Staatsfeinde. Hansjörg Anderegg

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Staatsfeinde - Hansjörg Anderegg

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Engels Webseite rahmte die Weisheiten fett gedruckt oben und unten ein. Schmunzelnd schloss er das Fenster, um den Lärm zu dämpfen. Er griff zum Telefon, um das Sekretariat zu warnen.

      »Im Moment stecke ich in der Demo fest. Wird wohl etwas später. Wir müssen wenden und einen Umweg fahren.«

      Es war zugleich das Zeichen für den Chauffeur, der die Anweisung mit dem zufriedenen Grinsen befolgte, das er selbst jedes Mal aufsetzte, wenn das Kanzleramt nach seiner Pfeife tanzte. Er faltete das Flugblatt sorgfältig zusammen, bevor er es einsteckte. Zitate aus dem Volksmund waren nie verkehrt an einer Kabinettssitzung, schon gar nicht an dieser Sondersitzung, deren einziger Verhandlungsgegenstand der unselige Plan für ein Freihandelsabkommen mit China war.

      »Unglaublich, diese Engel«, brummte der Chauffeur, während er die Demo weiträumig zu umfahren versuchte.

      Er wusste, was der Mann meinte. Lotte Engel brauchte nur mit den Fingern zu schnippen, um das halbe Volk zu mobilisieren, dem Internet sei Dank. Wie schaffte die Frau das? Sie vertrat eine radikal linke Politik. Das konnte doch nicht der neue deutsche Traum sein. Und weshalb blieben bei seinen Veranstaltungen halbe Säle leer? Ernährungsminister Hannes Lang stand schließlich für bodenständige Vernunft. Dafür hatte ihn das Parlament gewählt.

      Immer neue Busladungen von Demonstranten mit Transparenten, Tröten und Megafonen strömten von allen Seiten zum Platz der Republik. Die Limousine hatte die Spree überquert und näherte sich nun am rechten Ufer entlang dem Ziel. Es war die falsche Entscheidung gewesen. Unvermittelt sahen sie sich von vermummten Gestalten in schwarzer Kleidung umringt. Die Schlagstöcke und Baseballschläger waren nicht zu übersehen. Der Chauffeur fluchte, legte den Rückwärtsgang ein. Zu spät, es gab kein Entkommen mehr. Der erste Schlag zertrümmerte die Heckscheibe. Panik ergriff beide. Sie schrien ins Telefon.

      »Wo bleibt die Polizei?«, brüllte er den Fahrer an.

      Er hätte auf ihn hören sollen am Morgen, als er die Eskorte vorgeschlagen hatte wegen der Demo.

      »Autonome des schwarzen Blocks greifen uns an!«, schrie der Fahrer ins Telefon.

      Der nächste Schlag traf die Frontscheibe genau vor seiner Nase. Das Sicherheitsglas zerplatzte in tausend Splitter und verwandelte die Scheibe in undurchsichtiges Milchglas. Die schwere Limousine begann zu wanken, als bebte die Erde. Er prallte hart an die Tür, fiel auf den Sitz zurück, verrenkte sich den Arm dabei, dass er vor Schmerz laut aufschrie.

      »Sind Sie verletzt?«, unterbrach der Fahrer das Geschrei mit der Notrufzentrale.

      Der Wagen wankte nun bedenklich. Die Scheißkerle würden es noch schaffen, ihn umzukippen. Mehr als ein Dutzend Vermummte beteiligten sich jetzt am Spaß, skandierten rhythmische Schlachtrufe, als wollten sie den Teufel austreiben.

      »Die fackeln uns ab!«, brüllte der Fahrer wie am Spieß.

      Der Kerl mit dem Feuerzeug und der Flasche stand keine fünf Meter entfernt. Statt zu werfen, ließ er den Molotowcocktail plötzlich fallen und gab Fersengeld. Die Spaßvögel am Auto folgten ihm augenblicklich. Sekunden später stand die Limousine verlassen auf der Straße, Scheiben geborsten, Motorhaube und Kotflügel verbeult, als hätte sie ein Dieb nach missglückter Spritztour dort als Schrott abgestellt. Sein Tinnitus flaute ab. Jetzt hörte auch er die Sirenen der heranrückenden Kavallerie.

