Prozessberatung für die Organisation der Zukunft. Edgar H. Schein

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Prozessberatung für die Organisation der Zukunft - Edgar H. Schein страница 13

Prozessberatung für die Organisation der Zukunft - Edgar H. Schein

Скачать книгу

nach sich ziehen können; und wie wichtig es ist, sein Nichtwissen einzusetzen und sich mit der Wirklichkeit auseinander zu setzen.

       Seit ein paar Monaten bereits hatten zwischen dem Manager einer am Ort ansässigen Fabrik und mir Beratungsgespräche stattgefunden. Er suchte nach einer Strategie, wie er mehr Vertrauen unter seinen Managern untereinander sowie den Arbeitern und der Führung aufbauen konnte. Nach mehreren dieser monatlichen Sitzungen kam er zu dem Schluss, der logische nächste Schritt sei, sein gehobenes Management (seine unmittelbaren Untergebenen) zu einer zweitägigen Klausur einzuladen, um aus ihnen ein Team zu schmieden. Er vereinbarte ein Arbeitsessen mit mir und seinem Mann für die Organisationsentwicklung, um das zweitägige Meeting zu planen und festzulegen, wie mein Part bei dem Meeting beschaffen sein sollte.

       Als wir uns zu Tisch gesetzt hatten, erklärte ich, ich bräuchte noch mehr Informationen über die Vorgaben und Teilnehmer dieses Treffens. Ich fragte: »Wer sind denn die Teilnehmer an dem Treffen und was ist ihre Rolle?« (Diese Frage macht deutlich, was ich darunter verstehe, sein Nichtwissen zu benutzen. Ich konnte zu der Planung nichts beitragen, wenn ich nicht wusste, wer bei dem Treffen in welcher Rolle dabei sein sollte.) Der Fabrikdirektor ging seine Liste mit seinen Untergebenen durch, aber als er zu dem dritten Namen kam, zögerte er. »Joe ist für die Finanzen zuständig, aber ich bin mir noch nicht sicher, ob er es drauf hat. Ich weiß noch nicht so recht, inwieweit er für seinen Job geeignet ist und ob ich ihn auf der Position lassen oder woanders hin setzen soll.« Darauf fragte ich nach, ob es noch andere Personen auf seiner Liste gebe, bei denen er Vorbehalte habe. Er meinte, da sei noch eine Person, die ihre Fähigkeiten noch nicht unter Beweis gestellt habe und vielleicht für das Team nicht in Frage komme. Ich wollte wissen, was seiner Ansicht nach wohl geschehen würde, wenn wir weitermachten und später einen oder beide feuerten. Er kam zu dem Schluss, das würde den Aufbau des Teams behindern und wäre auch gegenüber den beiden Leuten unfair, bei denen er sich nicht sicher war.

       Nachdem wir Für und Wider dieser Klausur diskutiert hatten, entschloss er sich, sich zuerst über diese zwei fraglichen Personen klar zu werden und die Klausur bis dahin aufzuschieben. Wir alle atmeten auf, dass dieser Punkt bereits jetzt statt zu einem späteren Zeitpunkt aufgetaucht war.

       Merke: Die wesentliche Information trat auf eine unschuldige Frage hin zu Tage. Der Prozess des Informationseinholens erlaubte es dem Fabrikmanager zu der Entscheidung zu gelangen, die Sitzung abzusagen, weil er selbst die einzelnen Themen noch einmal durchdachte. Für ihn war dieses Arbeitsessen eine der hilfreichsten Interventionen, obwohl wir den Aufbau des Teams für den gegenwärtigen Zeitpunkt abgeblasen hatten.

      Fallbeispiel 1.3

       Das unnötige Managementmeeting bei Global Electric

       Die Auseinandersetzung mit der sich ständig verändernden aktuellen Wirklichkeit verlangt vom Berater häufig die Bereitschaft, eher weniger als mehr zu tun. Dieses Fallbeispiel illustriert, wie wenig sinnvoll es ist, sich als Anbieter von Dienstleistungen zu verstehen, unabhängig davon, was in dem Klientensystem abläuft.

       Man trat an mich heran, an der jährlich stattfindenden Managementkonferenz eines großen Schweizer multinationalen Unternehmens teilzunehmen, um dem Präsidenten bei der Planung eines Managementführungsteams zu helfen. Die Abteilungen arbeiteten zu isoliert voneinander, und falls es uns gelänge, unter dem Vorwand der von mir angebotenen Weiterbildung regelmäßig eine kleine Gruppe zusammenzubringen, könnte diese Gruppe allmählich dazu bewegt werden, die Probleme des Unternehmens anzugehen.

