Vollzug. Hansjörg Anderegg
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Читать онлайн книгу Vollzug - Hansjörg Anderegg страница 15
»Gerade beim Kochen kann man sich schwer die Finger verbrennen.«
Die Fahrt an der Küste entlang nach Antibes und weiter über die Corniche war nicht als Einkaufsbummel gedacht. Die Preussens hatten sie spontan zu dieser kleinen, vorgezogenen Hochzeitsreise eingeladen. Chris blickte ungeduldig auf die Uhr. Ihr Zukünftiger musste sich beeilen, wollten sie um die Mittagszeit in Èze sein. Unvermittelt stand er neben ihr. Er hielt ihr die Einkaufstüte unter die Nase und sagte begeistert:
»Riech mal. Das müsst ihr euch ansehen. Frische Feigen, Oliven wie Hühnereier, Rosmarin, Thymian – und dieser Knoblauch!«
Seine Hand fuhr in den Sack und brachte ein mit Blättern und Bast umwickeltes Paket zum Vorschein.
»Echter, unverfälschter ›Banon‹. Was sagst du jetzt?«
»Was soll ich sagen. Es wird spät.«
»›Banon‹! Chris, der berühmte provenzalische Ziegenkäse.«
Manon Preuss betrachtete die prall gefüllte Tüte, als sähe sie die Produkte der südfranzösischen Landwirtschaft zum ersten Mal.
»Was haben Sie mit all den Sachen vor?«, fragte sie ungläubig.
»Das gibt wunderbare Vorspeisen, Kräuter und Gewürze kommen in den Lammtopf und die Feigen mit frischem Zimt eignen sich hervorragend als Nachtisch. Lassen Sie mich nur machen …«
Jochens Handy unterbrach ihn. Preuss sah auf den Bildschirm. Sorgenfalten zeichneten sich auf seiner Stirn ab.
»Entschuldigung, ist dringend«, sagte er, wandte sich ab.
Er führte eine kurze, erregte Unterhaltung auf Arabisch. Seine Stimme verriet äußerste Anspannung. Als er das Telefon einsteckte, sah er blass aus.
»Ich muss dringend nach Marseille.«
»Das kannst du uns nicht antun«, protestierte Manon.
Er sah Chris schuldbewusst an.
»Ich bin untröstlich, aber es geht nicht anders. Wir werden das alles nachholen, versprochen.«
»Was ist denn los?«, wollte sie wissen.
Die Frage blieb unbeantwortet. Mit schnellen Schritten ging er voran Richtung Parkplatz.
Port Grimaud, Côte d‘Azur
Chris hatte sich die kleine Hochzeitsreise eine Spur gemütlicher vorgestellt. Jamie wohl auch. Sie saßen beide mit langen Gesichtern im Café am Kanal schräg gegenüber ihrem Haus. Manon leistete ihnen Gesellschaft. Sie versuchte vergeblich, den Ärger über Jochens Marseiller Geschäfte zu verbergen, rührte abwesend im Kaffee, während sie ab und zu böse Blicke auf die gegenüberliegende Häuserzeile warf.
»Tut mir echt leid wegen gestern«, murmelte sie nicht zum ersten Mal.
Chris versuchte erneut, mehr über das Problem in Marseille zu erfahren, doch Manon schüttelte nur den Kopf.
»Ich tappe genau wie Sie im Dunkeln. Es muss sich allerdings um ein ernstes Problem handeln. Jochen kam erst nach Mitternacht nach Hause, und als ich heute Morgen um sieben erwachte, war er schon wieder weg. So etwas ist in all den Jahren nicht passiert, seit wir in Port Grimaud wohnen.«
Chris faltete die ›La Provence‹ zusammen und bemerkte:
»Da steht jedenfalls nichts Besonderes über Marseille drin.«
Sie überlegte sich, Jochens Schulprojekt anzusprechen, ließ es jedoch bleiben, um nicht unnötig Staub aufzuwirbeln.
»Willst du nicht rangehen?«, fragte Jamie mit säuerlichem Lächeln.
In Gedanken versunken, hatte sie das Vibrieren des Handys nicht bemerkt.
»Oha!«, entfuhr es ihr, als sie Oberstaatsanwalt Richters Namen auf dem Bildschirm las.
»Ich fürchte, Ihre Ferien sind vorbei«, begann er.
Kein Gruß, kein »Wie geht es Ihnen«. Seine Stimme klang gereizt.
»Was gibt‘s?«, fragte sie ebenso kurz angebunden.
»Sie fliegen nach Berlin, dringend!«
»Berlin?«
»In die Zentrale auf dem Kasernengelände am Treptower Park. Sagt Ihnen das Kürzel GTAZ etwas?«
Selbstverständlich, auf welchem Planeten lebte sie denn? Sie entfernte sich einige Schritte vom Tisch und sprach leiser:
»Die Anti-Terror-Zentrale. Was haben wir mit der zu schaffen?«
»Die Geschichte mit den Moussouni Brüdern und den Unruhen scheint aus dem Ruder zu laufen. Das gemeinsame Terrorismus-Abwehrzentrum in Berlin übernimmt ab sofort die Koordination bei der Suche nach Hassan Moussouni. Im Gremium sitzen Leute von uns, den Landeskriminalämtern, dem BND und dem Verfassungsschutz. Sie vertreten das BKA.«
Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken beim Gedanken an den Debattierklub im langen Sitzungszimmer am Treptower Park.
»Kann das nicht …«
Richter unterbrach sie scharf: »Nein! Sie kennen alle Details in diesem Fall. Sie sind die einzig Richtige für den Job. Melden Sie sich bei Heinrich Radtke, Abteilung TE des BND, Gruppe Nordafrika. Der Jet wird in vierzig Minuten in Nizza landen. Brauchen Sie einen Transport?«
Alle möglichen Antworten schwirrten ihr durch den Kopf. Schließlich entschied sie sich für die Einfachste:
»Nein, Jamie kann mich fahren.«
»Gut. Melden Sie sich, sobald sie da sind.«
»Wie geht es Sven?«
Richter hatte aufgelegt.
Zwei Stunden später verabschiedete Jamie sie in lupenreinem Französisch auf dem Flughafen Nice Côte d’Azur:
»Au revoir, madame Roberts.«
Kapitel 5
Lubmin
Jonas Ullrich setzte sich bescheiden auf einen der hinteren Sessel in der Fabrikhalle, die als Auditorium für den Festakt diente. Er wusste wie jeder andere im Raum, dass dies auch seine Feier war. Die jahrelange Tüftelei, die vielen Rückschläge, die hartnäckige Suche nach extrem widerstandsfähigen Werkstoffen, die auch noch bezahlbar waren, die ganze, buchstäblich aufreibende Arbeit war nicht umsonst gewesen. Ihre kleine Firma ›TransX‹ am Greifswalder Bodden im äußersten Nordosten Mecklenburg-Vorpommerns würde bald Geschichte schreiben. Spätestens nach der ersten Pressekonferenz würden nicht nur die handverlesenen Leute in dieser Halle begreifen, dass der Name ›TransX‹ nicht vom Wort Transport abstammte. Die Spezial-Lkws auf dem Fuhrpark