Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Edgar H. Schein

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Prozessberatung für die Organisation der Zukunft - Edgar H. Schein

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zu entwickeln. Kern dieses Modells bleibt dabei die Philosophie, den Klienten vor allem dabei zu helfen, die Initiative zu behalten, womit sowohl die Initiative bei der Diagnose wie bei der Therapie gemeint ist, denn die identifizierten Probleme sind und bleiben die Probleme der Klienten, und nur sie wissen, wie komplex die Situation wirklich ist und welche Maßnahmen in ihrer Kultur wirklich Erfolg versprechen. Das kann als fünftes übergreifendes Prinzip festgehalten werden.

      FÜNFTES PRINZIP

      Das Problem und seine Lösung gehören dem Klienten.

       Meine Aufgabe ist es, eine Beziehung aufzubauen, in der der Klient Hilfe findet. Es ist nicht meine Aufgabe, mir die Probleme des Klienten selbst aufzuladen, noch ist es meine Aufgabe, Rat und Lösungen für Situationen anzubieten, die ich nicht selbst durchlebe. Fakt ist, dass nur der Klient mit den Folgen des Problems und der Lösung leben muss, ich ihm also nicht die Verantwortung dafür abnehmen kann.

      Die Ereignisse, die es zu beobachten, über die es Nachforschungen anzustellen und aus denen es Erkenntnisse zu ziehen gilt, findet man im normalen Arbeitsablauf, der Durchführung der Meetings, in offiziellen und inoffiziellen Begegnungen zwischen den Organisationsmitgliedern und den formaleren Organisationsstrukturen. Von besonderem Interesse dabei ist, was der Klient selbst tut und welche Auswirkungen dies auf die anderen in der Organisation hat sowie auf den Berater. Wie Berater und Therapeuten in anderen Gebieten nachwiesen, ist die Interaktion zwischen Klient und Berater sowie die Gefühle, die diese Interaktionen in beiden beteiligten Parteien hervorrufen, eine der wichtigsten Erkenntnisquellen.5

      Diesem Modell implizit ist weiter die Annahme, dass alle Organisationsprobleme im Grunde von zwischenmenschlichen Interaktionen und Prozessen geprägt sind. Unabhängig davon, welche technischen, finanziellen oder anderen Dinge eine Rolle spielen mögen, es sind stets Menschen an der Entwicklung und Umsetzung dieser technischen Prozesse beteiligt, und es sind stets Menschen, die auf die Idee kommen, technische Lösungen könnten weiterhelfen. Eine gründliche Kenntnis menschlicher Prozesse und die Fähigkeit, an diesen Prozessen zu arbeiten, sind daher unverzichtbar, um Organisationsprozesse zu verbessern. Solange Organisationen Netzwerke sind, die aus an gemeinsamen Zielen arbeitenden Menschen bestehen, werden zwischen diesen Menschen die verschiedensten Prozesse ablaufen. Je mehr wir also über die Diagnose und die Optimierung solcher Prozesse wissen, desto größer werden unsere Chancen, Lösungen für die eher technischen Probleme zu finden und zu gewährleisten, dass diese Lösungen auch akzeptiert und von den Mitgliedern der Organisation verwendet werden.

      Das Konzept der Prozessberatung lässt sich nur schwer einfach und klar beschreiben. Es ist eher eine Philosophie oder eine Reihe unterschwelliger Annahmen über den Prozess des Helfens, die den Berater veranlassen, eine bestimmte Haltung gegenüber seiner Beziehung zum Klienten einzunehmen. Prozessberatung lässt sich am ehesten verstehen, wenn man sie als einen Operationsmodus sieht, den der Berater in jeder gegebenen Situation wählen kann. Vor allem zu Beginn der Begegnung ist dieser Operationsmodus erforderlich, da sich durch diesen Modus am ehesten erschließen lässt, was der Klient wirklich wünscht und welche Art von Helfer tatsächlich von Nutzen ist. Stellt sich heraus, dass es dem Klienten um einfache Information oder einen Rat geht, und der Berater zufrieden ist, dies anbieten zu können, kann er ohne Gefahr in die Experten- oder Arztrolle schlüpfen. Wählt der Berater eine dieser Rollen, muss er sich jedoch über die zugrundeliegenden Annahmen und die Folgen im Klaren sein, die es mit sich bringt, den Klienten dazu zu ermutigen, sich vom Berater abhängig zu machen. Des Weiteren sollte er darauf achten, das Problem des Klienten nicht zu seinem eigenen zu machen.

