Gestalttherapie in der klinischen Praxis. Группа авторов

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Gestalttherapie in der klinischen Praxis - Группа авторов EHP - Edition Humanistische Psychologie

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ein Bild, das er vor seinem inneren Auge sah: Dass ein Mensch, der tief unten im Tal der »depressiven Welle« ist, die Ressourcen nicht sehen kann, die von oben auf dem Kamm der Welle sichtbar sind, dass die Erfahrung der Hoffnungslosigkeit zu diesem Zustand dazugehört, wenn man sich im Wellental befindet. Paul sah einen Moment interessiert auf, dann nickte er zustimmend.

      Sie erinnerten sich gemeinsam an die Zeit, als Paul einen ähnlichen Zustand erlebt und wie lange die »depressive Welle« damals gedauert hatte. Sie sprachen über ihre Erinnerungen und stellten fest, dass eine ähnliche Welle schon mehrmals aufgetaucht war, das letzte Mal vor fast einem Jahr. Paul erinnerte sich daran, dass jede »Welle nach unten« ungefähr zwei Monate gedauert hatte. Der Zustand äußerster Verzweiflung hielt ungefähr zwei oder drei Wochen lang an. Der Therapeut schlug auch vor herauszufinden, was ihm damals geholfen und was die Situation noch schlimmer gemacht hatte. Dieser Vorschlag schien Pauls Fähigkeiten in diesem Moment jedoch zu übersteigen. Daher einigten sie sich darauf, in der nächsten Sitzung darauf zurückzukommen.

      Der Patient und der Therapeut wurden sich des größeren Kontexts bewusst, in den der aktuelle Zustand eingebettet war. Das Erleben des Patienten veränderte sich während der Sitzung nicht, er fühlte sich immer noch verzweifelt und hoffnungslos, doch nun hatte er ein Werkzeug an der Hand, das ihm half, seine Situation zu verstehen und seinen aktuellen Zustand auszuhalten. Und das Wichtigste war: Er hatte einen Kontakt mit seinem Therapeuten erlebt, der diese schwere Zeit gemeinsam mit ihm durchstehen wollte.

      Eine extrinsische Diagnose wird verwendet, um das Mit-der-PatientIn-Sein zu fördern. Dies kann in mehreren Fällen sinnvoll sein:

      • Es gibt ein Phänomen (Gedanke, Angst, Frage, Verlangen …), das im Kontakt auftritt, und der/die Therapeut(in) muss ihm eine Bedeutung verleihen und entscheiden, was er damit macht. Der diagnostische Prozess wird von TherapeutIn und PatientIn ko-konstruiert.

      • Es gibt eine Nachfrage von außen (z. B. der Krankenkasse). Die TherapeutIn muss dies in die Sitzung einbringen und diese Gegebenheit im Kontaktprozess einsetzen. Dies ist teilweise eine hermeneutische Verwendung (unser Wissen auf den Tisch zu legen) und teilweise eine der möglichen Vorgaben im Kontaktprozess.

      • Nach und vor einer Sitzung (z. B. in der Supervision oder wenn sich die TherapeutIn Notizen macht) ist eine extrinsische Diagnose eine Möglichkeit, das Erleben zu benennen. Dies unterstützt den Prozess der Integration dessen, was passiert ist, und fördert darüber hinaus den Prozess des Sich-Erdens in der Vorbereitung auf die Begegnung mit der PatientIn.

      Eine intrinsische Diagnose ist ein fortlaufender Prozess während der therapeutischen Sitzung. Eine extrinsische Diagnose kann in verschiedenen Momenten auftauchen – vor, während, nach der Sitzung – und muss verwendet werden, um einerseits den Kontaktprozess und anderseits eine intrinsische Diagnose zu unterstützen.

      4. Schlussfolgerung

      Als GestalttherapeutInnen brauchen wir beides, die Landkarte (eine extrinsische Diagnose) und den Orientierungssinn (eine intrinsische Diagnose). Die extrinsische Diagnose ist der Hintergrund für die Arbeit als PsychotherapeutIn. Immer wenn wir eine extrinsische Diagnose erstellen, legen wir fest, wie sich das Feld der therapeutischen Situation gestaltet. Wir legen das Augenmerk auf die Bedeutung der aktuellen therapeutischen Situation und beschreiben sie. In diesem Moment konzentrieren wir uns nicht auf das Mit-der-PatientIn-Sein. Wenn wir jedoch den Anspruch an uns stellen würden, den Fluss der therapeutischen Beziehung unablässig und ausschließlich im Auge zu behalten, würden wir paradoxerweise unsere therapeutische Flexibilität einschränken. Ein ungehinderter und nährender Kontaktfluss kann sich entwickeln, wenn wir uns auch die Zeit zugestehen, uns zu orientieren und nach Bedeutung zu suchen, um uns in einem dritten Element zu verankern und eine Diagnose zu erstellen.

