Gestalttherapie in der klinischen Praxis. Группа авторов

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Gestalttherapie in der klinischen Praxis - Группа авторов EHP - Edition Humanistische Psychologie

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Es ist lächerlich. Und ich empfinde wachsende Verärgerung darüber, dass mein eigener Rhythmus so gravierend beeinträchtigt und kontrolliert wird. Soll ich es einfach weiterlaufen lassen? Soll ich es ansprechen? Nicht einmal im Traum käme ihr in den Sinn, dass wir soeben die zentralen Themen der Sitzung und ein wichtiges Thema ihres Lebens zur Darstellung gebracht haben.« (Stern 2005, 13)

      Aus dem Oberflächenkontakt, der im Hier-und-Jetzt mit der PatientIn aufgebaut wird, erfasst der Therapeut Entwicklungsmuster, die er während der Sitzung bestätigt finden wird. Die PatientIn ist es gewöhnt, als ursprünglich kreative Anpassung in schwierigen Situationen auf dieses Muster des »abwartenden« Kontakts zurückzugreifen. Aus der Frage des Therapeuten: »Soll ich es einfach weiterlaufen lassen? Soll ich es ansprechen?« können wir auf eine spontane Ko-Beteiligung im Abwarten schließen. Der Therapeut merkt, dass er sich (wenn auch gegen Ende verärgert) an diesem Warten beteiligt, indem er die Kontaktgrenze ihrer Sitzung ko-kreiert. Die PatientIn fühlt, dass sie sich in einem Kontakt der Unsicherheit befindet (was sich im Gefühl des Therapeuten spiegelt, der auch unsicher ist, was er tun soll) und löst diese dyadische Unsicherheit durch Abwarten.9

      Es wird interessant sein zu entdecken, welcher Bereich sich im therapeutischen Kontakt hauptsächlich zeigt (wird die PatientIn introjizieren, was die TherapeutIn sagt? Oder ihre Energie auf die TherapeutIn projizieren? Oder schweigend retroflektieren …). Es wird die TherapeutIn sein, die beim Eintreten in denselben Bereich die spezifische Unterstützung bietet, durch die die PatientIn zu einer neuen Wahrnehmung ihrer Kontaktgrenze (einer neuen Gestalt der Bereiche) gelangt. Die TherapeutIn wird gleichzeitig das sein, was ihr zugeschrieben wird, und außerdem eine neue »PartnerIn«, die die unterbrochenen Intentionalitäten unterstützt. Als Gestalttherapeutin erkenne ich mich selbst in dem Konzept wieder, das von Lichtenberg et al. (2000, 104) beschrieben wird, wenn sie sagen, dass die TherapeutIn »die an sie gerichtete Zuschreibung tragen muss« [Übers.: A. J.]. In der Sprache der Gestalttherapie kann dies als das übersetzt werden, was wir die »Ko-Kreation der Kontaktgrenze« nennen: Die TherapeutIn nimmt an der Kontaktmodalität teil, auf die die PatientIn zurückgreift (so gibt sie zum Beispiel Introjekte an einen Menschen, der die Modalität der Introjektion verwendet – siehe dazu das klinische Beispiel im nächsten Absatz), unterstützt aber auch das – und genau darin liegt die Kunst –, was von der PatientIn üblicherweise nicht genutzt wird, nämlich die Erfüllung der Kontaktintentionalität.

      5. Ein klinisches Beispiel: Der verdinglichte Tod

      Eine 57-jährige Patientin sitzt starr in dem Sessel, mir, der Therapeutin, gegenüber (Bereich der Retroflexion). Die Patientin lächelt höflich. Sie hat ihre Handtasche auf dem Schoß und hält sie ganz fest, als könne sie sich aus irgendeinem Grund nicht entspannen (Bereich der Projektion). Mir fällt auf, dass ihr Atem flach ist, und zwar so flach, dass sich ihre Haltung durch den Rhythmus des Ein- und Ausatmens nicht zu verändern scheint. Die Patientin nimmt alle meine Versuche wahr, sie zu beruhigen, ihre Reaktion lässt jedoch nicht erkennen, dass sie sich allmählich sicherer fühlt (Bereich der Introjektion). Meine Wahrnehmung an der Kontaktgrenze ist Verwunderung angesichts der extremen Verschlossenheit der Patientin, und ich fühle mich nicht fähig, ihre Reaktion als Angst zu akzeptieren und kodifizieren. Ich spüre ein Gefühl der Kälte an der Kontaktgrenze, die Unfähigkeit zu akzeptieren. Die Beziehungsmuster der Bewegung, meines und das der Patientin, sind gezwungen und zielen vielmehr darauf ab, mögliche Überraschungen zu kontrollieren, als auf eine (gegenseitige) Öffnung der Anderen gegenüber (Bereich des Egotismus). Während ich das beobachte, höre ich der Patientin zu. Im Mittelpunkt ihrer Geschichte steht das Grab der Familie ihres Ehemanns. Dieses Grab scheint ihre Gedanken auf seltsame Weise zu fesseln. Sie fühlte sich verpflichtet, ihrer Ursprungsfamilie zu erlauben, ihre Stiefmutter im Familiengrab ihres Ehemannes zu beerdigen. Sie selbst hatte keine gute Beziehung zu ihrer Stiefmutter und fühlt sich seitdem unglücklich, verzweifelt. Zwei Jahre zuvor ist sie in Rente gegangen und kann sich nicht an diese Veränderung in ihrem Leben gewöhnen. Sie kann nachts nicht schlafen. Sie fühlt sich sehr angespannt und denkt, dass sie kurz davor ist, verrückt zu werden. Sie war bereits bei einem Psychotherapeuten in Behandlung, von dem sie viel Zuspruch für die positiven Dinge bekam, die sie in ihrem Leben getan hat. Zuerst fühlte sie sich besser, doch der Grundgedanke, die Vorstellung eines von einem Außenseiter geschändeten Grabes (es ist das Grab, in dem sie und ihr Ehemann einmal beerdigt werden sollen), lässt sie nicht los (Bereich der Konfluenz). Das körperliche Unwohlsein ist geblieben, trotz des Zuspruchs des früheren Therapeuten, der ihre Persönlichkeitsfunktion, ihre soziale Rolle, unterstützt hat.

