Staatsfeinde. Hansjörg Anderegg

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Staatsfeinde - Hansjörg Anderegg

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dich!«, rief er beim Verlassen des Büros.

      Er beeilte sich, seine Kopie in der Gebärmutter zum Schweigen zu bringen.

      Kaum hatte Leni wieder zu arbeiten begonnen, stieg ihr Gretas Parfüm in die Nase. Sie hatte die Assistentin des Chefs nicht kommen hören. Jetzt stand sie hinter ihr und betrachtete das Chat-Fenster mit Argusaugen.

      »Phil ist schon ein interessanter Charakter«, bemerkte Greta.

      Leni wäre am liebsten im Boden versunken. Stockend versuchte sie, die Aufmerksamkeit aufs Projekt zu lenken. In der Aufregung klickte sie ihr eigenes Arbeitsfenster weg statt den kompromittierenden Chat.

      »Geben Sie sich keine Mühe«, sagte Greta mit schiefem Lächeln. »Was war das mit Phils neuer Software? Was soll nicht an der Sitzung erwähnt werden? Ich höre.«

      Nach diesem denkwürdigem Tag zog es Phil nicht in seine Wohnung nach Aachen. Ein widernatürliches Verlangen nach Gesellschaft lenkte seine Schritte automatisch zu Pias Bar zurück. Gegen seine Gewohnheit betrat er das Lokal durch den Vordereingang. Etwa ein Dutzend vorwiegend ältere Männer saßen an den Tischen und am Tresen. Eine Gruppe spielte Skat. Andere starrten trübselig auf ihr Kölsch, als warteten sie auf Antworten zu all ihren unausgesprochenen Fragen. Nicht wenige leere Schnapsgläser standen herum.

      Pia, eben noch am Zapfhahn beschäftigt, erspähte ihn augenblicklich. Sofort unterbrach sie die Arbeit und schoss hinter dem Tresen hervor auf ihn zu.

      »Jöses, Phil, ist was passiert? Hat man dich entlassen?«

      »Eine Runde für alle!«, rief er.

      »Jöses Maria, was ist nur in dich gefahren? Sprich mit mir.«

      Moni tauchte aus dem Nichts auf und spitzte die Ohren, die wieder auf normale Größe geschrumpft waren.

      »Es gibt etwas zu feiern, was du nicht verstehen wirst, Schwesterherz«, sagte er grinsend.

      Der fröhliche Gesichtsausdruck ängstigte sie noch mehr. Kopfschüttelnd kehrte sie an den Tresen zurück und holte sein übliches Wasser aus dem Kühlschrank.

      »Was soll ich damit?«, fragte er irritiert. »Besteht dein Kölsch jetzt nur noch aus Wasser?«

      Sie betrachtete ihn wie die Ente das fremde Küken, bevor sie es aus dem Nest wirft. »Du wirst mir jetzt nicht zu trinken anfangen, Phil!«

      »Ich trinke nur bei ganz besonderen Gelegenheiten, das weißt du, und jetzt ist so eine.« Lauter rief er in die Runde: »Ich brauche Alkohol!«

      »Alkohol!«, tönte das Echo aus allen vier Ecken.

      Monis Gelächter kam ihm gefährlich nah. Im letzten Moment erinnerte sie sich an seine Allergie gegen Berührungen.

      »Lass die Luft raus, Pia«, brummte ein Herr mit Glatze neben ihm am Tresen, das leere Glas in der Hand.

      Erschrocken rückte er einen Schritt zur Seite. Die spitzen Eckzähne des Mannes ängstigten ihn, obwohl er ein bekannter Stammgast war. Nur das Feuer in den Augen passte nicht zu Nosferatu. Es versprühte eine seltsame Wärme, vielleicht ein Überbleibsel aus besseren Tagen wie die Muskeln an seinen Armen, die man unter dem zu engen Jackett immer noch erahnen konnte.

      »Hast du nicht langsam genug getrunken, Kai?«, fragte Pia.

