Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Edgar H. Schein

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Prozessberatung für die Organisation der Zukunft - Edgar H. Schein

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der Klient ist. Ich bin mir immer vollkommen klar darüber, wer, wenn ich angerufen oder besucht werde, der Kontaktklient ist, aber sobald ich mit der Arbeit begonnen und wir den nächsten Schritt definiert haben, beginnt sich die Klientengemeinde auf unvorhersehbare Weise zu vermehren.

      Übung 1.1

      Reflexion über das Helfen

      Diese Übung soll Ihnen klarmachen, dass Sie in der Helferrolle möglicherweise verschiedene Rollen übernehmen müssen. Sie können die Schritte 1, 2 und 6 alleine durchführen (20 Minuten) oder, wenn Sie sich in einem Workshop befinden, alle sechs Schritte mit einem Partner durcharbeiten (1 Stunde).

      Erinnern Sie sich an die letzten Tage. Benennen Sie zwei oder drei Vorfälle, bei denen Sie jemand um Hilfe oder um Rat bat.

      Versuchen Sie sich das Gespräch ins Gedächtnis zu rufen und identifizieren Sie die Rolle, die Sie in Reaktion auf diese Bitte um Hilfe übernahmen. Was wollte der andere von Ihnen? Wie reagierten Sie darauf? Hätten Sie auch anders reagieren können? Lässt sich Ihre Reaktion eindeutig in eine der oben beschriebenen Beratungsmodi – Experte, Arzt, Prozessberatung – einordnen?

      Wenn Sie sich in einem Workshop befinden, suchen Sie sich nun einen Partner und beschreiben Sie Ihre Fälle, um sich dann von Ihrem Partner berichten zu lassen, wie er Ihr Verhalten sieht.

      Analysieren Sie die Reaktion Ihres Partners auf Ihre Geschichte unter dem Gesichtspunkt, welche Rolle er in der Reaktion auf Ihre Geschichte einnahm und wie Sie darauf reagierten.

      Kehren Sie die Rollen um und reagieren Sie nun auf die Geschichte Ihres Partners und analysieren Sie dann Ihre Reaktion und welche Reaktionen diese bei Ihrem Partner auslöste.

      Reflektieren Sie über die Rollen, die Sie spontan einzunehmen scheinen, wenn Sie um Hilfe gebeten werden, und hinterfragen Sie, ob diese Rollen im Rückblick auf die Situation angemessen erscheinen. Gibt es andere Rollen, die Sie erlernen sollten?

       2. Kapitel:

       Die Psychodynamik der helfenden Beziehung

      Beratung wird im Lexikon als Ratsuche oder professionelle Beratung definiert. Diese Definition passt ausgezeichnet zu dem im ersten Kapitel beschriebenen Arzt-Patient-Modell. Prozessberatung als Philosophie erkennt, dass hinter der Suche nach Rat oder hinter Beratung ein grundlegenderes Ziel steckt: Es geht um Hilfe für ein empfundenes Problem. Wir wollen einen Rat oder beraten werden, um Probleme zu lösen, die wir allein nicht lösen können. Und wir hoffen, dass die Beratung oder der Rat uns dabei weiterhelfen. Aber wie wir alle aus eigener Erfahrung wissen, helfen uns häufig Ratschläge und Beratung nicht weiter, was bei dem Hilfesuchenden zu Widerstand und Abwehr führt. Um diesen Widerstand besser zu verstehen, müssen wir uns näher mit der Psychodynamik der helfenden Beziehung beschäftigen und untersuchen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit Hilfe tatsächlich möglich wird.

      Ebenso gilt es, die helfende Beziehung von einer Reihe anderer Beziehungen zu unterscheiden, die sich zwischen Menschen entwickeln können – wie die zwischen Gebendem und Nehmendem, zwischen Lehrer und Schüler, Freunden, Ehegatten sowie zwischen Vorgesetztem und Untergebenem. In jedem dieser Fälle kann Hilfe ein Thema der Beziehung sein, allerdings ein Thema unter vielen. Aber bei vielen Interaktionen zwischen Menschen geht es auch um den Austausch von etwas anderem als Hilfe.