       Der Kontaktklient war der Direktor für Managemententwicklung und -training, der mich während einiger Meetings über die Situation des Unternehmens informierte. Man brauchte unbedingt einen Vorwand für die geplanten autonomen Meetings der Abteilungsleiter, hatte zugleich aber den Eindruck, diese Meetings würden ohne jemanden von außen, der sowohl als vorgeschobener Anlass für das Meeting – d.h. das geplante Seminar – diente als auch als Motor, nicht in Gang kommen. Eine Ausbildungsintervention war daher sinnvoll, auch wenn es in Wirklichkeit darum ging, ein stärker zur Zusammenarbeit bereites Managementteam aufzubauen.

       Nachdem unsere Planung vorangeschritten und ein einige Monate entferntes Datum festgesetzt worden war, vereinbarten wir ein Treffen mit dem Präsidenten im Hauptquartier in Europa, um die Details des Projekts zu besprechen. Bei dem Meeting mit dem Präsidenten schälte sich ein etwas anders gelagertes Thema heraus. Er machte sich Sorgen darüber, dass zwei seiner Abteilungsmanager die ganze Zeit über miteinander im Clinch lagen und sich gegenseitig das Wasser abgruben. Der eine der beiden war zu dominant, der andere zu unterwürfig. Ihm ging es darum, die beiden in einer Gruppensituation zusammenzubringen, in der durch das Feedback der Gruppe ihre »Schwächen« korrigiert würden. Ich war etwas skeptisch hinsichtlich der Möglichkeiten einer Gruppe, dies zu erreichen. Doch er wollte die Sache langsam angehen. Wir kamen zu dem Schluss, dass ihnen ein Seminar über Karriereanker und unterschiedliche Managementstile, wie es in einem anderen schweizerisch-deutschen Unternehmen erfolgreich durchgeführt worden war, weiterhelfen würde (Schein 1985).

       Zwei Monate vor dem Seminar rief mich der Kontaktklient an und erklärte, es tue ihm schrecklich leid, aber das Seminar sei abgesagt worden, die Gründe dafür werde er mir später erklären; ich solle ihnen die Zeit berechnen, die mir verloren gegangen sei; sie wüssten noch nicht, ob das Seminar später stattfinden werde. Was tatsächlich vorgefallen war, erfuhr ich später, als ich einen anderen Klienten besuchte, der die Leute dieses Schweizer Unternehmens gut kannte. Die Abenteuer dieses Unternehmens hatten in der Industrie für einigen Gesprächsstoff gesorgt.

       Ich hörte, der Präsident, habe sich über den »schwächeren« Manager so aufgeregt, dass er ihn ersetzte. Und dadurch schienen sich die meisten Schwierigkeiten, wegen derer man das Seminar anberaumen wollte, aufgelöst zu haben. Außerdem erfuhr ich von meinem Kontaktklienten, dass mein langes Gespräch mit dem Präsidenten zu dieser Entscheidung beigetragen hatte. Er hatte seine ursprüngliche Entscheidung und die Gründe dafür noch einmal gründlich durchdacht. Meine Skepsis hinsichtlich der Möglichkeiten der Gruppe war ihm nicht entgangen und daher hatte er einen anderen Weg zur Behebung der Probleme eingeschlagen.

       Merke: Zwar war der Beratungsprozess kurz und anscheinend beendet, bevor er überhaupt begonnen hatte, doch scheinen die Interventionen dem Präsidenten während unseres Gesprächs über die Weiterbildungsintervention die Augen geöffnet zu haben, so dass er eine andere Strategie zur Problemlösung für angemessener hielt. Der Berater kann nicht von einem Moment auf den anderen wissen, welche Interventionen dem Klienten entscheidend weiterhelfen, aber in diesem Fall war mein Fachwissen über Gruppen und meine Frage, ob eine Gruppe ein zwischenmenschliches Problem zwischen zwei gewichtigen Spielern lösen könne, offensichtlich ausschlaggebend.

       Schlussfolgerung: Probleme bei der Definition der Beraterrolle

      Diese Beispiele machen deutlich, wie schwierig es ist, die sich ständig verändernde Wirklichkeit in einer dynamischen Klientensituation zu definieren, und wie notwendig, entsprechend neuer Informationen die Rollen zu verändern. Nicht nur die Richtung, in die der Klient sich bewegt, ist schwer vorhersehbar, dazu kommt, dass mit jeder Intervention neue Daten auftauchen, die das Hilfekonzept in einem neuen Licht erscheinen lassen. Häufig muss der Berater in den Expertenmodus wechseln, doch gewärtig sein, jederzeit ohne viel Aufhebens in den Prozessberatermodus zurückzuwechseln.

      Viele Beschreibungen des Beratungsprozesses betonen, wie notwendig es sei, gleich zu Beginn einen schriftlichen Vertrag aufzusetzen. In meiner Wirklichkeit sieht es so aus, dass das Wesen dieses Vertrages und der Klient, mit dem ich diesen Vertrag schließen soll, ständig im Wandel begriffen sind. Der Abschluss dieses Vertrags hat daher mehr mit einem fortwährenden Prozess gemeinsam als mit einer Aktion, die es vor Beginn der Beratung zu erledigen gilt.

      Der

Скачать книгу