Der zweite Killer. Hansjörg Anderegg

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Der zweite Killer - Hansjörg Anderegg

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…«

      Mertens rollte die Augen, ließ ihn jedoch weitersprechen. Ihre Achtung vor dem jungen Mann stieg mit jedem Satz. Kurz und präzise beschrieb er den Tathergang, soweit man ihn bisher rekonstruiert hatte, fasste die Ergebnisse der Gerichtsmedizin und der KT zusammen und zeigte ihr den genauen Fundort von Eddie Jones Leiche.

      »Noch Fragen?«, grinste Mertens.

      »Wer ist der junge Mann?«

      »Niemand.«

      Der Student wagte keinen Widerspruch. Erst als sie ihn auffordernd anblickte, sagte er unsicher:

      »Mein Name ist Horst Seidel, Referendar und Praktikant im ersten Jahr.«

      Sie schüttelte ihm die Hand. »Gut gemacht, Referendar Seidel.«

      »Hotte«, murmelte er verschämt mit leuchtenden Augen, als hätte sie ihn zum Abschlussball eingeladen.

      »Wie weit wurde die Umgebung abgesucht? Das Asylheim? Gibt es weitere Zeugen?«

      Sie richtete die Fragen direkt an den Referendar, der offenbar Mertens wandelndes Gedächtnis darstellte. Der Kommissar fuhr dazwischen:

      »Hören Sie, Frau … Ich habe einen wichtigen Termin. Herr Seidel wird Sie über alles Weitere informieren. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen wollen.«

      Er drehte sich um und ging zu seinem Wagen. Nach zwei Schritten blieb er stehen, kehrte zurück und fragte sie leise:

      »Brauchen Sie Unterstützung?«

      »Immer«, antwortete sie verwundert.

      Sein Blick streifte den Referendar, der etwas abseitsstand.

      »Er kennt sich bestens aus mit dem Fall.«

      »Sie wollen mir Niemand überlassen?«

      Er ignorierte den absichtlichen Fallfehler und präzisierte:

      »Sie könnten ihn ausleihen – natürlich nur für diesen Fall.«

      »Natürlich.« Nach kurzem Zögern fragte sie: »Stimmt etwas nicht mit dem jungen Mann?«

      Kommissar Mertens zuckte die Achseln. »Er schreibt lauter Einsen.«

      Ein Genie! Sie begann zu verstehen. Da prallte Intellekt auf jahrzehntelange Praxis, eine explosive Mischung. Sie erinnerte sich an die angespannte Personalsituation am Treptower Park und lächelte Referendar Seidel zu, um etwas Farbe in sein Gesicht zu zaubern.

      »Sie meinen das ernst, nicht wahr?«, fragte sie zur Sicherheit.

      »Todernst.«

      »O. K., Deal, aber er bleibt auf Ihrer Gehaltsliste und ich unterschreibe kein einziges Formular.«

      »Deal.«

      Diesmal schlug Mertens ein. Blieb nur noch übrig, Seidel zu überzeugen. Sie spürte keinen Widerstand. Im Gegenteil: Der arme Kerl war froh, seinem Tyrannen zu entrinnen, obwohl, oder besser, weil er ihre problematischen Charakterzüge noch nicht kannte. Mertens seinerseits fuhr mit einem Lächeln davon. Er war nicht nur den heiklen Fall los, sondern auch den neunmalklugen Praktikanten. Besser ging es nicht, sagte sein Gesicht. Ihr sollte es recht sein. Einen ergebenen Sklaven konnte sie gut gebrauchen. Notfalls würde sie ihn mit dem Zopf ruhigstellen.

      »Also Herr Seidel«, sagte sie mit einem letzten Blick auf Mertens Wagen.

      Der junge Mann sprang ihr fast ins Gesicht. »Dr. Roberts?«

      »Vergessen Sie den Doktor. Sie Seidel, ich Chef, O . K.?«

      Die Antwort war ein Gurgeln, aber er nickte eifrig.

