Future Angst. Mario Herger

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Future Angst - Mario Herger

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Freundin angeblich hingezogen war, sieht man an diesen Wänden eher ungewöhnliche Plakate. Diese warnen vor Terroristen, Krankheiten, Wildtieren, Banden und von Blitzen getroffene Flugzeuge.

      Würden wir in ein Reisebüro gehen oder eine Reiseplattform benutzen, die uns vor allem auf einen möglichen, aber sehr unwahrscheinlichen katastrophalen Ausgang einer Urlaubsreise hinweist? Und weitergedacht: Würden wir zu einer Ärztin gehen, uns in ein Krankenhaus legen oder eine Gesundheitsplattform benutzen, wenn diese hauptsächlich den lukrativen Organhandel oder die Gefahren aufzeigt, dass unsere Patientenakten in falsche Hände fallen und wir durch Körperimplantate wie Herzschrittmacher oder Hörapparate zu willenlosen Werkzeugen anonymer Technologieunternehmen werden? Wie würden wir uns beim Griechen oder Italiener um die Ecke fühlen, wenn dieser uns zuerst auf die Gefahren von Ersticken am verschluckten Essen, vor Verbrühungen an Heißgetränken, Alkoholproblemen und tödlich endenden Erdnussallergien hinweisen und die Hintergrundmusik ständig von Warnungen unterbrochen werden würde?

      Vermutlich gar nicht gut. Wir suchen doch eigentlich nach einer Lösung für ein bestehendes Problem, nicht nach weiteren Problemen, die dieses noch verstärken würden, ohne dass uns eine Lösung angeboten wird. Und das Problem, das wir lösen wollen, ist, wieder gesund zu werden, den Hunger zu stillen oder den wohlverdienten Urlaub anzutreten.

      Aus evolutionärer Sicht ist unser Fokus auf bedrohliche Szenarien verständlich. Es haben diejenigen überlebt und ihre Gene weitergeben können, die dem Brüllen eines Tigers die sofortige notwendige Aufmerksamkeit geschenkt haben. Heute, wo die Gefahr, einem Tiger zur Mahlzeit zu dienen, verschwindend gering geworden ist, reagieren unsere Affenhirne trotzdem immer noch wie vor Hunderttausenden von Jahren. Gefahren erhalten unsere sofortige Aufmerksamkeit, denn die richtige Antwort darauf garantierte unser Überleben.

      Doch in einer modernen Welt kommen uns ebendiese so erfolgreich weitervererbten Gene in die Quere. Zehn Lösungen wiegen weniger schwer als ein Problem. Wir sehen vor allem die mit Rotstift markierten Fehler bei Klausuren, nicht die richtigen Antworten. Wir schießen uns auf ein gescheitertes Projekt ein und suchen nach den Schuldigen, anstatt kontrolliertes Scheitern zu ermöglichen und daraus für folgende Projekte zu lernen.

      Damit sollen die Probleme nicht verharmlost werden. Datenschutz, die Auswirkungen von Körperimplantaten und Organhandel ebenso wie mögliche Risiken selbstfahrender Autos oder das Brandverhalten eines Elektroautos nach einem Unfall sind wichtige Themen. Doch sollten wir nicht vergessen, dass viele dieser potenziellen Gefahren recht selten eintreten und oft auch nicht in dem Ausmaß, wie sie von Warnern an die Wand gemalt werden.

      Wir werden darauf zurückkommen, wie Technologieinnovationen in der Vergangenheit zu ähnlicher Skepsis geführt haben. Heute, wo diese Technologien für uns selbstverständlich sind, erscheinen uns die damaligen Ängste absurd. Stattdessen traten seit der Einführung dieser Technologien andere Probleme als die befürchteten auf, die wiederum durch Fortschritte in der Technologie gelöst werden konnten.

      Viele der Argumente aus der Vergangenheit ähneln denen, die den heutigen Technologien vorgeworfen werden. Waren es damals der Spiegel, der Lift, die Glühbirne oder das Radio, so sind das heute die künstliche Intelligenz, das Smartphone, soziale Medien oder das autonome Auto. Das ist dieses Funktionsdilemma, vor dem wir stehen. Wie viel Gutes und Schlechtes bringt uns die Technologie? Wir können Lehren aus der Vergangenheit ziehen, wie wir ein gutes Gleichgewicht zwischen den Chancen und Möglichkeiten und den Risiken und Gefahren bei der Entwicklung und Anwendung neuer Technologien finden können.

