Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Edgar H. Schein

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Prozessberatung für die Organisation der Zukunft - Edgar H. Schein

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deren Handhabung dem Berater vertraut ist; oder (3) der Miteinbeziehung des Klienten in einen Prozess, den letztendlich sowohl Klient wie Berater als hilfreich empfinden. Wie im weiteren Verlauf gezeigt wird, beruhen diese drei Modi auf grundlegend verschiedenen Modellen darüber, was »Hilfe« beinhaltet, und diese Modelle wiederum fußen auf vollkommen unterschiedlichen Annahmen dazu, was eigentlich Wirklichkeit ist und was Hilfe ausmacht.

      In den letzten Jahren erlebte der Bereich Beratung einen Boom, doch nach wie vor herrscht Unklarheit über die Konzepte von Beratung und darüber, was Berater eigentlich für die Organisationen tun, wie sie ihre Arbeit anpacken und wie sie Hilfe verstehen. Leute, die sich Organisationsberater nennen, liefern zum Beispiel Informationen, analysieren mit Hilfe von eigenen Diagnosemethoden Informationen, identifizieren und diagnostizieren komplexe Probleme, für die sie Lösungen empfehlen, helfen Managern, schwierige oder unpopuläre Entscheidungen umzusetzen, unterstützen diese Manager und stärken ihnen den Rücken.

      Viele Analytiker des Beratungsprozesses argumentieren, dieser Prozess funktioniere nur, wenn der Klient genau weiß, was er will, und wenn der Berater auf das spezifische Problem zugeschnittene Lösungen anbieten kann. In einem solchen Modell werden die Klienten, wenn sie unzufrieden sind, beschuldigt, nicht klar genug ihre Wünsche ausgedrückt oder nur unwillig den Empfehlungen des Beraters gefolgt zu sein. Nach meiner Erfahrung jedoch wissen Hilfesuchende oft nicht, was sie eigentlich wollen, und man sollte dies auch nicht von ihnen erwarten. Sie sind sich nur insoweit sicher, dass etwas nicht so läuft, wie es laufen sollte, oder ein Ideal nicht erfüllt wird und deshalb Hilfe in Anspruch genommen werden sollte. Zu jedem Beratungsprozess gehört daher notwendigerweise, dem Klienten dabei zu helfen, seine Probleme oder Anliegen einzukreisen und erst im Anschluss daran über die Art der benötigten Hilfe zu entscheiden. Manager in einer Organisation spüren häufig, dass nicht alles so ist, wie es sein sollte, aber ihnen fehlt die Handhabe, aus diesen vagen Gefühlen klare Erkenntnisse zu destillieren, die konkrete Maßnahmen ermöglichen.

      Der Beratungsmodus, den ich im Folgenden detailliert beschreiben werde, beschäftigt sich vor allem mit Situationen, wie ich sie hier vorstellte. Der Berater, der nach dem Prozessberatungsmodus vorgeht, erwartet vom Manager nicht, dass er bereits weiß, was im Argen liegt, welche Hilfe benötigt wird oder was der Berater tun könnte. Für einen konstruktiven Prozessbeginn ist nichts weiter nötig als der Wunsch des Klienten, etwas zu verbessern und dazu Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der Beratungs prozess selbst hilft dann dem Klienten dabei, die Diagnoseschritte festzulegen, die letztendlich das Maßnahmenprogramm und die konkreten Veränderungen bestimmen, aus denen sich eine Verbesserung der Situation ergibt.

      Am besten lassen sich Beratungs- und helfende Prozesse unterscheiden anhand einer Analyse ihrer impliziten Annahmen bezüglich des Klienten, bezüglich des Wesens der Hilfe, der Rolle des Beraters und bezüglich der letztendlichen Natur der Wirklichkeit, in der sich Klient und Berater bewegen. Die drei Grundmodelle, die nachfolgend diskutiert werden, lassen sich als verschiedene Operationsmodi auffassen und werden durch die drei verschiedenen Rollen definiert, die Beratern zur Verfügung stehen, wenn sie einem Klienten helfen. Diese drei Modelle lassen sich ebenso auf die verschiedenen Methoden anwenden, nach denen wir vorgehen, wenn wir in unserem Alltagsleben einem Hilfe suchenden Kind, Ehepartner oder Freund helfen wollen. Der Hauptgrund für die klare Unterscheidung zwischen den drei Modellen liegt darin, dass der Helfer sich von einem Augenblick zum anderen entscheiden muss, welche Rolle er gerade innehat oder welches Hilfemodell er anwendet. Doch alle drei Modelle gehen davon aus, dass Hilfe die primäre Funktion der Beratung ist. Das Konzept der Hilfe nimmt bei diesem Beratungsansatz eine derart zentrale Stelle ein, dass man nicht umhin kommt, es als das erste übergreifende Prinzip für den Umgang mit dem anderen aufzufassen.

