Der zweite Killer. Hansjörg Anderegg

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Der zweite Killer - Hansjörg Anderegg

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stieß er einen Schreckensruf aus, packte den Hund und rannte davon. Der Köter stellte jedenfalls keine Gefahr mehr dar.

      Er ließ die Waffe sinken, um sie gleich wieder mit einem unterdrückten Fluch hochzureißen. Emma kehrte zurück. Das Männchen folgte ihr halb hüpfend, halb hinkend. Eine junge Frau im Trainingsanzug, Stirnband ums blonde Haar, Telefon in der Hand, begleitete ihn. Der Beobachter im Gebüsch entspannte sich. Die Frau passte genau in seinen Plan. Sie reagierte besonnen, betrachtete das Arrangement aus sicherer Entfernung und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Gleichzeitig gelang es ihr, den Alten und Emma zu beruhigen. Endlich tat sie das, worauf er wartete: Sie telefonierte. Der Auftrag war erledigt. Statt sich abzusetzen, harrte er mit den beiden bei der Leiche aus, bis sich ein Streifenwagen näherte.

      Von nun an verlief alles nach Plan. Geräuschlos die Fußabdrücke verwischend, zog er sich aus dem Gebüsch zurück, ohne den Tatort aus den Augen zu lassen. Bis die Beamten daran dachten, die Umgebung abzusuchen, war er längst untergetaucht. Unsichtbar unter all den andern Unsichtbaren in Berlin.

      Hauptkommissar Lukas Mertens knallte die Tür des Chefs hinter sich zu. Er hatte schon schlimmere Tage erlebt aber nicht viele. Er brauchte dringend seinen Adidas zum Dreinschlagen, doch das ging nicht. Er war im Dienst. Also setzte er das Gesicht Marke grimmiger Boxer auf und hoffte, jemand möge ihm auf die Latschen treten.

      Niemand eilte ihm entgegen, freudestrahlend, als interessierte es irgendein Schwein, was er zu sagen hatte. Ausgerechnet der Niemand musste ihm hier auf dem Flur begegnen, wo er ihn nicht ignorieren konnte wie im Büro. Der kleine Praktikant – Referendar, wie der Chef großspurig betonte – war schuld an seiner üblen Laune. Übler noch als sonst beim Betreten des Landeskriminalamts im Morgengrauen. »Kümmern Sie sich um den Referendar Seidel. Er ist begierig, von Ihnen zu lernen«, wollte ihm der Chef einreden. Vom Hauptkommissar zum Babysitter: geile Karriere. Der Junge war so grün hinter den Ohren, dass er ihn dauernd wässern wollte. Das ganze verdammte Strafgesetzbuch kannte er auswendig, aber Polizeiarbeit verwechselte er mit Fernsehkrimis. Zwei Wochen lang hatte er Niemand erfolgreich ignoriert, bis der Chef glaubte, das Problem nicht länger übersehen zu können. Mertens stellte den Schuh quer, um dem Referendar Gelegenheit für einen Fehltritt zu geben. Niemand blieb eine Handbreit davor stehen und rief:

      »Herr Hauptkommissar, wir haben eine Leiche!«

      »Was zum Teufel glauben Sie, wo wir hier sind, im Fundbüro?«

      Die Frage stoppte wenigstens das Grinsen.

      »Wir befinden uns in der Mordkommission, Herr Hauptkommissar.«

      Wieder so eine Unart. Er konnte Leute nicht ausstehen, die stets in ganzen Sätzen antworteten. Hielten sich wohl für etwas Besseres, die arroganten akademischen Herrschaften.

      »Mordkommission, Sie sagen es. Und womit beschäftigt sich eine Mordkommission?«

      »Die Mordkommission beschäftigt sich mit Kapitalverbrechen.«

      »Und?«

      »Leichen«, flüsterte Niemand betroffen.

      Jetzt verzog er die Mundwinkel. »Geht doch. Sehen Sie, Sie können ja auch normal reden.«

      Das Gesicht des Jungen stimmte ihn versöhnlich.

