Der zweite Killer. Hansjörg Anderegg
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Читать онлайн книгу Der zweite Killer - Hansjörg Anderegg страница 15
»Die obere Serie zeigt die normale Reaktion von C. difficile auf verschiedene Antibiotika. Unten sehen Sie die Reaktion der Mutation aus Ihrer Probe. Fällt Ihnen etwas auf?«
Es war eine rhetorische Frage. Die Bakterien aus Eddie Jones‘ Magen reagierten auf kein einziges getestetes Antibiotikum.
»Resistent«, murmelte sie, nicht vollkommen überrascht.
Schulz nickte. »Wir wollten es genau wissen, haben sämtliche Typen von Antibiotika überprüft, stets mit dem gleichen Resultat. Die Keime in Ihrer Probe sind nicht einfach resistent. Sie sind total resistent gegen alle Antibiotika. Wir nennen solche Pathogene deshalb ›TDR‹, totally drug resistant. Diese Bakterien sind absolut tödlich wie die Pest im 14. Jahrhundert, und es gibt kein Gegenmittel – wie im 14. Jahrhundert.«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Die Stille lastete bleischwer auf ihr. Eddie Jones als Träger einer neuen Pest, gegen die das ganze Arsenal moderner Medizin nichts ausrichten konnte.
»Wie kann so etwas entstehen«, murmelte sie schließlich tonlos, »eine solche Mutation, meine ich?«
»Bakterien sind anpassungsfähiger als der Mensch. Wir wissen heute, dass zu sorglose, häufige Behandlung mit Antibiotika resistente Keime erzeugen kann. Es sind Fälle bekannt, wo beispielsweise eine Lungenentzündung mit viel Antibiotika erfolgreich bekämpft wurde, mit dem Effekt, dass sich dadurch resistente Bakterien im Magen des Patienten ungehindert ausbreiten konnten. Wenn solche Fälle in Kliniken auftreten, gilt höchste Alarmstufe. Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn sich diese Keime ausbreiten. Wir könnten nur noch zusehen, wie die Leute sterben.«
»Es gibt ernsthafte Studien der Weltgesundheitsorganisation, die bereits das Ende von Antibiotika mit allen Konsequenzen heraufbeschwören«, fügte Jamie mit Grabesstimme hinzu.
»Ist das nicht ein wenig übertrieben?«
Schulz schüttelte den Kopf. »Tatsache ist, dass kein Antibiotikum gegen solche Bakterien wirkt. ›TDR‹ Keime verhalten sich so, als wäre Penicillin nie entdeckt worden. Um ehrlich zu sein: Die Welt wartet auf einen neuen Alexander Fleming.«
»Gibt es denn keine Alternativen zu Antibiotika?«
»Bis jetzt nicht. Alle Ansätze stecken noch in den Kinderschuhen. Die Pharmaindustrie hat zu lange geschlafen. Antibiotika-Forschung lohnt sich einfach nicht.«
»Bis es zu spät ist.«
»Fünf vor zwölf ist jedenfalls vorbei«, stimmte Schulz zu mit einem Blick auf seine Versuchsreihe. »Spät, aber immerhin, hat man jetzt begonnen, sich mit der Ursache der Resistenz zu befassen. PPMOs sind eine mögliche Lösung. Das sind Peptide, die gezielt die Gene in der Bakterie stilllegen, die für die Resistenz verantwortlich sind. Antimikrobielle Peptide, AMPs, sind eine andere Variante. Die greifen die Zellmembran der resistenten Bakterien an und zerstören sie.«
»Das hört sich alles ziemlich vage an.«
»Ist es auch«, bestätigte Jamie, »leider.«
Chris schwieg, in Gedanken versunken. Ihr Fall war gerade um eine Dimension komplizierter geworden. Mit C. difficile trat ein zweiter Killer auf den Plan, still und unsichtbar, tödlicher als jeder Scharfschütze. Schulz unterbrach ihren Gedankengang:
»Sie müssen mir verraten, woher diese Keime stammen, Kommissarin. Unser Institut ist verpflichtet …«
Sie wehrte ab. »Ich würde es Ihnen sagen, wenn ich könnte, glauben Sie mir. Wir tappen selbst im Dunkeln. Bis vor einer Stunde wusste ich noch nicht, dass resistente Bakterien in unserm Fall eine Rolle spielen.«
Das US-Lazarett in Landstuhl erwähnte sie nicht, obwohl es nun ganz oben auf ihrer Liste stand.
