Gestalttherapie in der klinischen Praxis. Группа авторов

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Gestalttherapie in der klinischen Praxis - Группа авторов EHP - Edition Humanistische Psychologie

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style="font-size:15px;">      Die wichtigsten Studien zur Entwicklungstheorie in der Gestalttherapie stammen von Wheeler (2000b), McConville (1995), Wheeler / McConville (2002) und Oaklander (1988), während sich die Texte von Smith (1985b), Kepner (1993) und Frank (2001) mit der Rolle der körperlichen Prozesse während einer Therapiesitzung beschäftigen. Meiner Ansicht nach ergänzen sich all diese Ansätze. Ruella Frank fasst z. B. in Theorien zusammen, was sie aus Laura Perls klinischer Arbeit und von anderen bewegungsorientierten Ansätzen gelernt hat, und hat ein Modell der Entwicklung des impliziten Beziehungswissens geschaffen, des In-Kontakt-Seins des Kindes als Körper in Bewegung (man könnte es auch ein Modell der Entwicklung der Es-Funktion des Selbst nennen).

      Wheeler und McConville erinnern an die Notwendigkeit eines entwicklungsorientierten Modells, das das unitäre beziehungsorientierte Wesen der Entwicklung und damit das Kind und die Umwelt – mit einem Wort: das Feld – in Betracht zieht.3

      Die GestalttherapeutIn braucht einen »somatischen und beziehungsorientierten ästhetischen Geist« statt einer epigenetischen Landkarte oder eines in Phasen unterteilten Entwicklungsschemas. Um unserer Diagnose und unserer Intervention eine Richtung geben zu können, müssen wir im Körper und in den Worten der PatientIn die Entwicklung der Kontaktprozesse nachvollziehen. Um zu verstehen, welche Frische und Lebendigkeit noch in ihnen enthalten sind, brauchen wir keine Reifephasen. Die therapeutische Sprache muss von der »Vernunft des Leibes« der PatientIn ausgehen, um es mit Nietzsche zu sagen, wie sie im Körper der TherapeutIn widerhallt.

      3. Die gestalttherapeutische Landkarte der polyphonen Entwicklung von Bereichen

      Ich bin der Ansicht, dass zwei Errungenschaften der modernen Entwicklungstheorien in die Entwicklungsperspektive der Gestalttherapie integriert werden müssen: das Prinzip der »Repräsentationen generalisierter Interaktionen« (Representations of Generalized Interactions, RGI) und die Idee der polyphonen Entwicklung. Die RGIs (Stern 1985; Kuhn 1962; Fogel 1992; Beebe / Lachmann 2002, 100) stellen dar, wie ein Kind »Formen des Zusammenseins mit …« und nicht einzelne Verhaltensweisen lernt, deren Ziel die Erfüllung seiner Bedürfnisse ist. Stern et al. (1998a, 1998b) und Beebe / Lachmann (2002) gehen von der repräsentativen symbolischen Ebene (explizit) und der Wahrnehmungs-Handlungs-Ebene (implizit) als grundlegende Bereiche aus, die sich im Laufe des Lebens eines Menschen herausbilden. Die gestalttherapeutischen Kontaktmodalitäten (Introjektion, Konfluenz, Projektion usw.) stellen unsere hermeneutische Kategorie des Being-with dar, unsere Bereiche, die Kompetenzen des Selbst-in-Kontakt mit der Umwelt. In der gestalttherapeutischen Epistemologie würde es keinen Sinn ergeben, von einem Bereich des expliziten oder impliziten Beziehungswissens zu sprechen, da das Selbst ein einheitlicher Kontaktprozess ist (siehe Spagnuolo Lobb 2005a), mit dem Es, den Persönlichkeits- und Ich-Funktionen, durch den man sich kein Wissen, sondern eine ganzheitliche Modalität aneignet, um mit der Umwelt in Kontakt zu treten.

      Das Konzept der polyphonen Entwicklung von Bereichen ist hingegen meine Art zu definieren, was ich von Daniel Stern gelernt habe. Wie im vorherigen Abschnitt erwähnt, spricht Stern von der Entwicklung von Bereichen statt von Phasen (Stern 1985, 1990): Entwicklung impliziert nicht das Erreichen zunehmend komplexer Phasen, die ein Lernen in den vorangegangenen Phasen voraussetzen. Sie bildet sich vielmehr wie die Komposition einer Melodie heraus, zu der immer neue Motive (in der Gestaltsprache könnten wir sie »erworbene Kontaktmodalitäten« nennen) und Instrumente hinzukommen (mit anderen Worten: Fähigkeiten des Being-with, übertragen auf verschiedene Beziehungsmodalitäten, als würde dieselbe Musik von neuen Instrumenten gespielt, die zum Orchester stoßen) und die sich in eine neue, immer flexiblere und komplexere Harmonie verwandelt (Stern 1985; Tronick et al. 1978). Dieses neue Konzept wird der Komplexität der Entwicklungsprozesse gerecht und entspricht gleichzeitig dem ästhetischen Kriterium in der Gestalttherapie: Entwicklung impliziert keine Vergleichsmaßstäbe wie im Phasenkonzept (nach dem vorausgesetzt wird, dass das Kind spezifische Entwicklungsaufgaben oder -ergebnisse erreicht), sondern wird als Melodie betrachtet, die geschätzt und gefördert wird.

