Der zweite Killer. Hansjörg Anderegg
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der zweite Killer - Hansjörg Anderegg страница 7
![Der zweite Killer - Hansjörg Anderegg Der zweite Killer - Hansjörg Anderegg](/cover_pre993338.jpg)
Das Lachen blieb ihr im Halse stecken, denn er meinte es durchaus ernst. Noch einer ohne Privatleben. Sie begann, sich schuldig zu fühlen. Jetzt, da sie erste, zaghafte Versuche unternahm, so etwas wie eine Familie zu gründen.
»Ich bitte Sie um einen Gefallen. Noch einen«, fügte sie nach kurzem Zögern lächelnd hinzu. »Referendar Horst Seidel wird in Kürze mit den Akten eintreffen. Er soll für eine Weile hier arbeiten. Würden Sie sich bitte um den Jungen kümmern? Staatsanwältin Winter ist informiert.«
»Oh, Sie hatten schon das Vergnügen.«
»Weiß nicht, ob man es so bezeichnen kann. Sie hat wohl nicht viel Spaß im Leben.«
Haase nickte zustimmend. »Das ist offensichtlich. War sie sehr kurz angebunden?«
»Sehr.«
Seine Mundwinkel wanderten wieder nach oben. »Dann hat sie Angst.«
»Angst?«, rief Chris verblüfft aus, »wovor?«
»Vor Ihnen, Frau Kommissar.«
Er wollte die seltsame Antwort nicht begründen, dennoch sorgte sie für gute Laune, als sie das Haus verließ.
Montagmorgen. Seidel saß am Steuer des Dienstwagens. Ihr Sklave navigierte geschickt durch den Berufsverkehr, obwohl er sich seit Arbeitsbeginn am frühen Morgen mit Selbstzweifeln zerfleischte.
»Es tut mir echt leid«, wiederholte er zum dritten oder vierten Mal. »Sie müssen mir glauben, Chef. Ich habe keinen Aufwand gescheut. Die Zeugen auf Mallorca waren während des ganzen Wochenendes nicht erreichbar. Es ist zum Verzweifeln, echt jetzt.«
Sie konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Er sprach nicht nur in ganzen, korrekten, deutschen Sätzen. Auch der Genitiv war ihm nicht fremd, eine Seltenheit unter jungen Leuten. Um ihn abzulenken, wechselte sie das Thema:
»Sobald wir zurück sind, sollten Sie bei Staatsanwältin Winter vorbeischauen.«
Der Wagen drohte, auf den Bürgersteig auszubrechen, so heftig riss er am Lenkrad, als er herumfuhr, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht grau wie auf einem Schwarz-Weiß-Foto. Er korrigierte erschrocken. Der Wagen beruhigte sich.
»Was kann Frau Staatsanwältin Winter von mir wollen?«, fragte er heiser.
»Erschrecken Sie jetzt nicht wieder«, warnte sie. »Sie will Sie kennenlernen.«
»Staatsanwältin Winter will mich kennenlernen? Warum möchte sie das?«
Die Frage klang verzweifelt.
»Keine Panik, Seidel. Ich glaube, sie steht nicht auf junge Männer. Sie will nur wissen, mit wem sie‘s zu tun hat. Das ist alles.«
Es schien ihn nicht zu beruhigen.
»Sie werden doch dabei sein?«, fragte er ängstlich.
Es kostete sie einige Anstrengung, nicht zu lachen. Glücklicherweise brauchte sie nicht zu antworten, denn sie näherten sich dem Häuserblock am Ende der Quartierstraße in Marzahn, wo Eddie Jones gewohnt hatte.
»Am besten überlassen Sie mir das Reden«, sagte sie beim Aussteigen.