      ERSTES PRINZIP

       Versuche stets zu helfen

       Beratung bedeutet zu helfen. Es versteht sich von selbst, dass ich ohne die Bereitschaft, zu helfen und daran zu arbeiten, wohl keine helfende Beziehung herstellen kann. Jeder Kontakt sollte, soweit möglich, als hilfreich wahrgenommen werden.

      Allerdings beruhen die drei Modelle auf grundverschiedenen Annahmen darüber, was Hilfe in jeder gegebenen Situation ausmacht. Und sie unterscheiden sich außerordentlich in ihren möglichen Konsequenzen. In jeder Situation, in der Hilfe angeboten oder um sie nachgesucht wird, müssen wir uns über die wirklichen Abläufe im Klaren sein und über die Helferrolle, die wir annehmen. Wir können nicht alle drei Rollen gleichzeitig ausfüllen, uns bleibt also nichts anderes übrig, als uns dessen bewusst zu sein, welche Rolle wir in der jeweiligen Situation vorziehen. Und um uns dessen bewusst zu sein, müssen wir fähig sein, die jeweilige Wirklichkeit zu entschlüsseln und zu erfahren sowie uns dieser Wirklichkeit entsprechend zu verhalten. Unter Wirklichkeit verstehe ich ein Gefühl für innere Vorgänge – dafür, was in einer Situation in mir oder einer oder mehreren anderen Personen vorgeht, und dafür, wie diese Situation selbst zu verstehen ist. Wunschdenken, Klischees, Projektionen, Erwartungen, frühere Pläne und alles andere, was eher auf alten Vorstellungen oder psychologischen Bedürfnissen beruht als auf Fakten aus dem Hier-und-Jetzt, behindern in der Regel eine weise Entscheidung darüber, wie man am besten hilft.

      Dieses Wirklichkeitskonzept beruht auch auf der epistemologischen Annahme, dass die Kultur und das Denken die äußere Realität schaffen, in der wir uns bewegen, und dass wir uns daher in einem steten wechselseitigen Prozess der Entschlüsselung der Vorgänge um uns befinden. Weder der Berater noch die hilfesuchende Person können eine objektive äußere Realität definieren, die außerhalb ihrer Beziehung und des kulturellen Kontexts existiert. Doch zusammen können sie umreißen, wie ihre aktuellen Annahmen und Wahrnehmungen diese Realität schaffen und wie sie mit dieser Realität im Sinne des Klienten am besten umgehen, dem es um eine Verbesserung der Situation geht. Das zweite übergreifende Prinzip, das den Helfer/Berater in seinem Vorgehen leiten sollte, ist daher, sich stets mit der Realität des Hier-und-Jetzt auseinanderzusetzen.

      ZWEITES PRINZIP

      Verliere nie den Bezug zu der aktuellen Realität.

       Ich kann nicht helfen, wenn ich mir nicht über die Realität im Klaren bin, d.h. darüber, was in mir und im System des Klienten vorgeht. Daher sollte jeder Kontakt zu jedem Angehörigen des Klientensystems sowohl für den Klienten als auch für mich weitere Informationen liefern zur Diagnose des aktuellen Standes des Klientensystems und zu der Beziehung zwischen dem Klienten und mir.

      

       1. Modell: Der Einkauf von Informationen oder das Expertenmodell: Telling and Selling

      Das Telling-and-selling-Modell der Beratung geht davon aus, dass der Klient vom Berater Informationen und eine Expertendienstleistung erwirbt, die er selbst nicht erbringen kann. Der Käufer, gewöhnlich ein einzelner Manager oder der Vertreter einer Gruppe in der Organisation, definiert ein Bedürfnis und folgert, dass die Organisation weder über die Ressourcen noch über die Zeit verfügt, dieses Bedürfnis zu befriedigen. Daher wird ein Berater eingeschaltet, um diese Informationen oder diese Dienstleistung zu erbringen. Möglicherweise möchte ein Manager mehr über das Befinden einer bestimmten Kundengruppe herausfinden, oder er will wissen, wie eine Gruppe seiner Angestellten auf eine neue Personalpolitik reagieren wird oder wie das Arbeitsklima in einer bestimmten Abteilung beschaffen ist. Dann wird er einen Berater beauftragen, eine Erhebung mittels Interviews oder Fragebögen durchzuführen und die Daten zu analysieren.

      Es kann auch sein, dass der Manager eine bestimmte Gruppe neu organisieren und vom Berater wissen will, wie solche Gruppen in anderen Unternehmen organisiert werden – zum Beispiel wie in Anbetracht der modernen Informationstechnologie die Buchhaltung und das Controlling organisiert werden können. Oder der Manager möchte das eine oder andere über Konkurrenzunternehmen in Erfahrung bringen,

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