      Auf einem Gebiet jedoch sollte der Berater Experte sein: Er sollte stets genau wissen, was im Augenblick vor sich geht und welcher Modus für die jeweilige Situation angemessen ist und den Aufbau einer helfenden Beziehung voranbringt. Keines dieser Modelle wird die ganze Zeit über verwendet. Aber der Berater muss sich stets auf eines beschränken. Der erfahrene Berater wird feststellen, dass er die Rollen häufig wechselt, wenn er merkt, dass sich die Dynamik ändert. Daher sollten wir Konzepte wie »der Prozessberater« vermeiden und »Prozessberatung« eher als einen dynamischen Prozess des Helfens sehen, den alle Berater, ja alle Menschen, in bestimmten Zeiten als angebracht empfinden.

      Obwohl die Bedeutung von Prozessberatung in den Organisationen von heute ständig zunimmt, sollte man keineswegs vergessen, dass das Modell sich auch auf unsere alltäglichen Beziehungen zu Freunden, Ehegatten, Kindern und anderen übertragen lässt, die uns ab und zu um Hilfe bitten. Letztlich wird hier eine Philosophie und Methodik des Prozesses des Helfens beschrieben sowie versucht, dessen Bedeutung für die Organisationsentwicklung und das Lernen aufzuzeigen. Ein zentraler Bestandteil dieser Philosophie ist ein Regelsatz aus zehn Prinzipien, von denen bereits fünf identifiziert und diskutiert wurden:

       1. Versuche stets zu helfen.

       2. Verliere nie den Bezug zu der aktuellen Realität.

       3. Setze dein Nichtwissen ein.

       4. Alles, was du tust, ist eine Intervention.

       5. Das Problem und seine Lösung gehören dem Klienten.

      Arbeitet der Berater beständig nach diesen Prinzipien, ergibt es sich auf natürliche Weise, wann er Informationen liefert, die Arztrolle übernimmt oder in der Rolle des Prozessberaters bleibt. Allerdings ist es nicht einfach, das eigene Nichtwissen einzusetzen und sich mit der Realität auseinander zu setzen. Dabei handelt es sich um Fertigkeiten, die man einüben muss und für die konzeptionelle Modelle und auf Erfahrung basierende Einsichten unabdingbar sind. In den restlichen Kapiteln konzentriere ich mich besonders auf einige vereinfachende konzeptionelle Modelle, die den Berater/Helfer dabei unterstützen, mit den verschiedenen Facetten der Wirklichkeit umzugehen, auf die er trifft.

      Fallbeispiele werden das ganze Buch hindurch auf verschiedene Weise eingesetzt. Wo konkrete Beispiele benötigt werden, werden Illustrationen und auch längere Fallbeispiele direkt in den Text eingefügt. An anderen Stellen wiederum finden sich diese Beispiele am Kapitelende, um dem praxisorientierteren Leser eine Gelegenheit zu geben, sich ausführlicher mit den Fällen zu beschäftigen. Falls keine Unklarheiten mehr vorhanden sind, müssen diese Fallbeispiele nicht durchgearbeitet werden.

      Fallbeispiel 1.1

       Jahrestreffen der International Oil (Planung und Teilnahme)

       Dieses Fallbeispiel soll aufzeigen, welche taktischen Feinheiten das Verbleiben im Prozessberatungsmodus mit sich bringt, und gleichzeitig den Kontrast zwischen den einzelnen Modi verdeutlichen. Dem Leser wird nicht entgehen, dass dieser Fall beschreibt, was genau mit »Prozess« gemeint ist – es ging bei den Interventionen fast ausschließlich darum, wie gearbeitet wurde, statt um die Inhalte, mit denen die Gruppe sich beschäftigte.

       Bei dem Unternehmen handelt es sich um einen großen multinationalen Ölund Chemiekonzern, dessen Hauptquartier sich in Europa befindet. Ich kannte einige Mitglieder in der Managemententwicklungsgruppe des Unternehmens und hatte vor Jahren in einem MIT-Kurs für Führungskräfte einen ihrer leitenden Manager, Steven Sprague, getroffen. Dass man mich ins Unternehmen holte, entsprang dem Wunsch einiger leitender Manager, die Kultur ihres Unternehmens genauer daraufhin unter die Lupe zu nehmen, ob sie den strategischen Gegebenheiten des nächsten Jahrzehnts Genüge tun würde. Einigen Mitgliedern der Managemententwicklungsgruppe war bekannt, dass ich vor kurzem einige Artikel und ein Buch über Organisationskultur veröffentlicht hatte.

       Ich erhielt einen Anruf von einem Mitarbeiter des Stabs, der gerade mit anderen das jährlich stattfindende Treffen

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