      »Also, was ist denn so besonders an dieser Leiche?«

      »Sie ist neu. Heute Morgen um 8:10 Uhr, als Sie beim Chef …«

      »Ich weiß, wo ich war!«

      Niemand trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. »Um 8:10 Uhr traf die Meldung einer Polizeistreife ein. Leichenfund beim alten Asylheim. Ein Mann, circa vierzig Jahre alt, schwarze Hautfarbe.«

      »Schwarz? Gute Nacht!«

      Mord aus Rassenhass gehörte nicht zu seinen Favoriten. Niemand fuhr zögernd weiter:

      »Das Opfer ist offenbar durch einen einzigen Schuss in die Stirn aus nächster Nähe getötet worden. Spurensicherung und Rechtsmedizin sind unterwegs.«

      »Das sollten wir uns nicht entgehen lassen«, brummte er.

      »Wir?«

      »Wir beide. Kommen Sie. Das wird ein Fest: Ihre erste Leiche.«

      Die Leiche lag im Gras neben dem Feldweg hinter dem verfallenen Gemäuer des alten Asylheims, wie Niemand berichtet hatte. Das wenige Blut überraschte Mertens nicht, wohl aber die Präzision des Schusses. Das Loch in der Stirn sah aus wie aufgemalt. Noch seltsamer erschienen ihm Kleidung und Lage des Toten.

      »Er sieht aus wie aufgebahrt«, flüsterte ihm der blasse Referendar ins Ohr und beschrieb damit die Lage ziemlich genau.

      »Er kann Sie nicht hören«, gab Mertens ebenso leise zurück.

      Der Tote trug seinen besten Anzug, wie es schien, Hose frisch gebügelt, Jackett sorgfältig zurecht gezupft, die Hände wie zum Gebet gefaltet, als wollte ihm der Mörder so die letzte Ehre erweisen.

      »Schlechtes Gewissen oder neuartiges Ritual?«, fragte er sich laut.

      »Sieht eher nach einem Gnadenschuss aus«, sagte der Pathologe.

      »Wie pervers ist das denn!«, platzte Niemand heraus.

      Mertens und der Rechtsmediziner wechselten einen Blick, der deutlich ausdrückte, dass beide anderes gewohnt waren.

      »Seine Erste«, murmelte der Kommissar, während er an den Händen des Opfers vergeblich nach Abwehrspuren suchte. »Sonst irgendwelche Verletzungen?«

      »Nicht auf den ersten Blick. Der Mann scheint ruhig auf den Schuss gewartet zu haben, ohne sich zu wehren.«

      Er drehte den Kopf der Leiche zur Seite, um die klaffende Austrittswunde zu zeigen.

      »Präzisionsschuss aus circa einem Meter Abstand. Der Mann war sofort tot.«

      Mertens nickte. »Fundort gleich Tatort?«

      »Definitiv. Die Techniker haben Patronenhülse und Projektil sichergestellt.«

      Der Täter war also kaum ein professioneller Killer – oder einer, der sich sehr sicher fühlte. Der Mediziner fasste dem Toten unter die Schulter.

      »Kann mir mal jemand helfen? Ich muss mir die Rückseite ansehen.«

      Mertens stand wie durch ein Wunder schon bei der Chefin der Kriminaltechnik und rief Niemand zu:

      »Anfassen, junger Mann!«

      Die Patronenhülse im Plastikbeutel stimmte ihn nicht euphorisch: Kaliber 9 mm, Massenware, sehr verbreitet.

      »Sonst gibt es keine Spuren am Tatort«, versicherte die Technikerin, »nicht einmal verwertbare Fußabdrücke außer denjenigen der Zeugen.«

      Der Täter war ein verdammter Geist, der schießen konnte wie ein Profikiller. Dieser Fall gefiel ihm schon jetzt nicht mehr. Mürrisch wandte er sich an die Zeugen. Der Alte und die sportliche junge Dame beantworteten die Fragen ebenso mürrisch. Fragen, die sie alle schon beantwortet hatten. Am Ende bestätigte sich, was von Anfang an zu befürchten war: Die Zeugen hatten nur den Leichnam im Gras liegen sehen, sonst gar nichts. Nach den

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