Gestalttherapie in der klinischen Praxis. Группа авторов

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Gestalttherapie in der klinischen Praxis - Группа авторов EHP - Edition Humanistische Psychologie

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sich der Wiege, blickt sanft auf das Baby herab und sagt mit heller und wohltönender Stimme: »Oh, wie hübsch du heute Morgen aussiehst.« Das Baby sieht ihr Gesicht, hört ihre Stimme und streckt sofort beide Arme nach ihr aus. Die Mutter lächelt und greift nach ihm.

      Daraus können wir ableiten, dass das Baby »die Intentionen der Erwachsenen intuitiv erkennt und sie zum Abschluss bringt.« Mit anderen Worten: Wir können daraus schließen, dass das Baby in den sich nähernden Schritten der Mutter einen Teil von sich selbst gehört und im Gesicht der Mutter einen Teil von sich selbst gesehen hat, von dem es bis zu diesem Moment nicht gewusst hatte, dass er da war. Erst, als die Mutter auf seinen Ausdruck reagiert, weiß das Baby, dass »das meins ist«. Wir könnten vielleicht sagen, dass das, was es als meins wahrnimmt, auch ein Teil von ihr ist. Wir können daraus auch schließen, dass in der Mutter etwas Ähnliches vorgeht. Daniel Stern nennt dies ein »implizites Beziehungswissen«. In diesen Momenten der kreativen Anpassung gibt es nicht nur Gegenseitigkeit, sondern auch Gemeinsamkeit, mit deren Hilfe die Intentionalität (mit-)geteilt wird. »Ich sehe dich mich sehen«, »Ich fühle dich mich fühlen«.

      Ich denke, dass eine vollständigere phänomenologische Beschreibung jedes Bereiches die Bi-Direktionalität von Entwicklungsprozessen in den ersten drei Lebensjahren und im fortlaufenden In-Kontakt-Treten untermauern könnte.

      Wir PsychotherapeutInnen könnten uns dann fragen: »Was sagt uns das, was meine PatientIn von sich in mir sieht/fühlt, und dem, was ich von mir in meiner PatientIn sehe/fühle, über die Situation, die wir gerade leben? Wie sieht sich meine PatientIn selbst in der Art, wie ich auf dem Stuhl sitze, wie ich mich auf sie zu – oder mich von ihr wegbewege, wie ich gestikuliere und atme?« In der Beobachtung an der Kontaktgrenze, die uns im Laufe dieses Kapitels ganz richtig und überzeugend ans Herz gelegt wird, sind die Errungenschaften des In-Kontakt-Tretens – die durch Entwicklung gewonnen Fähigkeiten – lebendig und präsent, um mit ihnen und durch sie zu arbeiten.

      Margherita Spagnuolo Lobb präsentiert hier eine weitere wichtige Idee für unser Verstehen, nämlich dass die KlientIn in der PsychotherapeutIn ihren Widerhall findet. Man kann diesen Aspekt gar nicht genug betonen. Es ist schließlich eine unserer wesentlichen Methoden, eine Diagnose des Beziehungsfeldes zu stellen – durch das, was wir sehen, hören und fühlen. Aus meiner Sicht entsteht das, was wir hören und sehen, aus dem, wie wir fühlen und uns bewegen. Ich denke, dass es grundlegend wichtig ist, immer wieder darauf zurückzukommen, wie wir PsychotherapeutInnen das Gewicht unseres Körpers auf dem Stuhl wahrnehmen, bevor wir eine Intervention angehen oder vorschnell eine Idee entwickeln, die möglicherweise entkörpert ist. Wie ich meinen Supervisanden immer sage: »Beginnen Sie keine Intervention, bevor Sie sich selbst in Ihrem Stuhl spüren.« Mein Erleben des Körpergewichts ist eine geteilte Erfahrung, das heißt, dass ich durch das Spüren meines Körpers das »Es der Situation« (Robine 2010) wahrnehme, oder das, was zwischen uns passiert und was ich durch mein körperliches Erleben erfahre.

      Wenn wir uns selbst nicht deutlich wahrnehmen können – wissen, dass wir hier sind und wie wir hier sind, wie können wir wissen, wie wir den/die Andere(n) wahrnehmen und was zwischen uns passiert – wir können nur raten. Doch wenn wir uns unserer körperlichen Einstimmung widmen, von der Spagnuolo Lobb sagt, dass sie die Erfahrung von PsychotherapeutIn und PatientIn »vereint«, begleiten wir den fortlaufenden non-verbalen Dialog innerhalb des Beziehungsfelds. Ich würde dem hinzufügen, dass wir, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf unser körperliches Erleben richten, nicht nur wissen, wie wir auf die KlientIn reagieren, sondern auch, welche Signale wir ihr geben. Dies ermöglicht uns eine deutlichere Konzeptualisierung dessen, was in der Situation der Therapie vor sich geht, und lässt uns spüren, wenn unser eigenes Verhalten den fortlaufenden non-verbalen Dialog während der Sitzung behindert oder erleichtert. Es ist wichtig, eine gefühlte Grundlage für das Wissen zu haben, wie wir was tun, um die in der Situation gegebenen Phänomene zu beeinflussen. Mit anderen Worten: Genauso wie die KlientIn uns durch ihren körperlichen Ausdruck Signale gibt, so geben auch wir Signale. Und wir müssen uns fragen: »Was ist mein Anteil an dem ›Symptom‹ dieses Menschen, wie es sich in genau diesem Moment zeigt? Wie trage ich dazu bei, dass dieser Ausdruck entsteht? Von hier aus kann die PsychotherapeutIn »der eigenen Erfahrung und der der PatientIn innerhalb des ko-konstruierten kinetischen Dialogs nahe bleiben« (Frank / La Barre 2010).

