Future Angst. Mario Herger
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Das Nachhinken schafft immer mehr ein Wettbewerbsproblem für unsere Wirtschaft, deren Skepsis sie selbst hinter die Technologieakzeptanz der Gesellschaft zurückfallen lässt. So wurden Ende 2018 in der Studie „Digital Dossier Österreich“ die Ergebnisse einer Bestandsaufnahme zur Digitalisierung in Wirtschaft und Gesellschaft in der Alpenrepublik vorgestellt. Dabei stellte sich heraus, dass gerade einmal 37 Prozent der Unternehmen Internetbanking verwenden, während der Anteil bei der Bevölkerung mit 65 Prozent knapp unter dem EU-Durchschnitt lag.23
Nur 28 Prozent der Unternehmen statteten laut der Studie ihre Mitarbeiter mit Geräten aus, die auch aus der Ferne Zugriff auf das Firmennetzwerk erlaubten. Im DESI, dem Digital Economy and Society Index, der die digitale Wettbewerbsfähigkeit von EU-Ländern bewertet, lagen Deutschland und Österreich auf den Plätzen 12 und 13 von 28.24
Der Digital Riser Report 2020 vom European Center for Digital Competitiveness in Berlin, der alle ein bis zwei Jahre die Länder hinsichtlich ihrer digitalen Wettbewerbsfähigkeit bewertet, sieht Deutschland unter den 18 bewerteten Ländern nur an 16. Stelle.25 Während Frankreich, Japan oder Kanada ihre Wettbewerbsfähigkeit teilweise deutlich verbessern konnten, verschlechtere sich diese in Deutschland dramatisch. In Europa war nur Italien noch schlechter unterwegs.
Es überrascht nicht, dass sich dieses schlechte Abschneiden der Wirtschaft bezüglich digitaler Infrastruktur auch im Schulsystem widerspiegelt. So landete Deutschland im Index der Bereitschaft für digitales lebenslanges Lernen des Centre for European Policy Studies an der 27. von 27 Stellen.26 Österreich hingegen gehört mit dem zehnten Platz zu den Musterschülern, auch wenn man weit hinter Estland und den skandinavischen Ländern liegt. Die Erwachsenen machen sich den Wert „digitaler“ Infrastruktur und Kompetenz für die Wirtschaft nicht klar und die neue Generation lernt sie nicht in der Schule. Digitale Analphabeten ziehen digitale Analphabeten groß.
Die Coronakrise und der damit einhergehende Lockdown richtete ein gigantisches Vergrößerungsglas auf die digitale Infrastruktur und digitale Kompetenz der europäischen Länder. In einem Gastbeitrag einer Mitarbeiterin aus der IT-Branche wurden die Schwierigkeiten bei der Arbeit von zu Hause behandelt, mit der die zweifache Mutter zu kämpfen hatte, während sie gleichzeitig ihre sieben- und elfjährigen Kinder betreuen musste. Auch wenn der Schwerpunkt des Beitrags auf dem Aufwand lag, der von den Schulen und Lehrern auf die Kinder und Eltern verlagert wurde, weil die Schulen den Lehrplan unbedingt durchbringen wollten und diese Mehrfachherausforderung für die Eltern thematisiert worden war, fiel mein Interesse auf die digitale Lebenssituation der Familie.27
Der Vater, ein Gymnasiallehrer, benutzte den Heimcomputer für die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts. Diesen einen Computer musste sich die Familie irgendwie teilen, damit der Vater virtuellen Unterricht durchführen konnte und die Kinder Aufgaben herunterladen und ausdrucken konnten. Als IT-Mitarbeiterin hatte die Mutter hingegen ihren eigenen Laptop und konnte ihre Arbeit von zu Hause erledigen.
Viele andere Bekannte posteten Fotos von ihren neuen Homeoffice-Arbeitsplätzen, bei denen man merkt, wie überhastet sie eingerichtet worden waren. Dabei spreche ich nicht von Personen, die in ihrem Job keinen Computer verwenden, sondern für die er ein wesentliches Arbeitswerkzeug ist. Offensichtlich war Arbeiten von zu Hause etwas Neues. Das Foto einer 17-jährigen bayerischen Schülerin, die ihr Referat im verschneiten Garten abhalten musste, weil nur dort ihr Internet halbwegs stabil war, ging durch die Medien und zeigt, dass dies ein allgemeiner gesellschaftlicher Technologiemissstand ist.28
Auch diejenigen, die in der IT-Branche beschäftigt oder Start-up-Gründer sind, teilten aufgeregt ihre Erfahrungen und Bilder von den ersten Videokonferenzen, die sie von daheim aus geführt hatten.