      Trotz aller auftauchenden Probleme dürfen wir die Gründe für die Entwicklung dieser Technologien nie aus den Augen verlieren. Mit jeder Innovation stellt sich diese Frage nicht nur aufs Neue, sie fordert uns auch immer wieder neu heraus zu erkennen, wo dieses Gleichgewicht des größten Nutzens für die Menschheit eigentlich liegt. Schon im Jahr 1947 beschäftigte sich der britische Autor W. H. Auden in seinem Gedichtband „The Age of Anxiety“ („Das Zeitalter der Ängste“) mit den Auswirkungen der Industrialisierung auf die Suche des Menschen nach Inhalt und Identität.6 War es damals die Industrialisierung, so ist es heute unter anderem die Automatisierung durch künstliche Intelligenz, die ähnliche Fragen aufwirft.7 Was damals Ängste auslöste, wird heute als normaler Bestandteil unseres Alltags gesehen. Es fällt nur auf, wenn es nicht funktioniert oder wenn es nicht vorhanden ist.

      Ein Land voller Moralunternehmer

      Mancher findet nur darum ein Haar in jeglicher Suppe, weil er das eigene Haupt schüttelt, solange er isst.

      Friedrich Hebbel

      Was haben Regenschirme, Impfungen, Teddybären, Comics oder Spiegel gemein? Genau dieselbe Tatsache wie das Selfie, das Smartphone, das Elektroauto und der Walkman. Vor ihnen wurde – wie vor vielen anderen Erfindungen und Innovationen der Vergangenheit und der Gegenwart – von Moralunternehmern ausdrücklich gewarnt.

      Moralunternehmer sind selbstberufene Menschen, die es sich zur Aufgabe machen, vor den ihrer Meinung nach hauptsächlich negativen Auswirkungen neuer Technologien und Gesellschaftsmodelle zu warnen.8 Zur Begründung werden soziale, moralische und ethische Normen herangezogen, die gemäß den Moralunternehmern zu einer Auflösung der Gesellschaft, degenerierten Kindern, dem Verlust von Traditionen und Normen und generell einem Verfall von Zivilisation und Kultur führen würden.

      So wurden Teddybären verteufelt, weil sie kleine Mädchen davon ablenken würden, sich auf eine Mutterschaft vorzubereiten. Bei Spiegeln wurde die Gefahr gesehen, dass Mädchen und Frauen sich den ganzen Tag nur mehr vor dem Spiegel betrachten würden. Man ersetze Spiegel durch Selfie und die Argumente sind dieselben. Jonas Hanway zog vor 250 Jahren in London mit seinem Regenschirm den Spott seiner Mitbürger auf sich. All diese Erfindungen waren widernatürlich und ein Zeichen des Sittenverfalls, der Verweichlichung der Gesellschaft und des zivilisatorischen Niedergangs.

      Dass eine Erfindung widernatürlich sei, einem moralischen Normbruch gleichkäme und damit die Gesellschaft und die Menschheit den Bach runtergehe, ist ein wiederkehrendes Motiv über all die Jahrhunderte. Nichts vereint die Menschheit mehr über die Zeitenspanne als das Jammern über den Sittenverfall und die Jugend von heute.

      Mag das bei den Älteren als Spleen durchgehen oder ironisch gemeint sein – oftmals nostalgisch verklärt –, so betrachten Moralunternehmer, die sogenannten „Merchants of Bad“ („Verkäufer schlechter Nachrichten“), das als ihren Job.9 Es befeuert sie dabei oft nicht nur echter Glaube an ihre eigenen Argumente, die damit erhaltene Aufmerksamkeit bestärkt sie auch in ihren Anstrengungen. Es macht süchtig, eingeladen zu werden, seine Meinung öffentlich kundzutun und ernst genommen zu werden.

      Ein interessantes Beispiel stellt der im Jahr 1895 in Nürnberg geborene Friedrich Ignatz Wertheimer dar, der später unter seinem amerikanisierten Namen Fredric Wertham Berühmtheit gewinnen sollte.10 Als Leiter einer psychiatrischen Klinik untersuchte er den Fall eines 17-Jährigen, der seine Mutter umgebracht hatte. Mit diesem Fall und weiteren Studien versuchte Wertham, einen Zusammenhang zwischen gewalttätigen und sexualisierten Comics und der Gewaltbereitschaft bei Kindern herzustellen. Er war derjenige, der zwischen Batman und Robin homosexuelle Tendenzen oder in Wonder Womans Lasso die Vagina erkannt haben wollte, und begann einen Kreuzzug gegen Comics, der bei konservativen Politikern auf offene Ohren stieß – und letztendlich im „Comics Code“ mündete, einer halbfreiwilligen Zensur und Regulierung der Darstellungen in Comics.

      Selbst als der Comics Code eingeführt worden war und das öffentliche Interesse an Wertham zurückging, gab er nicht auf. Der Comics Code ging ihm nicht weit genug und er bemühte sich um eine Verschärfung. Doch ab diesem Zeitpunkt war das öffentliche Interesse an diesem Thema schon abgeklungen.

      Moralunternehmer

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