Der zweite Killer. Hansjörg Anderegg
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»Vor allem brauchen wir schnell Resultate«, brummte die Staatsanwältin. »Das Opfer war ein hoch dekorierter amerikanischer Elitesoldat, ein Navy SEAL, wie uns die zuständigen Stellen versichern. Mr. Jones soll in den USA mit allen militärischen Ehren bestattet werden. Die wollen seinen Leichnam unverzüglich.«
»Zuerst wird ihm der Pathologe die Ehre erweisen«, entgegnete Chris trocken. »War das alles?«
Sie öffnete die Tür und bedeutete Seidel, einzutreten. Er zögerte.
»Hereinspaziert, Herr Referendar«, ermunterte sie ihn. »Es wird schon nicht schlimmer sein als Ihr Riegel.«
Eddie Jones lag auf dem Stahltisch, als hätte er sich glücklich von dieser Welt verabschiedet. Der Rechtsmediziner wiederholte, was er schon am Tatort festgestellt hatte:
»Ein präziser Gnadenschuss. Der Schusskanal verläuft von der Mitte der Stirn schräg nach unten zum Cerebellum, dem Kleinhirn. Das Opfer war sofort tot. Die Waffe war nicht aufgesetzt. Aufgrund der Verletzungen gehen wir davon aus, dass der Schuss aus achtzig bis hundert Zentimeter Entfernung abgefeuert worden ist. Es braucht eine sehr ruhige und geübte Hand dazu.«
»Die SEALs sind Killermaschinen«, murmelte Seidel tonlos.
Chris musste schmunzeln. »Das erklärt ja alles.«
»Echt jetzt. Die SEALs sind die Elite der Elite. Denken Sie an Bin Laden.«
»Ich werde es mir merken«, versicherte sie.
Der Pathologe unterbrach den geistreichen Dialog:
»Möchten Sie wissen, was wir in Mr. Jones‘ Blut und Magen gefunden haben?«
»Nicht wirklich, aber Sie werden es uns trotzdem sagen.«
»So ist es. Es könnte durchaus wichtig sein. Das Opfer hat in letzter Zeit häufig Cannabis konsumiert. Sie werden es kaum glauben, aber ich habe Anzeichen von Unterernährung festgestellt. Der Mann litt an einer schweren und offenbar langwierigen Gastroenteritis.«
»Eine Magen-Darm-Infektion! Was verstehen Sie unter schwer?«
»Seine Nieren sind geschädigt. Ohne intensive Behandlung in einer Klinik wäre Mr. Jones daran gestorben.«
Die Äußerung des Pathologen stand in krassem Widerspruch zum Ausdruck des Friedens auf dem Gesicht des Toten. Tödliche Krankheit, Drogenkonsum: Ihre Gedanken begannen sich zu überschlagen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie die neue Information einordnen sollte. Der Arzt war noch nicht fertig:
»Die Ursache der Infektion sind gram-negative Pathogene.«
Seidel zückte sein Smartphone.
»Das ist eine Leichenhalle, junger Mann«, belehrte ihn der Pathologe, »hier wird nicht telefoniert.«
Kaum hatten sie das Haus verlassen, platzte ihr Referendar heraus:
»Ich wollte nur nachsehen, was gram-negativ bedeutet.«
»Was, Sie wissen das nicht? Warum haben Sie nicht gefragt?«
Damit ließ sie es bewenden. Sie selbst konnte sich nichts unter dem Begriff vorstellen, aber ihr privates Wikipedia hieß Jamie, war Arzt und würde sie bald erschöpfend über gram-negative Pathogene aufklären. Seidel sprach kein Wort während der Fahrt zurück zum Treptower Park. Möglicherweise bedrückten ihn ähnliche Gedanken wie sie. Eddie Jones musste unter großen Schmerzen gelitten haben. Das könnte den erhöhten Konsum von Haschisch erklären und den friedlichen Gesichtsausdruck. Der Tod als Erlöser. Wieso beendete er seine Qualen nicht selbst, wenn er keinen Ausweg mehr sah? Vielleicht war ihm der Täter nur zuvorgekommen. Hatte er sich deshalb nicht gewehrt? Die schwere Krankheit des Opfers warf ein neues Licht auf den Fall, doch Eddie Jones blieb ihr auch nach dem Bericht des Pathologen ein Rätsel.
Sie saß noch keine Minute am Schreibtisch, als Seidel auf sie zutrat und sich umständlich räusperte. Leise, als wagte er es nicht auszusprechen, sagte er:
»Chef – ich glaube, wir haben etwas übersehen.«
Weiter kam er nicht. Staatsanwältin Winter platzte herein.
»Neues vom Phantomkiller?«
Chris schüttelte den Kopf. »Nicht vom Täter aber vom Opfer.«
Das Stichwort Cannabis elektrisierte Winter.
»Drogen?«, rief sie aus. »Dem müssen Sie sofort nachgehen. Schalten Sie die Drogenfahndung ein, dann haben Sie Ihre Verstärkung.«
Sie rauschte hinaus, beflügelt von der neuen Entwicklung.
»Gut, sehr gut«, hörte Chris, bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.
Seidel nahm einen neuen Anlauf. Diesmal unterbrach ihn Jens Haase, der vorsichtig ins Zimmer spähte. Als er sah, dass die Luft rein war, trat er ein.
»Schlechte Nachrichten, fürchte ich«, meldete er. »Der Kollege des Opfers, Diego Alvarez, ist bis jetzt nicht aufzutreiben. Es sind jede Menge Anfragen bei Fluggesellschaften und Flughäfen am Laufen, inklusive eines offiziellen Unterstützungsantrags ans Oberkommando in Ramstein. Bisher herrscht Funkstille.«
»Was ist mit seiner Wohnung, den Nachbarn?«
»Negativ. Mr. Alvarez zieht es vor, nur eine Postfachadresse zu haben. Die Post kennt natürlich die richtige Anschrift, gibt aber nur mit gültigem Gerichtsbeschluss Auskunft. Ich habe es versucht, aber der Richter stellt sich quer, da Mr. Alvarez nicht mehr zum engen Kreis der Verdächtigen gehöre.«
»Nicht zum engen Kreis der Verdächtigen!«, brauste sie auf. »Was für ein Schwachsinn. Ich fasse es nicht. Aber danke, Herr Haase, kümmern wir uns eben selbst darum, sobald wir Zeit haben.«
»Ich könnte unsere IT einschalten.«
Die vom Bund lizenzierten Hacker, meinte er. Sie nickte ihm lächelnd zu und schwieg fürs Protokoll.
»Jetzt aber zu Ihnen, Seidel. Was haben wir übersehen?«
»Also – so absolut habe ich es nicht formuliert.« Er hüstelte verlegen, bevor er fortfuhr: »Die Krankheit unseres Opfers hat mich daran erinnert. Unter den Asservaten aus der Wohnung des Toten befindet sich eine leere Medikamentenschachtel. Falls es sich um ein rezeptpflichtiges Präparat handelt, finden wir so vielleicht den Arzt …«
»Seidel, aus Ihnen wird noch ein guter Schnüffler«, unterbrach sie schmunzelnd. »Welche Nummer ist es?«
»Zwölf.«
Das Beweisstück Nummer zwölf aus Eddie Jones‘ Abfalleimer erschien auf ihrem Bildschirm, sauber abgelichtet von allen Seiten.
»Neomycin«, las sie laut. »Es handelt sich wohl um ein Antibiotikum.«
»Ich kann das abklären«, sagte Seidel, bereit zum Sprung an den Computer.
»Nein,