      Eine gestalttherapeutische Entwicklungstheorie, die von einer Entwicklung der Kontaktmodalitäten im Hinblick auf die Reifung ausgeht (als seien die Kontaktmodalitäten eine Aneinanderreihung von Entwicklungsaufgaben für den Menschen, von der Konfluenz über die Retroflexion bis hin zur Fähigkeit, »vollständig« in Kontakt zu treten), setzt die synchrone Ebene der Beschreibung der Kontakterfahrung (wie in Perls / Hefferline / Goodman 2006) auf der diachronen Entwicklungsebene voraus. Die Beschreibung der Kontaktmodalitäten in einer Abfolge (Konfluenz, Introjektion, Projektion, Retroflexion usw.) mag tatsächlich zum epistemologischen Kontext des Kontakterlebens zwischen Organismus und Umwelt im Hier-und-Jetzt gehören. Dieser Kontext lässt sich nicht auf die Entwicklungsphasen des Kindes übertragen, kann jedoch in den Kontaktkompetenzen der PatientIn erinnert werden, in Form von Bereichen. Für uns wird der Bereich zum Erfahrungsbereich im Hinblick auf eine bestimmte Kontaktfähigkeit. Mit anderen Worten: Konfluenz, Introjektion, Projektion usw. können keine Entwicklungsphasen sein, sondern sind Kontaktmodalitäten, deren ein Kind fähig ist und die im Lauf des Lebens weiterentwickelt werden. Die TherapeutIn fragt nicht, auf welche Entwicklungsphase sich die Blockade einer PatientIn bezieht, sondern wie die aktuellen Fähigkeiten der PatientIn zu projizieren, zu retroflektieren usw. (die sich im Laufe der Zeit entwickelt haben) sich zu einer Gestalt kombinieren, die jetzt von dem »In-Therapie-Sein« der PatientIn repräsentiert wird. Die Bereiche sind Kompetenzen einer intersubjektiven Erfahrung von Kontaktmodalitäten, die an einem bestimmten Punkt in der Entwicklung eines Kindes deutlicher sichtbar werden und die sich im Laufe des Lebens als autonome Fähigkeiten in gegenseitiger Interaktion herausbilden.

      Mit anderen Worten: Entwicklung kann als Reise zur Komplexität von Kontakten verstanden werden und nicht als eine Progression von weniger reifen Stadien zu reiferen Stadien. Die Entwicklung ist wie eine Melodie, die zuerst von ein oder zwei Instrumenten gespielt wird. Nach und nach gesellen sich weitere Instrumente hinzu. Dadurch werden die Kontakte, die ein Mensch umsetzen kann, immer komplexer. Die klinische Aufgabe besteht nicht darin, die Entwicklungsreife eines Menschen zu beurteilen, sondern abzuschätzen, wie dieser Mensch mit der Komplexität seiner Wahrnehmungen umgeht.

      Die zeitgenössische Psychopathologie4 sieht Verhalten in einem Kontinuum von Normalität an einem Ende bis zu hohen Schweregraden am anderen Ende. Wenn wir diese dimensionale Perspektive auf die Kontakterfahrung anwenden, können wir sagen, dass jeder Bereich von Spontaneität bis zu blockierter/fixierter Erregung reicht. Ich spreche lieber vom »Risiko«, das in jedem Bereich impliziert ist, wenn die Kontaktgrenze desensibilisiert ist. Dadurch können wir unser Augenmerk auf die Spontaneität richten, die beim In-Kontakt-Treten und in der polyphonen Präsenz der Bereiche immer präsent ist (und das ist es auch, was wir in unserer Rolle als PsychotherapeutInnen erkennen und fördern wollen).

      Jeder Bereich beinhaltet die Fähigkeit, an der Kontaktgrenze vollständig anwesend zu sein, das Selbst und den/die Andere(n) auf differenzierte und sensible Weise wahrzunehmen, mit dem Mut, sich in der Unsicherheit der Kontaktsituation zu bewegen. Der Mensch ist an der Kontaktgrenze und hat die Fähigkeit, sich kreativ an die eigene Bewegung und die des/der Anderen anzupassen, kann also mit der Unsicherheit umgehen (man weiß nie, welche Bewegung der/die Andere oder man selbst als Nächstes machen wird) und immer wieder eine kreative Lösung finden, die das eigene Sein und das des/der Anderen voranbringt. Das im vorherigen Abschnitt beschriebene Beispiel vom Kind, das zum Dirigenten wird, erklärt dieses Konzept ganz deutlich: Die Fähigkeit des Kindes, ein »kleiner Therapeut« zu sein, ist eine spontane, natürliche Qualität, die bei Menschen jedes Mal zum Vorschein kommt, wenn sie in schwierigen Situationen eine kreative Lösung für das Being-with finden.

      Die folgende Beschreibung will die Möglichkeit schaffen, das Verhalten des Kindes zu beobachten, ohne es Entwicklungsphasen zuzuordnen, sondern es als die momentane Gestalt zu betrachten. Diese Gestalt besteht aus einem Gewirr von Beziehungskompetenzen, die ihre eigene Entwicklung aufweisen.

      Die gestalttherapeutische Entwicklungsperspektive findet nicht nur in diesem Konzept ihre optimale

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