Der Block erinnerte an DDR Zeiten, obwohl die Häuser kaum älter als zehn, fünfzehn Jahre sein konnten. Grauer Verputz bröckelte von grauem Beton und eingeschlagene Fensterscheiben im Erdgeschoss ließen nichts Gutes erahnen. Umso erstaunter stellte sie fest, dass Mr. Jones Wohnung nicht aufgebrochen worden war und das Polizeisiegel unversehrt an der Tür klebte.
»Wo bleibt der Hausverwalter? Haben sie ihn nicht informiert, Seidel?«
»Doch, selbstverständlich habe ich ihn informiert, aber wir sind wohl etwas zu früh.«
»Besser früh als zu spät«, brummte sie und versuchte, die Tür aufzustoßen.
Sie war verschlossen, was bei Seidel hektische Aktivität auslöste. Er nestelte aufgeregt in seiner bodenlosen Aktentasche, bis er einen Schlüsselbund in einem Plastikbeutel zutage förderte.
»Ich dachte, wir könnten Mr. Jones Schlüssel heute brauchen«, sagte er verlegen. »Ich habe das Asservat deshalb zurückbehalten. Hätte ich das nicht …«
»Seidel, Seidel!«, unterbrach sie schmunzelnd. »Geben Sie schon her.«
Der Junge hatte eine große Karriere vor sich. Die Wohnung bestand im Wesentlichen aus dem Wohnzimmer mit einem Wandschrank, in dem Küche und Bad zusammen Platz gefunden hätten. Sie blieb verblüfft stehen.
»Was fällt Ihnen auf, Seidel?«
»Man sollte lüften.«
»Das auch, sonst?«
Er zuckte die Achseln und lief rot an.
»Sehen Sie Kleider, Schuhe, sonst irgendetwas, was auf den Bewohner hindeutet?«
»Stimmt, nicht einmal ein Handtuch im Bad«, gab er in ungewohnter Kürze zu.
Die Billigmöbel standen noch da, Bratpfanne und Suppentopf nebst einigen Gläsern und Besteck in der Küche ebenfalls, aber sonst erweckte die Wohnung den Eindruck, der Mieter wäre ausgezogen.
»Gibt es in den Akten einen Hinweis auf seine neue Anschrift?«
Seidel schüttelte den Kopf, sprachlos, als trüge er die Schuld an der Verwirrung. Wer hatte hier ausgeräumt? Wollte jemand Spuren beseitigen? Der Scharfschütze vielleicht? Als läse er ihre Gedanken, sagte Seidel:
»Vielleicht haben die Nachbarn etwas gesehen.«
Sie nickte. »Wir werden sie gleich fragen.«
Acht Uhr war vorbei. Der Verwalter ließ sich noch immer nicht blicken. In der Wohnung gab es nichts mehr zu sehen. Sie beschloss, mit der Befragung zu beginnen. Die Tür des Nachbars zur Linken öffnete sich, als sie auf den Flur traten. Eine alte Dame, deren sorgfältig lackierte Fingernägel wohl ihren einzigen Luxus darstellten, kam ihnen entgegen.
»Wer sind Sie, was haben Sie in Mr. Jones Wohnung zu suchen?«, fragte sie streng.
Der Ausweis beruhigte sie nur teilweise. Sie musterte den jungen Referendar misstrauisch.
»Schon wieder Polizei? Ich kann mir nicht vorstellen, dass der nette Mr. Jones etwas verbrochen hat, im Gegensatz zum andern Gesindel in diesem Haus. Alles Ganoven, wenn Sie mich fragen. Aber vor Mr. Jones haben alle großen Respekt. Wissen Sie, früher …«
»Sie kennen ihn gut?«, unterbrach Chris rasch, um Seidel an einer unvorsichtigen Bemerkung zu hindern.
»Natürlich, was denken Sie denn, wir sind Nachbarn.«
»Natürlich. Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
Die Frau sah sie an, als vermute sie unanständige Hintergedanken. Dann antwortete sie so, dass nur Chris es hören sollte:
»Freitagmittag vor einer Woche.«