Vollzug. Hansjörg Anderegg
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Sie lächelte erleichtert. »Ach so, das … Schön, dass es Ihnen gefallen hat. Tut mir leid, dass ich mich nicht an Sie erinnert habe. Es waren eine Menge Leute da.«
»Ja, vielen Dank nochmals, dass Sie für uns gespielt haben. Ich bin überrascht, Sie noch in Lubmin zu sehen, dachte, Sie seien längst wieder unterwegs nach Paris oder London.«
»Ich bin tatsächlich auf dem Sprung.«
Sie machte Anstalten, weiter zu laufen, Richtung Villa Volkmann. In diesem Moment fiel ihm ein, was er tun musste.
»Einen Augenblick noch«, sagte er hastig. »Ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Sie blieb misstrauisch stehen, betrachtete das Foto, das er ihr zeigte, stutzte, sah genauer hin, dann fragte sie leise:
»Wer ist das?«
»Ihre Mutter.«
»Das ist nicht Anna …«
Sie stockte, sah ihn konsterniert an.
»Wer sind Sie?«
»Ganz richtig, Leonie«, sagte er ruhig. »Das hier ist Ihre leibliche Mutter.«
»Was reden Sie da!«, brauste sie auf.
Trotzdem ließ sie das Foto nicht aus den Augen.
»Sie sind ihr wie aus dem Gesicht geschnitten. Erstaunlich, nicht wahr?«
»Warum tun Sie das?«, fragte sie gequält.
»Leonie, ich weiß, dass die Volkmanns Sie als Baby adoptiert haben. Zwangsadoptiert. Ich denke, das sollten Sie wissen.«
Sie schüttelte den Kopf, unfähig zu sprechen. Unvermittelt wankte sie davon, benommen, als wäre sie eben aufgestanden und noch nicht ganz wach. Nach einigen Schritten drehte sie sich nochmals um.
»Wer ist diese Frau?«
»Fragen Sie Ihre Eltern«, antwortete er traurig und trottete seinerseits davon.
Als er wieder an der Einfahrt zur Villa vorbeikam, glaubte er, Fetzen einer lautstarken Auseinandersetzung durch die offenen Fenster zu hören.
Kapitel 6
Fos-sur-Mer bei Marseille, 13. Juni
Mohammed Hamidi beobachtete durch das Fernglas, wie die ›Baleine‹ an der Mole von Fos-sur-Mer anlegte. Aus seinem leicht erhöhten Versteck konnte er die Hafenanlage des riesigen Flüssiggasterminals fünfzig Kilometer westlich von Marseille gut überblicken. Keine Bewegung auf dem Schiff und am Kai entging seinen scharfen Augen. Die Gelenkarme der Entladestation schimmerten silbrig in der Abendsonne. Nahezu vollautomatisch dockten sie an die Stutzen der Tanks an, die wie gigantische Seifenblasen aus dem Bauch des Frachters ragten. Wenige Minuten nach dem Andocken öffneten Arbeiter die Ventile. Das flüssige, auf -160 °C gekühlte Methan begann in die Rohre zu strömen, die es in die nahen Vorratstanks leiteten. Über hunderttausend Kubikmeter fasste ein einziger dieser isolierten Behälter, die manches Hochhaus überragten.
Mohammed Hamidis Puls beschleunigte sich beim Gedanken an diese schier unerschöpflichen Brennstoffvorräte. Er richtete sein Fernglas auf die Gruppe der Verwaltungsgebäude und Werkstätten. Alles hing jetzt vom Insider ab. Wenn der Junkie versagte, konnten sie ihren Plan begraben. Die Zeit verrann zähflüssig wie die Melasse auf den Baklava seiner Schwester. Der Tag wollte nicht enden. In der hellen Dämmerung war es schwierig, das Licht in den Büros der Sicherheitszentrale überhaupt zu erkennen. Eine weitere unerträgliche Stunde verging, bevor das Licht in den Fenstern erlosch, wieder aufflammte, dreimal in kurzen Abständen.
