Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Edgar H. Schein

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Prozessberatung für die Organisation der Zukunft - Edgar H. Schein

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wie sie ihre Forschungs- und Entwicklungsfunktionen organisieren, wie viele Beschäftigte sie in einer typischen Fabrik haben usw. Er beauftragt dann vielleicht einen Berater, um diese anderen Unternehmen zu studieren und ihm die entsprechenden Daten zu liefern. In all diesen Fällen wird davon ausgegangen, dass der Manager weiß, welche Informationen oder Dienstleistung er wünscht und was der Berater ihm bieten kann.

      Wie wahrscheinlich es ist, dass diese Art von Hilfe funktioniert, hängt von folgenden Gegebenheiten ab:

      1. Ob der Manager seine eigenen Bedürfnisse richtig erkannt hat.

      2. Ob er diese Bedürfnisse dem Berater klarmachen konnte.

      3. Ob er richtig eingeschätzt hat, inwiefern der Berater diese Informationen beschaffen bzw. diese Dienstleistung erbringen kann.

      4. Ob er die Konsequenzen dieser Entscheidung bedacht hat, einen Berater diese Informationen einholen zu lassen oder die Veränderungen einzuleiten, die von diesen Informationen nahegelegt oder von dem Berater empfohlen werden.

      5. Ob es eine externe Realität gibt, die sich objektiv studieren und übertragen lässt in Wissen, das dem Klienten dienlich ist.

      Die häufige Unzufriedenheit mit Beratern und die niedrige Umsetzungsrate ihrer Empfehlungen sind leicht zu erklären, wenn man sieht, wie viele der obigen Annahmen erfüllt sein müssen, damit das Telling-and-selling-Modell effektiv sein kann. Des Weiteren sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass der Klient in diesem Modell Macht abgibt. Der Berater wird beauftragt oder ermächtigt, für den Klienten wichtige Informationen oder wichtiges Know-how einzuholen. Doch sobald dieser Auftrag erteilt ist, wird der Klient abhängig von dem, was der Berater ihm liefert. Ein Großteil des Ressentiments gegenüber dem Berater in den späteren Stadien stammt vielleicht aus dieser anfänglichen Abhängigkeit und dem unangenehmen Gefühl, das dieses bewusst oder unbewusst beim Klienten hervorruft.

      Dazu kommt, dass der Berater sich in diesem Modell versucht fühlen wird, alles zu verkaufen, was er weiß und worin seine Stärken liegen – für jemanden, der nur einen Hammer hat, scheint die ganze Welt aus Nägeln zu bestehen. Was die Gefahr in sich birgt, dass der Klient nicht richtig darüber informiert wird, welche Informationen oder Dienstleistungen ihm tatsächlich weiterhelfen würden. Und natürlich wird unterschwellig vermittelt, es gäbe »da draußen« dieses Wissen, das in das Klientensystem geholt werden muss, und dass der Klient diese Informationen oder dieses Wissen verstehen und für sich einsetzen kann. Zum Beispiel geben Organisationen häufig Umfragen in Auftrag, in denen die Einstellung ihrer Angestellten zu bestimmten Themen ermittelt oder die Unternehmenskultur »diagnostiziert« werden soll. Treffen dann die »Experten«-Daten in quantitativer Form ein, brüten die Manager nach meiner Erfahrung oft über den Balkendarstellungen und quälen sich damit ab, herauszufinden, was sie jetzt wissen, wenn sie schwarz auf weiß vor sich haben, dass 62 Prozent der Angestellten das System der Karriereentwicklung ihres Unternehmens als mangelhaft einstufen. Welchen Informationswert besitzt eine solche Aussage in Anbetracht der Probleme, ein Sample zu wählen, einen Fragebogen zu entwerfen, der Semantik von Wörtern wie Karriere und Entwicklung, der Frage, ob nun 62 Prozent in einen größeren Zusammenhang gestellt eher als gut oder schlecht zu bewerten sind, der Schwierigkeit, sich darüber klar zu werden, was die Angestellten sich bei der Beantwortung der Frage dachten, usw.? In dieser Situation ist Wirklichkeit ein schwer zu fassendes Konzept.

      Die Prozessberatungsalternative

      Im Gegensatz dazu geht es nach der Prozessberatungs-Philosophie darum, den Klienten und den Berater in einen Prozess der wechselseitigen und gemeinsamen Diagnose einzubinden, was nur die Realität widerspiegelt, dass zu diesem Zeitpunkt der Kontaktaufnahme weder Klient noch Berater genug wissen können, um zu definieren, welches Wissen und Know-how in der gegebenen Situation relevant sind. Der Berater ist bereit, mit einem einzelnen Klienten oder einer Organisation zu arbeiten, ohne einen klaren Auftrag zu erhalten, ein Arbeitsziel oder ein festumrissenes Problem genannt zu bekommen. Denn er geht davon aus, dass bei jedem Menschen, jeder Gruppe oder Organisation Prozesse verbessert und effizienter werden können, falls es gelingt, die Prozesse herauszufiltern, die die Gesamtleistung entscheidend beeinflussen. Es gibt keine perfekte Organisationsstruktur und keinen perfekten Prozess. Jede Organisation hat ihre Stärken und Schwächen. Daher sollte ein Manager, wenn er das Gefühl hat, etwas liege im Argen, da Leistung und Moral zu wünschen übrig lassen, nicht überstürzt handeln, bevor er sich über die Stärken und Schwächen der gegenwärtigen Struktur und Prozesse seiner Organisation im Klaren ist.

