Gestalttherapie in der klinischen Praxis. Группа авторов

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Gestalttherapie in der klinischen Praxis - Группа авторов EHP - Edition Humanistische Psychologie

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benutzen. Sie können entscheiden, welche Perspektive sie wählen wollen, ohne ihre gestalttherapeutische oder irgendeine andere Kompetenz zu verlieren. Wenn es von Nutzen ist, kann sich die TherapeutIn erlauben, sich bewusst auf die Aspekte der therapeutischen Situation zu konzentrieren, die mithilfe des Filters einer psychiatrischen Diagnose gut sichtbar werden. Sie kann sich auf das medizinische Modell stützen und muss nicht mit ihm konkurrieren.

      Allerdings nutzen wir das medizinische Modell, ohne das medizinische Paradigma als Ganzes zu übernehmen. Eine GestalttherapeutIn setzt diagnostische Systeme hermeneutisch ein, nicht nach dem medizinischen Ansatz (siehe unten). Eine GestalttherapeutIn versieht ihre PatientInnen nicht mit Etiketten, so als wollte sie etwas benennen, das ausschließlich zu dieser einen PatientIn gehört, etwas Fixes, das auch existieren würde, wenn man es von der Situation abstrahierte. Dies entspräche einer medizinischen Modellposition. Im Prozess der Kreation einer Kontaktfigur nutzt ein gestalttherapeutischer Ansatz alle Informationen aus diesem Bereich als Teil des Hintergrunds. Wie viele andere Hintergründe ist auch dieser Hintergrund unvermeidbar. Wir können nichts weiter tun als uns dieser Tatsache bewusst zu sein und ihn als das zu nutzen, was er ist: ein Vorwissen.

      Wenn es hilfreich ist, kann die TherapeutIn dann zulassen, dass diese bestimmte symptomatische Perspektive zugunsten der anderen Perspektiven, der kontextuellen und der ko-kreativen Perspektive, in den Hintergrund tritt. Es wäre Energieverschwendung, wenn wir – als GestalttherapeutInnen – diese Modelle miteinander konkurrieren ließen (und sei es nur in unseren Köpfen) und dem »Gut gegen Böse«-Paradigma verhaftet blieben. Stattdessen ist es möglich, das Potenzial zu nutzen, das die drei unterschiedlichen Schwerpunkte bieten, und sie sich dynamisch ergänzen zu lassen. Die TherapeutIn setzt sie ein, um der Bedeutung der therapeutischen Situation einen Namen zu geben und unterstützt auf diese Weise die Ko-Kreation der Kontaktfigur. Wenn sie eine Diagnose erstellt, ist sie immer an der Kontaktgrenze anwesend. Die TherapeutIn mag unterschiedliche Landkarten zurate ziehen, um sich zu orientieren, doch sie steht der PatientIn weiterhin zur Seite und steht für den gemeinsamen Weg zur Verfügung.

      3.7 Der Einsatz von Diagnosen zur Förderung des therapeutischen Prozesses

      Die diagnostische Beschreibung der therapeutischen Situation ist bei reflexiven Prozesse hilfreich, z. B. wenn sich die TherapeutIn nach der Sitzung Notizen macht oder wenn sie zur Supervision kommt. Außerdem fördert sie im Verlauf einer therapeutischen Sitzung die Orientierung. Zudem kann sie als therapeutisches Werkzeug eingesetzt werden, wenn die TherapeutIn ihre diagnostischen Überlegungen sicher und einfühlsam in das Gespräch mit der PatientIn einfließen lässt und sie dadurch gemeinsam ihre Bewusstheit für die aktuelle Situation erweitern können. Jedes extrinsische Diagnose-System kann von einer GestalttherapeutIn verwendet werden, solange es hermeneutisch genutzt wird, also auf eine Art und Weise, die den Kontakt unterstützt.

      Vorsicht ist geboten, wenn man eine Diagnose als eine extrinsische Landkarte verwendet.21 Als Handlung, die zwangsläufig objektiviert, besteht das Risiko, »Gewalt auszuüben« und die Subjektivität des Menschen zu verlieren. Keine Landkarte kann alles über die Subjektivität des/der anderen aufzeigen: Sie wird immer ein Geheimnis bleiben (Jaspers 1963). Wie können wir diese Art von Diagnose in die Beziehung bringen und gleichzeitig vermeiden, »eine Norm durchzusetzen, statt dem anderen zu helfen, sein Potenzial zu entwickeln?« (Perls / Hefferline / Goodman 2006, Bd. 1, 310)

      Mit dem naturalistischen und dem hermeneutischen Modell gibt es zwei verschiedene Horizonte, in denen Diagnosen in der Therapie verortet werden können. Das naturalistische Modell impliziert eine objektivierende Beziehung, die auf den intersubjektiven Kontakt ausgerichtet ist. Es ist das medizinische Modell: Symptome werden »kartiert« und die Landkarte, die sich aus diesen Daten ergibt, wird dann bei der Behandlung eingesetzt, ohne dass die Subjektivität der PatientIn eine Rolle spielte. Im hermeneutischen Modell wiederum ist der diagnostische Prozess ko-konstruiert und kombiniert das Wissen (und das Vorwissen) von TherapeutIn und PatientIn (Gadamer 1960; Salonia 1992; Sichera 2001).