      Die klinische Evidenz der Es-Funktion des Selbst (ein steifer, kontrollierender Körper und flache Atmung) und der Persönlichkeitsfunktion (das Gefühl, verrückt zu werden, die Kontrolle über sich zu verlieren), ihre Art, sich auszudrücken (Ich-Funktion), die eine auf körperlicher Ebene erlebte Sorge ausdrückt, dass sie eine so intime Sache wie das Familiengrab nicht kontrollieren kann, meine Empfindungen an der Kontaktgrenze, dass es nicht möglich ist, Gefühle mit der Patientin zu teilen – all das sind Aspekte des phänomenologischen Feldes, die für die Diagnose »Persönlichkeitsstörung vom schizoiden Typus« sprechen. Ohne diese Art der »tiefergehenden« Beobachtung der »Oberfläche« hätte ich mich zu der Diagnose »Anpassungsstörung vom depressiven Typus« verleiten lassen. Auch die kürzliche Berentung der Patientin hätte dabei vermutlich eine Rolle gespielt. Daraus hätte sich eine Intervention ergeben, die sich – wie die des vorhergehenden Therapeuten – auf eine Unterstützung der Persönlichkeitsfunktion, die soziale Definition des Selbst, konzentriert hätte. Wenn man sein Augenmerk jedoch auf die Prozesse der Ko-Kreation des Kontakts richtet und die physiologischen Unterstützungen in Betracht zieht, mit deren Hilfe die Patientin in Kontakt tritt, kann man eine Störung der Es-Funktion diagnostizieren, was nach einer gänzlich anderen Art von Unterstützung verlangt.

      Eine Kombination aus Spontaneität und Nachdenken bringt mich schließlich zu der Entscheidung, die therapeutische Intervention einerseits auf meinem realen Gefühl basieren zu lassen und mich an der Frage zu orientieren, welche innere oder äußere Sicherheit mir helfen würde, mich an der Kontaktgrenze mit der Patientin soweit zu entspannen, dass ich Gefühle für sie empfinden kann. Andererseits will ich mich einer Sprache bedienen, die bei der körperlichen Erfahrung der Patientin beginnt, bei dem Gefühl der verletzten Intimität, aber bestimmt nicht bei Ermutigungen, die kein in der Situation verkörpertes Mitgefühl ausdrücken.

      In diesem speziellen Fall lässt mich ein von der Patientin erwähntes Symptom aufhorchen: Sie kann sich das Wort »Tod« nicht anhören. Wenn sie es in einem Buch liest, muss sie das Buch weglegen und kann es nie wieder zur Hand nehmen. Wenn sie es in den Nachrichten im Fernsehen hört, muss sie den Raum verlassen oder den Fernseher abdrehen. Die Macht, die dieses Wort für die Patientin hat – über meine Sorge wegen ihres zwanghaften Erlebens hinaus, das ein Zeichen starker Angst ist und zu einem psychotischen Kollaps führen könnte – gibt mir einen Hinweis auf den Bereich der Konfluenz und erinnert mich an Piagets Entwicklungstheorie (1937) und das Konzept der »Verdinglichung« von Worten und Objekten, die Teil des animistischen Denkens von Kindern sein kann. Für ein Kind, dass sich in der Phase der animistischen Gedanken befindet, hat der Mond eine Seele und einen Willen, und Wörter (oder andere Objekte) können mit einem Eigenleben ausgestattet sein.

      Das Auftauchen dieses machtvollen Gefühls und die Erinnerung an Piagets Theorie bilden die Basis für die epoché (ein phänomenologisches, von Husserl begründetes Konzept), in der die therapeutische Intervention gebildet wird. Ich entscheide, im Hinblick auf die Sprache zu intervenieren und sage zu der Patientin: »Das Wort ›Tod‹ ist nur ein Wort, es hat selbst keine Macht. Sie haben Macht über das Wort, nicht über den Tod selbst, aber über dieses Wort schon. Sie können es ausblenden, einfach weghören, es ersetzen. Sie haben Macht über das Wort ›Tod‹.«

      Was ich sage, bedeutet keine Geringschätzung ihrer Fähigkeit, in Konfluenz mit dem durch das Wort »Tod« ausgelösten Erleben zu sein. Gleichzeitig gebe ich ihr ein gutes Introjekt, indem ich ihr beibringe, dass sich das Wort vom Tod an sich unterscheidet. Mein Gefühl gibt mir einen Hinweis darauf,

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