      Abwesend ließ er sich zum Rettungswagen führen. Die Fragen der Ärztin beantwortete er mechanisch. Er wunderte sich, wie die Lage in so kurzer Zeit derart eskalieren konnte. Das erste Mal in seinem Leben war er ernsthaft körperlich bedroht worden. Ein Gefühl ohnmächtiger Hilflosigkeit erfasste ihn.

      »Herr Minister?«

      Sein Fahrer wartete auf eine Antwort.

      »Wie bitte? Entschuldigen Sie, wie war die Frage?«

      »Soll ich sofort einen neuen Wagen anfordern oder möchten Sie mit dem Streifenwagen …«

      »Streifenwagen ist in Ordnung. Kümmern Sie sich um den Dienstwagen. Sind Sie in Ordnung?«

      Der Fahrer nickte und entfernte sich.

      »Sie haben einen Schock erlitten, Herr Minister«, stellte die Ärztin fest. »Sie sollten sich jetzt schonen und von Ihrem Arzt gründlich untersuchen lassen.«

      »Ich bin in Ordnung, danke.« Er blickte sich um. »Wo bleibt der Streifenwagen? Ich werde im Kanzleramt erwartet – seit einer halben Stunde.«

      Die letzten Minuten hatten es ihm deutlich vor Augen geführt: An dieser Sitzung ging es nicht einfach um einen Vertrag. Er war jetzt überzeugt, es ginge um den inneren Frieden der Bundesrepublik.

      »Beeilung bitte«, sagte er, als er in den Streifenwagen stieg, »sonst geschieht ein Unglück.«

      Noch eins, ergänzte er im Stillen. Klaus Hartmann, der Kanzleramtsminister, erwartete ihn allein im Sitzungszimmer. Er spielte den Betroffenen. Das hatte er drauf.

      »Du meine Güte, Hannes, wir stehen alle unter Schock! Wie geht es dir? Solltest du nicht lieber …«

      »Zu Hause herumsitzen?«, unterbrach er. »Hättest du wohl gern, damit ihr euer Geschäft ohne mich durchwinken könnt.«

      »Also hör mal!«

      »Wo sind die andern? Können wir endlich anfangen?«

      »Die Kollegen warten auf Abruf. Wir konnten ja nicht wissen …«

      Er winkte ab, setzte sich an seinen Platz und breitete die Notizen vor sich aus. Nach und nach trafen die Kollegen ein. Sie grüßten ihn und warfen ihm Blicke zu, als wäre er von den Toten auferstanden.

      »Übertreibt mal nicht«, sah er sich genötigt zu bemerken. »Was wir hier tun, ist wichtiger als die paar Dellen am Dienstwagen.«

      Die Sondersitzung begann mit dem Bericht aus Peking. Der Leiter der Kommission, die Vorgespräche vor Ort durchführte, bestätigte wie erwartet Pekings offenes Ohr für das deutsche Anliegen.

      »Als ob nichts geschehen wäre«, brummte Hannes nach dem Ende des Ferngesprächs. Lauter sagte er: »Leute, habt ihr mal aus dem Fenster geschaut? Wir können nicht weitermachen, als wäre nichts geschehen. Wir müssen die Vorgespräche abbrechen. Brüssel wird es uns auch danken.«

      Klaus Hartmann schüttelte entschieden den Kopf. »Was da draußen abgeht, ist bedauerlich, aber es ist nichts weiter als ein linkes Strohfeuer, angefacht von unserer alten Freundin Lotte Engel.«

      »Da sind bestimmt zehntausend Menschen da draußen, und es werden stündlich mehr«, widersprach er. »Ich war mittendrin und kann euch versichern, das sind nicht alles Linksextremisten. Das sind mit Recht besorgte Bürger, die sich hintergangen fühlen, die Angst um ihren Arbeitsplatz, Angst um ihre Gesundheit, Angst um ihre Zukunft haben. Das Echo auf die Enthüllung über die Geheimverhandlungen ist gigantisch und hat jetzt auch die ganz seriöse Presse erfasst. Ihr habt die Frontseite der FAZ gesehen. Wir dürfen so etwas nicht ignorieren. Da mache ich nicht mit.«

      Hartmann warf dem Justizminister einen fragenden Blick zu. Der schüttelte den Kopf und murmelte kleinlaut:

      »Bis jetzt gibt es keinen Anhaltspunkt, wer die Informationen an die Presse gespielt hat.«

      »Dann mach Druck!«

      Das

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