      »Dein kleiner Bruder schmeißt eine Runde. Hörst du nicht zu?«

      Kais Artikulation ließ etwas zu wünschen übrig, ein Zeichen, dass der Inhalt der vier Schnapsgläser an seinem Stammplatz tatsächlich in seinem Blut kreiste. Pia zögerte. Phil nickte und sagte, immer noch unnatürlich grinsend:

      »Gib ihm sein Bier, Schwesterchen. Heute feiern wir. Heute ist ein großer Tag.«

      Der erste Schluck war O. K. Der zweite schmeckte nur noch bitter. Vielleicht sollte er reinen Alkohol in der Rhein Apotheke besorgen und ihn sich spritzen, erwog er kurz. Eine andere Möglichkeit, sich ohne Qual zu betrinken, sah er nicht. Er holte das Wasser, das Pia wieder in den Kühlschrank gelegt hatte, und ließ das Bier warm werden. Kai trank gierig aus dem vollen Glas, das sie ihm mit strafendem Blick hingestellt hatte. Als er es absetzte, war es leer. Er fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund und sah ihn fragend an.

      »Was? Noch eins?«

      »Sicher«, grinste Kai, »aber was feiern wir eigentlich?«

      »Versteht ihr nicht.«

      Er versuchte trotzdem, zu erklären, welchen Riesenschritt künstliche Intelligenz gerade dank Phil Schuster in Richtung wahre Intelligenz getan hatte. Es war vergebliche Liebesmüh. Die Augen der Zuhörer verrieten eine akute Blockade des Frontalkortex. Er zuckte die Achseln und seufzte:

      »Ich habe es ja gesagt.«

      Nur Monis Geist schien nicht vollständig lahmgelegt zu sein.

      »Du kannst mir also jetzt einen Roboter basteln, mit dem ich mich vernünftig unterhalten kann?«

      Die Formulierung reizte seine Lachmuskeln, aber im Grunde genommen hatte sie das Wesen des neuen Algorithmus voll erfasst.

      »Im Prinzip ja«, stimmte er zu, »aber wozu brauchst du einen Roboter?«

      »Habe ich doch gerade gesagt, um vernünftig mit ihm zu reden. Sonst ist mir nämlich noch keiner untergekommen, mit dem das möglich wäre.«

      Sie hörte sich die Proteste der Umstehenden nicht mehr an und verschwand durch die Hintertür. Der nächste Kunde wartete, nahm er an.

      »So ganz daneben liegt sie nicht«, sagte er. »Mein Bot kann tatsächlich vernünftiger argumentieren als manche Leute.«

      Kai hielt Pia das leere Glas hin. Sie schüttelte nur den Kopf, worauf er seufzend aufgab und sich an Phil wandte.

      »Weißt du, eigentlich mag sie mich, deine Schwester. Sie kann es nur nicht zeigen.«

      Alle, die zuhörten, fanden die tiefschürfende Erkenntnis plausibel außer Pia.

      »Du bist betrunken, Kai«, wies sie ihn zurecht. »Hör endlich auf zu saufen und such dir einen anständigen Job. Arbeitsloser Privatdetektiv! Das hat doch keine Zukunft.«

      »Meine Zukunft liegt schon lange hinter mir, meine Liebe. Seit acht Jahren, um genau zu sein, seit dem letzten Einsatz mit Tom.«

      »Jetzt kommt die Geschichte wieder«, murmelte sie mit den Augen rollend, »die hast du schon hundertmal erzählt. Der Einsatz mit Tom ging in die Hose. Du hast den Dienst quittiert, und jetzt bist du Alkoholiker. Habe ich etwas vergessen?«

      Zu Phils Erstaunen grinste Kai breit.

      »Siehst du, sie mag mich. Sie merkt sich alle meine Geschichten.«

      »Eine Geschichte, Kai«, protestierte sie, »es gibt nur eine einzige Geschichte, die du immer wieder erzählst. Meine Güte, irgendwann muss gut sein. Die Zeit heilt doch die Wunden.«

      Er schüttelte traurig den Kopf. »Den Scheiß habe ich schon früher nicht geglaubt.«

      Phil

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