programm stammte vom »Vater des Wirtschaftswunders«, Ludwig Erhard (1949-1962 Bundeswirtschaftsminister im Kabinett Adenauer und 1962-1969 Bundeskanzler). Die sozialpolitische Rahmung der Marktwirtschaft gehörte in den Jahren des Kalten Krieges zum Grundkonsens der großen Volksparteien und Wirtschaftsverbände in der BRD.

      Nach der Implosion des Ostblocks konnte sich der Westen im Wettstreit der politischen Systeme als Sieger fühlen, da sich die Maxime der marktmäßigen Steuerung schließlich durchsetzte. Im Laufe dieser Entwicklung kam seit den frühen 1990er-Jahren der Sozialstaat ins Gerede. Im Weiteren wurden dann sozialstaatliche Funktionen aktivierenden arbeitsmarktpolitischen Instrumenten untergeordnet.

      Die Neuordnung des Sozialstaates auf der Basis geopolitischer Veränderungen war aber nur ein Aspekt des dann folgenden weitreichenden Paradigmenwechsels in der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Die Übertragung ökonomischer Sinnstrukturen auf den Rest der Gesellschaft entwickelte sich zu einem Megatrend. Der bildete zusammen mit technischen Innovationen einen mächtigen Sog für Umstrukturierungen.

      Seit den 1980er-Jahren brachte die Betriebswirtschaftslehre in raschem Tempo immer neue Wettbewerbsstrategien und Managementmethoden hervor. Die Optimierung von Geschäftsprozessen im Sinne hoher Kundenorientierung und ständiger Qualitätsverbesserung erzielte zuerst in der Autoindustrie spektakuläre Erfolge. Darauf wurde das Prinzip schlanker Unternehmensführung (Lean-Konzept) zunächst in anderen privatwirtschaftlichen Branchen eingeführt und schließlich als »Lean Service Management« auch auf den Dienstleistungssektor und den Non-Profit-Bereich übertragen. Der Caritasverband Wiesbaden war z. B. eine von vielen Non-Profit-Organisationen, die in den 1990er-Jahren diesem Weg folgten (vgl. Zöller 1994). Wirtschaftlicher Druck und die Abhängigkeit vieler Trägervereine von staatlicher Finanzierung spielten dabei sicher eine große Rolle. Die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Zuge der Globalisierung erhöhten zu Beginn der 1990er-Jahre auch den Druck auf den öffentlichen Sektor. Zudem verstärkten die Kosten der Deutschen Einheit die Finanzprobleme öffentlicher Haushalte.

      In dieser Situation fand die Idee Interesse, durch eine Verwaltungsreform die Haushaltskrise zu überwinden und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Dazu bot sich das Neue Steuerungsmodell (NSM) zur strategischen Steuerung öffentlicher Verwaltungen nach dem Tilburger Modell an. Die hoch verschuldete Stadt Tilburg hatte Instrumente der Betriebswirtschaft eingeführt, um aus der Ämterstruktur quasi eine Konzernstruktur zu formen. Diese Maßnahme folgte in weiten Teilen dem internationalen Trend des New Public Management (NPM). In vielen Kommunen wurden im Zuge des NPM neue finanzwirtschaftliche Instrumente eingeführt – z. B. die Doppik, die dem betrieblichen Finanzmanagement ähnelt. Das neue Steuerungsmodell ersetzte die bis dahin für Behörden typische Inputsteuerung (jährlicher Haushaltsplan) durch einen ergebnisbezogenen Ansatz. Dabei wird die Leistungserstellung öffentlicher Verwaltungen über »Produkte« gesteuert, die sich am Markt ausrichten.

      Der Umbau von Behörden in moderne Verwaltungen mit dezentralen unternehmensähnlichen Organisationsstrukturen zog weitere Umstrukturierungen in Trägervereinen und Verbänden nach sich. Auch dort setzten sich weitgehend

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