Kaiserslautern
Alois Jung setzte die Tasse wieder ab, ohne zu trinken. Der kalte Kaffee schmeckte zu sehr nach abgestandener Milch. Der Junge war immer noch nicht da.
»Ludwig, komm bitte herunter. Es ist Zeit für die Schule, und ich muss zur Arbeit.«
Es blieb ruhig, abgesehen vom morgendlichen Lärm der Nachbarskinder im Reihenhaus. Verdächtig ruhig.
»Ludwig?«
Der Junge war zehn, hochintelligent, wie die Lehrer sagten, und brauchte pausenlose Fürsorge wie ein Säugling. Manchmal zweifelte er, ob Ludwig je so etwas wie Selbstständigkeit erlangen würde. Viertel vor acht, höchste Zeit. Er nahm den Sportteil aus der Zeitung, wie an jedem Werktag, und schob ihn in die Innentasche des Arbeitskittels. Auf halbem Weg zur Treppe blieb er erschrocken stehen. Ludwig rief nach seiner Mutter. Panik lag in seiner Stimme, als fürchte er, Mama für immer zu verlieren. Er hämmerte mit den Fäusten an eine Tür. Die Rufe steigerten sich zum zornigen Geschrei. Alois schüttelte den Kopf. Der Junge konnte schnell ausfällig werden. Das würde sich wohl auch nicht so bald ändern. Seufzend stieg er die Treppe hoch.
»Ludwig, beruhige dich. Was ist los?«
Der Knabe stand vor dem Bad. Ohne ihn zu beachten, schrie er weiter nach Mama und schlug mit den Fäusten auf die Tür ein. Alois zwang sich, ruhig zu bleiben. Darin hatte er Übung nach all den Jahren.
»Ist die Mama da drin? Kati?«
Er wollte nachsehen, doch Ludwig versperrte ihm den Weg, prügelte jetzt auf ihn ein und schrie weiter.
»Ist ja gut, Ludwig«, versuchte er zu beruhigen.
Gleichzeitig begann sein Herz schneller zu schlagen. Nichts war gut, wenn Kati im Bad saß und nicht antwortete. Warum sollte sie sich einschließen? Seine Gedanken überschlugen sich. Er schob Ludwig unsanft zur Seite und drückte auf die Klinke. Die Tür war nicht verschlossen, doch etwas blockierte sie. Er drückte kräftiger dagegen.
»Kati?«
Angst schwang jetzt in seiner Stimme mit. Er versuchte nicht, sie zu verbergen. Durch den Spalt sah er Katis Füße. Sie lag am Boden. Ihr Körper war es, der die Tür blockierte. Er sah und hörte Ludwig nicht mehr, hatte nur noch Augen für seine Frau, die krumm und reglos am Boden lag, als hätte sie ein Gaul in den Magen getreten.
»Kati, um Gottes willen …«
Seine Stimme versagte. Die Knie gaben nach. Er sank neben ihr zu Boden, bettete ihren Kopf in den Schoß und streichelte ihr Haar, unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein Wimmern wie aus weiter Ferne löste die Schockstarre. Sie regte sich, versuchte sich aufzurichten und zuckte mit einem spitzen Schrei zusammen. Ludwig warf sich weinend auf seine Mutter. Sie versuchte, zu sprechen, aber selbst die Bewegung der Lippen löste neue Krämpfe aus. Alois‘ Hände zitterten. Er drückte seiner Kati einen Kuss auf die fieberheiße Stirn und presste ein paar heisere Worte heraus, von denen nur »Krankenwagen« zu verstehen war. Sie schien nicht verletzt zu sein. Jedenfalls sah er kein Blut. Ihr Magen quälte sie bis zur Bewusstlosigkeit. Seine eigenen Därme begannen sich zu verknoten, während er die Treppe hinunter stolperte zum Tisch, auf dem das Handy lag.
Kati hatte das Bewusstsein wieder verloren, als er ins Bad zurückkehrte. Die zehn Minuten bis zum Eintreffen des Notarztes genügten nicht, um Ludwig zu beruhigen. Er glaubte, Mama sei gestorben und überhäufte ihn in seiner Not mit Vorwürfen und wüsten Beschimpfungen. Alois ließ es wie üblich an sich abprallen. Er hörte ohnehin nicht richtig zu. Seine Gedanken waren bei Kati.
»Ins