»Das Zeichen!«, rief er seinen Leuten zu, die gelangweilt unter der alten Eiche Karten spielten und rauchten.
Kurz danach beobachtete er, wie ein weißer Van vom Gebäude wegfuhr, auf die Einfahrt zu, wo sie sich treffen wollten.
»Auf geht‘s, Brüder. Allah sei mit uns.«
Der Insider saß mit aschfahlem Gesicht am Steuer des Wagens.
»Hast du die Steine?«, fragte er mit zittriger Stimme.
Mohammed Hamidi legte das Päckchen mit dem Rauschgift ins Handschuhfach. Die Augen des Fahrers wollten aus den Höhlen treten. Seine Hand fuhr an den Knopf, um das Fach wieder zu öffnen.
»Ich brauche jetzt etwas!«, rief er mit rauer Stimme.
Sofort drückte ihm einer von Hamidis Männern den Lauf seiner Maschinenpistole in den Nacken. Der Insider fuhr los, an den Gebäuden vorbei, entlang den Pipelines zur Mole, wo die ›Baleine‹ angedockt war.
»Alles ausgeschaltet?«, fragte Hamidi beiläufig.
Er kannte die Antwort, aber die Frage sollte den Fahrer beruhigen, dessen Hände am Steuer merklich zitterten.
»Klar, wäre ich sonst hier?«, brummte der gereizt.
Ihr Vertrauensmann an Bord der ›Baleine‹ erwartete sie an der offenen Luke. Der Ladebaum schwenkte aus. Das Paket aus Algerien glitt nahezu lautlos am Flaschenzug zu Boden. Stumm hievten sie es in den Van, während sich die Luke über ihnen schloss. Kaum zehn Minuten, nachdem sie ins Auto gestiegen waren, fuhren sie mit der kostbaren Fracht Richtung Tank Nummer zwei, voll mit flüssigem Methan nach Angaben des Insiders. Mohammed Hamidi suchte die Umgebung mit dem Fernglas ab, bevor sie sich der Stelle näherten, wo das Flüssiggas vom Tank in die Pipelines zur Aufbereitungsanlage floss. Es war das schwächste Glied im Speichersystem, bestens für ihre Zwecke geeignet. Weit und breit war kein unerwünschter Zuschauer auszumachen. Niemand beobachtete, wie sie das Paket unmittelbar am Tank zwischen die Rohre schoben, denn auch die Überwachungskameras blieben ausgeschaltet.
Mohammed Hamidi nickte zufrieden. Bisher verlief die Aktion genau nach seinem Plan. Nun begann die letzte, heikelste Phase. Er kontrollierte die Uhr: 21:20 Uhr, perfekt. Basem Mansour, sein junger Vertrauter, kniete bereits neben dem Paket. Er öffnete das rote Kästchen an der Hülle, aus dem ein Kabel ins Innere führte.
»Welche Zeit soll ich einstellen?«, fragte er seinen Anführer.
»Punkt zehn Uhr wie geplant.«
Basem kannte sich mit Computern aus. Nichts anderes als ein kleiner Computer steuerte die Zündelektronik im roten Kästchen. Mit angehaltenem Atem sahen ihm die Brüder und der Fahrer zu, der jetzt am ganzen Leib zitterte. Das ist nicht der Schüttelfrost des Entzugs, dachte Mohammed Hamidi verächtlich. Der Insider hatte Angst, Angst um sein erbärmliches Leben. Nur ein Ungläubiger konnte ein solcher Feigling sein, war er überzeugt.
Basem Mansour erhob sich.
»22:00 Uhr ist eingestellt. Die Zeit läuft.«
»Gut.«
Mohammed nahm das Drogenpaket aus dem Handschuhfach und steckte es ein. Der Fahrer starrte ihn entsetzt an, wagte aber nichts zu