      Wir können mehrere verschiedene Arten von Landkarten haben, von denen jede die klinische Situation aus einer anderen Perspektive wiedergibt. Wie Einstein einst sagte: »Die Theorie entscheidet, was wir beobachten können.« Also können wir eine Landkarte haben, die auf der Beobachtung des Prozesses der Ko-Kreation im Hier und Jetzt basiert, eine andere, die auf der Beobachtung von Rollen und Interaktionen innerhalb eines Systems basiert und eine dritte, die auf der phänomenologischen Beobachtung der Symptome basiert. Während des psychotherapeutischen Prozesses entwickeln wir ganz natürlich Landkarten, um unserem Erleben Bedeutung zu verleihen. Wir kommen nicht umhin, irgendeine Art von Diagnose zu stellen. Alles, was wir tun können, ist, uns des Prozesses des Diagnostizierens stets bewusst zu sein und unsere Achtsamkeit wieder in den Kontakt mit der PatientIn zu lenken. Und wir müssen im Hinterkopf behalten, dass eine Diagnose nicht die Beschreibung des Menschen vor uns ist, sondern nur ein Werkzeug, das uns befähigt, unser Erleben mit diesem Menschen bedeutsam zu organisieren, und uns so dabei hilft, geerdet und bereit für eine Begegnung zu sein.

      Die extrinsische Diagnose verliert an Bedeutung, je größer die Fachkompetenz und das Wissen der TherapeutIn werden. Alle Reisenden brauchen Landkarten, um sich zu orientieren, doch es stimmt auch, dass man sich mit zunehmender Erfahrung mehr und mehr auf seinen Orientierungssinn verlassen kann. Der Orientierungssinn ist etwas, das sich in jedem Augenblick Ihrer Reise ganz von selbst weiterentwickelt, ohne dass Sie dafür allzu viele Landkarten brauchen. Die intrinsische oder ästhetische Diagnose ist eine wichtige Orientierungshilfe, die uns in unserer Interaktion unablässig begleitet. Sie ist wesentlich, um spezifische Unterstützung in der Gestalttherapie zu geben. Keine Landkarte wird je genau genug sein, um uns vor den Schlaglöchern und Wegbiegungen entlang des Weges zu warnen. Keine Landkarte ist je aktuell genug, um das, was im Hier und Jetzt passiert, zu erfassen. Diese Art der Orientierung ist ausreichend, wenn der Reisende nach zahllosen Reisen und unzähligen studierten Landkarten weiß, wie er sich auf unbekanntem Gebiet bewegt.

      Antonio Sichera

      Mit ihrer Abhandlung nehmen Roubal, Gecele und Francesetti ein sehr heikles Thema in Angriff und widmen sich ihm mit Klarheit, Sorgfalt und Fachwissen. Ihre solide Erfahrung auf diesem Gebiet wird in ihren Ausführungen deutlich. Der Essay stellt einen wichtigen Beitrag zur Gestalttherapie dar, da er Daten systematisiert und mit Ernsthaftigkeit und einer Bewusstheit für die Probleme nach innovativen Lösungen sucht.

      Man kann nicht umhin, einigen wesentlichen Punkten zuzustimmen, die der Text aufzeigt: Er spricht gegen einen weit verbreiteten und gefährlichen Mangel an theoretischem Hintergrund und fordert bei GestalttherapeutInnen ein fundiertes Wissen über die am häufigsten gebrauchten Modelle und sprachlichen Gepflogenheiten auf diagnostischem Gebiet. Er lädt zum kritischen Gebrauch solcher Schemata ein und betont, wie wichtig es ist, solche Instrumente im gestalttherapeutisch-hermeneutischen Rahmen zu nutzen, ohne die eigene Einstellung zum Gestaltansatz aufzugeben. Und schließlich geht es in dieser Abhandlung um die Notwendigkeit eines wohldurchdachten und achtsamen Umgangs mit Problemen – in einem starken gestalttherapeutischen Sinn –, der keine Annäherung versucht, sondern eine authentische Gestaltpsychopathologie schafft, die auf den wichtigsten Beiträgen basiert.

      An dieser Stelle sollen weder die klugen, ernstzunehmenden und richtungweisenden Feststellungen dieses Essays noch die begrüßenswerten Entwicklungen analysiert werden, die er einläutet. Ich halte es jedoch für fair, ein paar Kritikpunkte hervorzuheben. Tatsächlich hat uns Heidegger gelehrt, dass das Denken immer eine radikale Übung ist, die sich idealerweise auf einen Ausgangspunkt zubewegt, im Sinne einer bewussten Vermeidung von Kompromissen und Abkürzungen. Ich würde sagen, dass es in dem Text aus dieser hermeneutischen Perspektive einige »Vereinfachungen« und ein paar Antworten gibt, die seiner grundlegenden Aufgabe nicht ganz gerecht werden, eine »kommunizierbare«, mitteilbare und dennoch typisch gestalttherapeutische diagnostische Perspektive zu schaffen. Ich werde den Platz, den ich zur Verfügung habe, dazu nutzen, zwei wesentliche Punkte hervorzuheben.

      Im ersten Punkt geht es um Philosophie.

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