Mir drängten sich gleich mehrere Fragen auf:
•Warum ist 20 Jahre, nachdem Videokonferenzen für mich zum täglichen Arbeitswerkzeug geworden waren, das für viele immer noch Neuland?
•Wieso ist die Grundausstattung der meisten Beschäftigten mit digitalen Werkzeugen nach wie vor so schlecht?
•Wieso ist das Arbeiten von zu Hause aus bislang so misstrauisch von den Unternehmen beäugt worden?
•Worüber hat man eigentlich all die Jahre auf den unzähligen Konferenzen zu digitaler Transformation referiert, wenn man bei den meisten Unternehmen nicht einmal die digitalen Basics eingeführt hat?
Dazu fällt mir gleich einmal die am eigenen Leib in Deutschland erlebte „digitale Wüste“ ein. In einem Land, in dem verlässlicher Mobilfunkzugang und flächendeckendes Breitbandinternet keine Selbstverständlichkeit sind, kann man nicht erwarten, dass die Bevölkerung und die Unternehmen bei der Heimarbeit digitale Werkzeuge verwenden können oder wollen.
Ein Zitat aus den Untiefen des Internets trifft das sehr gut. Nach dem Start der neuen Trägerrakete Falcon Heavy des von Elon Musk gegründeten amerikanischen Raumfahrtunternehmens SpaceX witzelte das extra-3-Magazin des NDRs:29
Auch Deutschland ist fit für die Zukunft: In vielen Regionen kann man den #FalconHeavy-Start sogar ruckelfrei streamen!
Während die Amerikaner wiederverwertbare Raketen mit landenden Raketenstufen bauen und damit als Leergewicht bei diesem Test Elon Musks Elektroauto ins All schießen, geben wir uns damit zufrieden, in vielen Regionen des Landes die Übertragung im Internet ruckelfrei streamen zu können. Im Land, das einstmals an vorderster Stelle der Entwicklung von Raketentechnologie stand.
Selbst dort, wo der Einsatz neuer Technologien gewünscht ist, wird oft halbherzig vorgegangen. Man will schwanger werden, aber nur ein bisschen. Die Einführung der Kassenbonpflicht mit dem 1. Januar 2020 war so ein Beispiel. So wurde auf digitale Registrierkassen umgestellt, die bei bargeldintensiven Geschäften wie Bäckereien die korrekte Abführung von Steuern ermöglichen sollten. So weit, so gut. Zugleich zwang der Gesetzgeber die Ladenbetreiber, jedem Kunden einen Kassenbon auf Papier auszuhändigen. Gerade bei Wirtschaftstreibenden mit viel Kundenverkehr und kleinen Transaktionen führte das zu einer absurden Situation.
So postete das Backhaus Kutzer aus der Oberpfalz Fotos auf Facebook, die die Auswüchse der Kassenbonpflicht vor Augen führten. Einen Monat lang hatte die Bäckerei die von den Kunden nicht angenommenen Kassenbons gesammelt und das Ergebnis abgelichtet. Der Bäcker versank förmlich in dem Berg aus unerwünschten Papieren.
Abbildung 3: Backhaus Kutzer mit Kassenbons 30
Dinglichkeit der Dinge
Als 17-jähriger Schüler verbrachte ich meine Sommerferien mit zwei jeweils einmonatigen Praktika. Der erste Job war eine Straße weiter von meiner Wohnung bei einem Fotohändler für professionelle Fotografen. Ich hatte die verantwortungsvolle Aufgabe erhalten, das Lager mit Secondhand-Fotoartikeln auszumisten. Man muss sich das so vorstellen, als ob in einem größeren Raum mit Regalreihen ein Elefant durchmarschiert war, einmal trompetete und sich dabei geschüttelt hatte, um befriedigt weiterzuziehen. Was ursprünglich ein Schulungsraum für Fotografen mit Einrichtungen für Studioaufnahmen gewesen war, hatte mit der Zeit und dem Wechsel und Abgang der Verantwortlichen den Charakter einer mehr als chaotischen Anordnung von Regalen und Objekten eingenommen.