      Man kann dieses Feld unter anderem erkunden, indem man den expliziten und impliziten psychologischen Vertrag zwischen den Helfern und denen, denen sie helfen, genannt »Klienten«, untersucht. Wovon geht die jeweilige Partei aus, was glaubt sie zu geben und zu bekommen? Welche psychologischen Bedingungen müssen für einen erfolgreichen Austausch erfüllt sein? Zum Beispiel sind gegenseitiges Vertrauen, gegenseitige Akzeptanz und gegenseitiger Respekt unabdingbar für eine erfolgreiche helfende Beziehung. Wenn dies so ist, wie lassen sich diese Bedingungen herstellen? Der erste Schritt dazu ist ein klares Verständnis der psychologischen Kräfte, die am Werk sind, wenn ein Mensch einen anderen um »Hilfe« bittet.

      In vielen Kulturen wird Selbstvertrauen betont und großer Wert darauf gelegt, seine Probleme selbst zu lösen. Hilfe zu suchen und sich damit für eine gewisse Zeit abhängig von jemand anderem zu machen, gilt damit de facto als Eingeständnis der eigenen Schwäche oder des eigenen Versagens. Dies trifft vor allem auf westliche, wettbewerbsorientierte, individualisierte Gesellschaften zu. Die beiden an einer helfenden Beziehung beteiligten Parteien befinden sich zu Beginn in einer schiefen oder unbalancierten Beziehung. Dabei ist der Helfer »oben« und der Hilfesuchende »unten«. Aus diesem »Unten« des Klienten ergeben sich, das kann man sich ausrechnen, ein oder mehrere bewusste oder unbewusste Reaktionsmöglichkeiten, von denen jede darauf zielt, die Beziehung wieder ins Lot zu bringen.7

       Mögliche Reaktionen und Gefühle des Klienten

      1. Ablehnung und Abwehr (gegenseitige Abhängigkeit) manifestiert sich beim Klienten in der Nutzung jeder Gelegenheit, den Berater in ein schlechtes Licht zu rücken, seine Ratschläge herabzusetzen, die vorgebrachten Fakten anzuzweifeln und ihn herunterzuziehen, um sich selbst wieder gleichwertig fühlen zu können.

       »Ihr Vorschlag kann nicht funktionieren, weil …«

       »Daran habe ich auch schon gedacht und das geht nicht.«

       »Sie verstehen das nicht wirklich. Die Situation ist viel komplexer.«

      2. Erleichterung darüber, das Problem und die damit verbundene Frustration endlich jemanden anvertraut zu haben, der einem vielleicht dabei weiterhelfen kann.

       »Ich bin so froh, mit jemandem darüber reden zu können.«

       »Dass Sie mir vielleicht bei meinem Problem helfen können, ist wunderbar.«

       »Ich bin froh, dass Sie verstehen, was ich durchgemacht habe.«

      3. Abhängigkeit und Unterwerfung manifestieren sich in der vorrangigen Suche nach Bestätigung, Rat und Unterstützung.

       »Was soll ich jetzt tun?«

       »Ich habe Folgendes vor … Sind Sie nicht auch der Meinung, dass das die richtige Vorgehensweise ist?«

       »Ich bin so froh, dass mir jetzt jemand anderer einen Rat gibt, was ich tun soll.«

      4. Übertragung von Wahrnehmungen und Gefühlen auf den momentanen Berater, die auf früheren Erfahrungen mit Helfern basiert. Diese Übertragung erscheint zunächst als gleichrangig mit den oben beschriebenen Reaktionen, beruht jedoch auf tieferen, unbewussten Projektionen, von denen vorerst weder Berater noch Klient etwas ahnen. Zum Beispiel kann der Berater als ein freundlicher oder unfreundlicher Elternteil oder als geliebter oder gehasster Lehrer aus der Vergangenheit wahrgenommen werden.

      Dieses Gefühl, »unten« zu sein, wirkt sich nicht nur auf das Selbstwertgefühl aus, es macht sich noch weitaus stärker in der Beziehung zu anderen in der Organisation bemerkbar. In vielen Unternehmen wird das Hinzuziehen eines Beraters mit dem Eingeständnis gleichgesetzt, man sei nicht in der Lage, seine Arbeit zu machen. Während meiner vierteljährlichen Besuche bei einem europäischen Unternehmen, in dem ich fünf Jahre lang als Berater tätig war, wurde ich gelegentlich in die Kantine für Führungskräfte

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