      Die Prozessberatung zielt vor allem darauf ab, dem Manager bei dieser Diagnose und der Entwicklung eines geeigneten, entsprechend dieser Diagnose ausgearbeiteten Handlungsplanes zu helfen. Dazu gehört implizit, dass weder Klient noch Berater Macht abgeben. Die beiden müssen sich die Verantwortung über die erlangten Erkenntnisse und geplanten Vorgehen teilen. Aus Sicht der Prozessberatung darf der Berater dem Klienten nicht das Problem abnehmen, sondern er muss sich darüber klar sein, dass dieses Problem ausschließlich das des Klienten ist und niemand sonst die Verantwortung dafür übernehmen kann. Der Berater kann nur die Hilfestellung geben, die der Klient braucht, um dieses Problem selbst zu lösen.

      Eine gemeinsame Diagnose und Planung der Vorgehensweise ist allein deshalb unumgänglich, da der Berater so gut wie nie genug über eine Organisation in Erfahrung bringen kann, um wirklich sagen zu können, welche Vorgehensweise die beste ist oder welche Informationen wirklich weiterhelfen würden, denn die Art und Weise, wie die Mitglieder einer Organisation eine Information gedanklich verarbeiten und darauf reagieren, ist geprägt durch ihre Traditionen, ihre Werte und ihre unausgesprochenen Annahmen – d.h. durch die Kultur ihrer Organisation und den Stil und die Persönlichkeit ihrer entscheidenden Vertreter und Mitglieder.2 Allerdings kann der Berater dem Klienten dabei helfen, selbst eine gewisse Diagnosefertigkeit zu erlangen und so Probleme besser lösen zu können. Es ist ein wesentlicher Gedanke der Prozessberatungsphilosophie, dass die Lösung von Problemen länger Bestand hat und effektiver ist, wenn die Organisation lernt, diese Probleme selbst zu lösen. Eine Aufgabe des Beraters besteht darin, Diagnose- und Problemlösungsmethoden zu vermitteln, er sollte jedoch nicht versuchen, die Probleme selbst zu lösen, es sei denn, er ist überzeugt, über die entsprechende Information und Erfahrung zu verfügen. Der Berater muss sich stets mit der Realität auseinandersetzen, wie sie sich durch die Zusammenarbeit mit dem Klienten herausschält, und es vermeiden, sich auf seine eigenen a priori gewonnenen Annahmen zu verlassen.

      Auch in anderen Situationen, in denen Hilfe gesucht wird, muss, bei näherer Betrachtung, dieselbe Entscheidung zwischen Expertenmodus und Prozessberatungsmodus getroffen werden. Wenn mich mein Kind bittet, ihm bei einer Rechenaufgabe zu helfen; wenn mich ein Student nach einer bestimmten Auskunft bei einem Managementproblem bittet; wenn ich an einer Straßenecke nach dem Weg gefragt werde; wenn ein Freund von mir wissen will, welchen Film ich ihm empfehlen könnte; wenn mich meine Frau fragt, was sie zu einer Party anziehen soll, muss ich umgehend verarbeiten, worum es bei dieser Frage oder Bitte wirklich geht und welche Antwort oder Reaktion tatsächlich weiterhilft. Wie sieht die Realität in der jeweiligen Situation gerade aus?

      Am einfachsten ist es, jede Bitte wortwörtlich zu verstehen und das Telling-and-selling-Modell anzuwenden – das heißt, auf die eigene Erfahrung zurückzugreifen und einfach die vorliegende Frage zu beantworten. Doch nicht selten verbirgt sich hinter der vorliegenden Frage ein tieferes Anliegen. Vielleicht will das Kind mit mir zusammen sein und ihm fiel nichts anderes ein, als das Rechenproblem vorzuschieben, um meine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Vielleicht bewegt den Studenten eine ganz andere Frage, die er nicht zu stellen wagt. Vielleicht sucht der Fremde, der mich nach dem Weg fragt, etwas ganz anderes, ohne es zu wissen. Mein Freund möchte sich vielleicht vorsichtig danach erkundigen, ob ich mit ihm ins Kino gehe. Meiner Frau geht es möglicherweise darum, mir etwas über ihre Garderobe mitzuteilen, oder die Party bereitet ihr aus irgendeinem Grund Kopfzerbrechen.

      Die Gefahr bei der Beantwortung der vorliegenden Frage liegt darin, dass das Gespräch dadurch beendet wird und der verborgene

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