Staatsfeinde. Hansjörg Anderegg
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»Es wird dir nicht schwerfallen, ein paar virtuelle Freunde und Follower zu organisieren.«
Wusste sie, wovon sie sprach? Er zweifelte daran und fragte nach. Auch darauf antwortete sie sofort:
»KI kann doch auch Nutzer simulieren, oder irre ich mich? Vergiss nicht: Wir leben von Illusionen. Die Motivation unserer Kunden ist Voraussetzung für den Erfolg jeder Kampagne. Da kommt deine Software ins Spiel.«
»Ihr erwartet ernsthaft von mir, bei diesem Falschspiel mitzumachen? Glaubt ihr, die Automobilindustrie falle auf ein paar Tausend Sockpuppets, Social Bots und Google Bombs herein?«
John Stein reichte es. Er reagierte allergisch auf negative Schwingungen in seinem Sitzungszimmer und Fremdwörter, die er nicht verstand.
»Phil, wir diskutieren das hier nicht weiter, zumal wir Laien nur Bahnhof verstehen. Wenn du konkrete Fragen hast, richte sie an Greta. Ansonsten erwarte ich zügig Resultate.« Nach einem lauernden Blick in die Runde fuhr er fort: »Wir treffen uns hier jeden Morgen um sieben fürs Statusmeeting. Alles klar? Los geht›s, Leute, packen wir›s an!«
Was hat mich bloß geritten, hier anzufangen?, fragte sich Phil nach der anschließenden Diskussion mit Greta. Er zweifelte nicht zum ersten Mal am Sinn seiner Arbeit für John Stein, und er kannte die Antwort auf die Frage längst ganz genau.
Die Hiobsbotschaft seiner Mutter hatte ihn mitten aus der Doktorarbeit in Edinburg gerissen. Hals über Kopf musste er nach Köln zurückkehren, um die todkranke Frau zu unterstützen. Von einem Tag auf den andern brauchten er und seine Schwester viel Geld für Pflege, Therapie und Medikamente. Enorme Kosten, die nicht von der Kasse übernommen wurden. So stand es im Kleingedruckten, das seinerzeit niemand gelesen hatte. Technisch arbeitslos, gab ihm keine Bank Kredit. Die Limite der Schwester war sowieso ausgereizt. Zwecklos, sich jedes Mal wieder darüber zu ärgern. Die Antwort auf die berechtigte Frage lautete ganz profan: Er brauchte Geld. Im Grunde müsste er John dankbar sein, denn nicht nur die Kohle stimmte, es gab auch an der hochmodernen und leistungsfähigen Infrastruktur in der verbotenen Zone nichts auszusetzen – und er fand genug Zeit, seine Forschung voranzutreiben. Bis jetzt.
Mit einem leisen Fluch schlüpfte er wieder in den Schoß der Gebärmutter. Leni sah ihn erwartungsvoll an, ohne Fragen zu stellen. Sie konnte sich ausmalen, in welcher Verfassung er von einer solchen Sitzung zurückkehrte. Auch das zeugte von ihrem guten Charakter. Sie hielt die Klappe, wenn es darauf ankam. Er setzte sich an seinen Platz, starrte eine Weile an die unsichtbare Decke, so schwarz war die. Schließlich sah er sie an und sagte:
»Wir haben ein Problem.« Nach kurzer Pause korrigierte er sich: »Das heißt, ich habe ein Problem. Vielleicht hast du keins damit.«
Er brauchte nicht viel zu erklären, bis sie sein Dilemma verstand.
»Greta will also, dass wir einen Twitter Account für die Kampagne eröffnen und ein paar Tausend Fake Followers aus dem Hut zaubern«, fasste sie zusammen. »Technisch kein Problem, das weißt du. Du hast moralische Bedenken.«
»Das ist doch ein billiger Taschenspielertrick, um den fetten Auftrag an Land zu ziehen«, brauste er auf.
Sie stimmte zu, gab aber zu bedenken, dass es offenbar um viel Geld ging, wovon sie alle profitierten. Tatsächlich, Greta rechnete mit einem Gesamtvolumen von fünf Millionen Euro, wie sie ihm hinter vorgehaltener Hand versichert hatte. Er verschwieg die Summe, um nicht am Ende Lenis Begeisterung für den zu erwartenden Bonus zu wecken.