      Die »Metaposition« oder der »andere Raum«, der nach und nach mit der PatientIn ko-kreiert wird, stellt eine(n) »Dritte(n)« dar, in der die therapeutische Beziehung verankert werden kann. Es ist ein Raum, der aus dem Bedürfnis der TherapeutIn entsteht, sich zu orientieren, das Erleben, das mit der PatientIn ko-kreiert wird, zu interpretieren und eine Konfluenz mit diesem Erleben zu vermeiden. Es ist ein Raum, der aus dem Bedürfnis der PatientIn entsteht, zu glauben, dass es einen Ausgangspunkt und daher auch ein Ziel gibt.

      Die objektivierende Verwendung von naturalistischen Diagnosen schafft eine Kluft zwischen der PatientIn und ihrem Beziehungskontext. Die daraus entstehende Isolation kann pathogen werden und noch mehr erlebtes und zum Ausdruck gebrachtes Leiden schaffen, indem sie die Beziehungen der PatientIn zusätzlich verletzt. Wir müssen das latente Risiko umgehen, Verhaltensweisen mit gelebten Erfahrungen zu verwechseln und den anderen/die andere in Kategorien »einzufrieren«. Alternativ dazu kann eine Diagnose einen beziehungsorientierten Prozess darstellen, der durch Kontakt und durch die Wahrheit ko-kreiert wird, die der Kontakt freisetzt.

      Die Landkarte hat einen zirkulären Einfluss auf das Gebiet: Die (pathogenen oder unterstützenden) Auswirkungen der gestellten Diagnose werden auf individueller, familiärer und sozialer Ebene spürbar. Als Teil des Beziehungsprozesses in der Psychotherapie ist es die Intention einer Diagnose, die therapeutische Beziehung zu unterstützen. Dabei lassen sich zwei Unterstützungsfunktionen feststellen: Die erste gibt der therapeutischen Beziehung eine entwicklungsgemäße Richtung. Eine Diagnose muss das Leiden von Beziehungen abschätzen und kommunizieren können. Was die TherapeutIn herausarbeiten will, ist die Art, wie eine Beziehung leidet und welche Intentionalität während des Kontaktes unterstützt werden muss. Die zweite Unterstützungsfunktion verankert die therapeutische Beziehung in einem dritten Element. Die Diagnose kann selbst dieses dritte Element sein, das die Therapie in einem erweiterten Korpus von Wissen und Erfahren, in einer sedimentären und gemeinsamen Geschichte, in der beruflichen Gemeinschaft verankert.

      In der therapeutischen Beziehung kann eine extrinsische Diagnose den Kontakt unterstützen, wenn die PatientIn das Bedürfnis verspürt, ihr Erleben in Worten auszudrücken und mit den Worten und dem Hintergrund der TherapeutIn zu vergleichen. In diesem Fall ist die Diagnose Teil eines viel weitergehenden Definitionsprozesses und kommt der Konstruktion persönlicher Bestätigung gleich. Die Worte zu finden, mit denen man sein Leiden gemeinsam mit der TherapeutIn beschreibt, kann sich als tiefgreifende und bedeutungsvolle Erfahrung erweisen, die einen Wandel bewirkt: Sie ist das Ergebnis einer Ko-Kreation in einem hermeneutischen Bezugsrahmen.22 Die Art, wie eine Diagnose in die therapeutische Beziehung gebracht wird, ist deutlich wichtiger als die Art der extrinsischen Diagnose, die verwendet wird.

      Kehren wir noch einmal zu Paul zurück, der verzweifelt zu einer therapeutischen Sitzung kam und keinen Ausweg wusste. Wie oben geschildert, hat der Therapeut eine Beschreibung der therapeutischen Situation gefunden (eine extrinsische Diagnose), die seinem aktuellen Erleben mit dem Patienten Bedeutung verleiht. Sie hat dabei geholfen, ihm das lähmende Gefühl der Frustration und Hilflosigkeit zu nehmen und den inneren Druck zu lösen, zu viel Verantwortung zu übernehmen. Der Therapeut war wieder bereit, dem Patienten zu begegnen. Nun stellte sich die Frage, wie eine extrinsische Diagnose in den Dialog mit dem Patienten gebracht werden konnte. Es war wichtig, Worte und Konzepte zu wählen, die dem Patienten bereits vertraut waren. Der Therapeut verwendete eine Metapher von »Wellen, die auf und nieder gehen«, die bereits früher in der Therapie diskutiert worden war und auf die sie sich als adäquate Beschreibung der emotionalen Schwankungen des Patienten geeinigt hatten. Der Therapeut schlug eine Beschreibung des aktuellen Zustands als »depressive Abwärtswelle« vor und zeichnete die Kurve in der Luft nach. Er fragte den Patienten, wo er sich gerade selbst in der Kurve sah. Paul zeigte auf eine Stelle am unteren Ende der Kurve und sagte, dass er es nicht aushalte, dass es zu lange dauere und dass er nicht die Kraft habe, damit umzugehen. Er war verzweifelt, sah keine Hoffnung, keine Stelle, um den Absprung zu schaffen.

      Der Therapeut versicherte

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