      »Also, Seidel«, begann sie nochmals, »sind alle Bewohner des Asylheims befragt worden?«

      »Das Gebäude ist eine Ruine. Es gibt keine ständigen Bewohner, nur Obdachlose, die hier gelegentlich übernachten und ein paar Junkies, die sich manchmal auf dem Hof auf der andern Seite treffen.«

      »War einer von denen anwesend zum Tatzeitpunkt?«

      Seidel verneinte. »Allerdings …«

      »Was?«

      »Ein Obdachloser hat ausgesagt, es hätte in der Nacht vor der Tat eine wilde Party stattgefunden.«

      »Eine wilde Party, soso – und?«

      Seidel sah sie ängstlich an.

      »Nichts«, sagte er leise, »Hauptkommissar Mertens meinte, es lohne sich nicht, dem nachzugehen.«

      »Sie sind anderer Meinung?«

      Er nickte stumm, offensichtlich überwältigt vom Umstand, nach seiner Meinung gefragt zu werden.

      »Ich auch«, sagte sie. »Wir machen Folgendes: Wir klappern jetzt die Umgebung ab und sammeln Hinweise auf die Teilnehmer der Party. Sobald wir Namen haben, gehen Sie jedem Einzelnen nach und bestellen die Person zur Befragung aufs Präsidium am Treptower Park, verstanden?«

      Sie gab ihm ihr Kärtchen mit den Koordinaten und fügte hinzu:

      »Noch etwas: Wir benötigen Kopien aller Akten beim BKA, und lassen Sie sämtliche Asservate an die Kriminaltechnik in Wiesbaden schicken.«

      Sie schrieb ihm die Adresse ihrer Freundin Caro Lenz, Leiterin der KTU, auf die Rückseite. Seine Wangen glühten, während er die Aufträge notierte. Es gab ihr ein gutes Gefühl.

      Sie war ausgelaugt, als sie den Wagen beim BKA in Treptow parkte. Das Ergebnis der stundenlangen Suche nach Namen fiel ernüchternd aus. Drogenabhängige, die ihren eigenen Namen nicht kannten, Alkoholiker, die beim Stichwort Polizei sofort einschliefen, und unterernährte Hunde bevölkerten die Ruine des Asylheims. Ganze zwei Hinweise blieben übrig, die ihr Juniorpartner jetzt verfolgte. Als genügte das nicht, um ihre Laune zu verderben an diesem Freitagnachmittag, hielt der Regen hartnäckig an bis fast vor die Bürotür. Berlin mit nassen Straßen am Start ins Wochenende: nicht zu vergleichen mit Wiesbaden und Kloppenheim, wo sie früher gewohnt hatte. Staus wie eben auf der Brücke gab es dort nur an Ostern. Sie hatte es nicht anders gewollt.

      Es war ihr Vorschlag gewesen, den Arbeitsplatz in die Zentrale am Treptower Park zu verlegen, um hier mit Jamie zusammenzuziehen. Das Zentrum für regenerative Therapien in Berlin, BCRT, hatte ihn vom Imperial College in London abgeworben – mit einem Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Der Abschied von den Kollegen in Wiesbaden war ihr etwas leichter gefallen, nachdem sich ihr Partner Sven nach Hamburg abgesetzt hatte. Die Liebe: Es gab endlich eine Frau, die sich nicht nur für seinen Porsche Spyder interessierte.

      Als Erstes fielen ihr die allgegenwärtigen Überwachungskameras auf, die hier jeden Pfosten schmückten, nicht nur jeden Zweiten wie in Wiesbaden. Beim Anblick rümpfte sie die Nase. Sie hatte sich den Einzug anders vorgestellt oder gar nicht, jedenfalls nicht so deprimierend. Der Eindruck besserte sich kaum, als sie das Büro betrat. Die Luft roch nach Schimmelpilz. Die nackten Möbel und leeren Schränke verbreiteten Endzeitstimmung. Dazu passte die vergilbte Reproduktion von Munchs ›Schrei‹ an der Wand. Auf dem Aktenschrank neben dem Pult stand ein Gemüse, das früher vielleicht einmal grün gewesen

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