»Sieh’s mal so«, begann sie nach einer Denkpause. »Wem schadet die kleine Flunkerei?«
Er zögerte, schüttelte dann den Kopf. »Es ist einfach unmoralisch.«
Sie lachte. »Deinen Kodex in Ehren, aber ich glaube, du irrst. Unmoralisch wär‘s doch nur, wenn die Firma lediglich auf Kosten anderer profitierte.«
Zu diesem Thema hätte er einige Argumente parat, wollte jedoch nicht weiter darüber diskutieren. Sie sah kein Problem in Gretas Auftrag und wusste, was zu tun war.
»O. K., dann nichts wie los, bereite alles vor«, sagte er nur und widmete sich wieder seinem Programm.
Es wurde still in der Gebärmutter. Einzig die Ventilatoren der Serverfarm summten einschläfernd weiter, hin und wieder von einer Tastatursalve unterbrochen. In die Arbeit versunken, nahmen sie kaum Notiz voneinander, bis sie aufstand, sich dehnte und neugierig auf seine Bildschirme schaute.
»Eines Tages musst du mir erklären, was du da eigentlich treibst.«
Es war nicht ihre Schuld. Sie unterbrach seinen wichtigen Gedankengang ohne Absicht, aber der Gedanke war weg. Die Arbeit stockte abrupt, und er verlor die Beherrschung. Ein böses Schimpfwort entschlüpfte ihm, das er bereute, bevor es verklungen war. Hastig packte er seine Sachen zusammen und verließ den Raum fluchtartig.
Leni starrte ihm wie versteinert nach. Sie war seltsame Reaktionen von ihrem Kollegen gewohnt, aber die war neu. Ihr blieb indessen keine Zeit, darüber nachzudenken. Gretas Mail mit den ersten aufzuschaltenden Texten traf ein. Phil rückte in den Hintergrund. Sie würde Gretas Deadline nicht einhalten ohne volle Konzentration auf die Arbeit.
Sie war dabei, die letzten Sockpuppets anzulegen, Mehrfach-Konten, um viele verschiedene Benutzer vorzutäuschen, als der System-Monitor ungewöhnliche Aktivitäten anzeigte. Riesige Mengen an Datenpaketen wurden empfangen. Keines ihrer Programme war dafür verantwortlich. Sie versuchte, den Sünder zu lokalisieren. Es gab kein Anwendungsprogramm im ganzen internen Netzwerk, das diese Daten verarbeitete. Schließlich entdeckte sie eine System-Task, einen Dämon, der im Hintergrund lief und die Daten konsumierte wie ein schwarzes Loch. Sie überlegte sich kurz, das unheimliche Programm abzuschießen. Der Gedanke verflüchtigte sich rasch, als sie feststellte, unter welchem Account der Dämon gestartet worden war.
»Phil, was zum Geier soll das werden?«, fragte sie den Bildschirm kopfschüttelnd.
Er musste den Datentransfer remote ausgelöst haben. Das war nicht der einzige Umstand, der sie verstörte. Viel verwirrender fand sie die Tatsache, dass es in ihrem System keinen Input-Kanal gab, der solche Transferraten zuließ. Sie verstand gar nichts mehr.
Ziellos durch die Stadt irren, half nicht. Der Gedanke war verloren. Wenige Schritte vor dem Hauptbahnhof auf der Domplatte besann Phil sich eines Besseren. Im Laufschritt rannte er durch die Unterführung auf die andere Seite des Bahnhofs und den Eigelstein hinunter zu Pias Bar.
Er wählte den Hintereingang, der direkt über die Treppe zu seinem RZ, dem privaten Rechenzentrum, führte. Es bestand aus einer fensterlosen Abstellkammer schräg gegenüber Monis Arbeitszimmer in der ersten Etage. Die Wände waren dünn, der einzige Nachteil dieses unauffälligen Altbaus, in dem zwar jedermann viel beschäftigte leichte Mädchen wie Moni vermutete aber niemand einen KI-Forscher mit modernster Technik auf der Suche nach dem Heiligen Gral der Informatik. Die Kammer mit der Aufschrift privat war der ideale Rückzugsort. Außer Moni und seiner Schwester wusste niemand, dass er dort manchmal nächtelang am Computer saß oder irgendwelche Gadgets zusammenlötete, deren Zweck sich keiner normalen Menschenseele erschloss.
Statt das RZ zu betreten, klopfte er an Monis Tür, nicht ohne sich vorher zu versichern, dass niemand über ihr stöhnte.
»Die Türe ist offen, Max«, antwortete sie mit der Glockenstimme, die wie geschaffen war für ihren harten Beruf.
Er öffnete einen Spaltbreit.
»Sorry,