      Dieses Konzept der Bi-Direktionalität muss in diesem Kapitel hervorgehoben und in der Fallstudie wieder aufgegriffen werden, sodass deutlicher wird, wie wir an der Kontaktgrenze arbeiten, d. h. wie wir innerhalb eines von zwei Personen verkörperten Beziehungsmodells anstelle eines individualistischen Ein-Personen-Modells arbeiten. In ihrer Fallstudie Der verdinglichte Tod bleibt Spagnuolo Lobb nahe an dem, was sie sieht und fühlt, um die Feldstruktur aus der Perspektive der Erfahrungsbereiche zu diagnostizieren. Der Fall ist gut geschrieben, die Therapie wohl durchdacht. Gleichzeitig frage ich mich jedoch, inwiefern die PsychotherapeutIn Teil des Bereichs der Projektion gewesen ist. Mit anderen Worten: Wie die PsychotherapeutIn zur steifen Haltung der PatientIn und deren An-der-Tasche-Festhalten beiträgt. Es tauchen Fragen auf wie: Was sieht sie, die PatientIn, in der PsychotherapeutIn, dass sie die Tasche so fest halten lässt? Warum ist diese PatientIn so entschlossen, sich an sich selbst festzuhalten, anstatt nach der TherapeutIn zu greifen und sich an ihr festzuklammern? Und es stellt sich wieder die Frage, wie Worte und Körper der PsychotherapeutIn in der PatientIn widerhallen und das Beziehungsfeld kontinuierlich formen? Wenn wir mithilfe dieser Erfahrensbereiche diagnostizieren, muss uns klar sein, auf welche Art und Weise dieses Feld der Phänomene eine Reflexion der Ko-Kreation des Erlebens in jedem Moment darstellt – eine entstehende ko-kreierte Erfahrung beeinflusst das Feld der Phänomene, aus dem weitere ko-kreierte Erfahrung entsteht. Die TherapeutIn kann sich nicht aus dem Prozess der Diagnosestellung herausnehmen, der sich fortlaufend innerhalb des Ko-Kreierens der Erfahrung entwickelt.

      Abschließend möchte ich Margherita Spagnuolo Lobb zu diesem bedeutenden Beitrag zu unserem Feld gratulieren, der in diesem Kapitel gezeigt wird. Die Entstehung von Erfahrungsbereichen – Kontaktmodalitäten – ist ein wichtiges Konzept und nützlich für uns GestalttherapeutInnen, um Damals-und-Dort-Erfahrungen, die im Hier-und-Jetzt auftauchen, besser zu verstehen. Die Art von somatischer und entwicklungsbezogener Linse, die sie beschreibt, gibt uns einen festeren Boden, auf dem wir stehen können. Sie trägt dazu bei, uns alle auf dem einst verbotenen Gebiet der Entwicklungstheorie des Menschen willkommen zu heißen, was die Gestalttherapie auch weiterhin zu einer relevanten und signifikanten psychotherapeutischen Modalität macht.

      Dan Bloom

      Das Konzept der situativen Ethik als ethische Architektur der Erfahrungswelt der Psychotherapie bestimmt den Aufbau des vorliegenden Kapitels. Dieses Ethikkonzept ist der Grund, weshalb wir uns überhaupt mit Ethik befassen. Ich werde die situative Ethik beschreiben und ganz allgemein zeigen, auf welche Weise sich die Ethik unserer klinischen Praxis zu deren Bezugsrahmen verhält. Dabei stelle ich die intrinsische, die extrinsische und die grundlegende Ethik als wichtige praktische ethische Kategorien vor, die uns in unserer täglichen Arbeit als PsychotherapeutInnen leiten.

      Das folgende Beispiel illustriert das ethische Gleichgewicht, das in einem Moment intensiven Kontakts in einer Gestalttherapiesitzung entsteht.

      Ein Mann beugt sich mit gesenktem Blick vor und sagt: »Wissen Sie, ich wollte heute nicht herkommen. All diese Therapien funktionieren nicht. Nichts hat bisher geholfen und nichts wird jemals helfen. Ich fühle mich wie ein Klumpen Blei.«

      Der Therapeut merkt, dass er sich ebenfalls vorbeugt. »Jim, ich fühle mich Ihnen nahe, während Sie sprechen. Sie sind hier und Sie scheinen sich auf mich zuzubewegen. Würden Sie den Kopf heben?«

      Der Mann hebt den Kopf. Sein Blick begegnet dem des Therapeuten. Er lächelt.

      Der Therapeut lächelt … sie hören sich ausatmen, als sei es ein einziger

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