Mettes Flucht in den Tod. Jürgen Hoops von Scheeßel
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Dann schaute Harm zu den über ihnen an der Decke im Rauch hängenden Vorräten an Würsten und Schinken, zog noch einmal freudig an der Pfeife und blies den Dunst langsam nach oben aus, als wollte er einen der Schinken mit seinem Pfeifenrauch umarmen. Die anderen um ihn herum wurden langsam ungeduldig, was Harm sichtlich und in seiner Ruhe genoss. Dann drehte er seinen Kopf und sah Abelke an, die während der ganzen Zeit still das Geschehen aufmerksam verfolgte und dem Rauch gebannt, aber auch nachdenklich nachgeschaut hatte.
Adelheid begann nun zu erzählen, da Harm offensichtlich mit seiner Zeremonie fertig war.
„Kind, du weißt ja auch, dass Hebammen viele Leiden lindern können und dazu den einen oder anderen Umschlag bereiten müssen und Sude kochen.“
„Ja, das weiß ich. Dabei habe ich auch schon mithelfen dürfen“, räumte sie mit Stolz in ihrer Stimme für alle hörbar ein und lächelte, trotz der eisigen Temperaturen auch noch dabei.
„Na, dann weißt du ja auch, dass es mit Zauberkunst und Hexerei nichts, aber auch gar nichts zu tun hat“, warf Harm in seiner väterlichen Art ein.
„Meine selige Mutter war auch Bademutter und hat Mittel hergestellt, um meinen Geschwistern und mir, wenn wir krank waren oder uns wehgetan hatten, zu heilen. Sie hat um die Kräuter und deren Heilkraft sehr gut Bescheid gewusst. Sie lebt leider nicht mehr“, seufzte Abelke und die Augen wurden ihr ein wenig feucht.
„Sie haben sie im letzten Jahr als Hexe in Ottersberg verbrannt und keiner konnte ihr helfen. Sie war keine Hexe und mein Vater hat ihr auch nicht helfen können“, fuhr sie fort und ihre feuchten Augen konnten die Tränen nicht mehr zurückhalten.
Adelheid beugte sich zu ihr, strich ihr über das Haar und sprach: „Deine selige Mutter war eine ganz liebe und hilfsbereite Frau, die durch Verleumdung, Hass, Neid und Missgunst zu Unrecht auf den Scheiterhaufen gebracht wurde.
Ich kannte sie gut und du bist wie eine Tochter für mich. Leider sind meine eigenen beiden kleinen Mädchen schon im Himmel“, fügte sie wehmütig an.
Die Stimmung im Raum war getrübt und alle saßen nachdenklich in der kleinen Runde.
Dann sah Adelheid ihren Harm an und sagte: „Lass mich in Ruhe weitererzählen, dann geht es mir besser. Du hast sehr gut gesprochen“, lobte sie ihren Mann, der ihr dafür ein Lächeln, ja, fast ein Strahlen schenkte.
„Ich erzähle gerne weiter, ich kann mir dabei vieles von der Seele reden“, stellte sie mehr fest, als dass sie ihn fragte.
Harm pflichtete ihr bei, indem er seine Augen zustimmend verschloss und mit dem Haupt ein wenig nickte.
„Mein Junge hat sich am 15. Juni vor nunmehr fünfeinhalb Jahren das Leben genommen und dabei war er erst 12 Jahre alt. Er hat sich da hinten in der Scheune aufgehängt, weil er die Hänselei und das üble Geschrei „Hexenjunge“ und „Hexenbrut“ nicht mehr ertragen hat und wir ihm nicht die Kraft geben konnten, diese schweren Zeiten durchzustehen. Er war immer ein ganz Stiller und hat miterlebt, wie man mich, so wie deine Mutter auch, der Zauberei beschuldigte. Das war vor bald acht Jahren, zwei Jahre, bevor unser Warneke sich das Leben nahm.“
Adelheid machte eine längere Redepause, die der Knecht Peter nutzte, ein wenig Holz in die kärgliche Glut nachzuschieben. Im Sternfeuer verbrannte das Holz langsamer, hielt die Glut lange, aber die Scheite mussten immer zur Mitte hin nachgeschoben werden.
Jeder saß ganz nah dran, ansonsten wäre von der Wärme nichts zu spüren gewesen. Doch musste höllisch aufgepasst werden, um sich dabei nicht selbst zu entzünden, denn Brandwunden heilten im Winter besonders schlecht.
Peter, der schon unter Harms Vater Warneke gedient hatte, erhob sich zwischendurch, um noch ein wenig Holz zu holen und dabei auch einmal nach dem Vieh zu schauen.
Der Bauer besaß zwei Pferde, einen Ochsen, sechs Kühe und zwanzig Schafe, wobei die Letzteren wegen des nicht auszuhaltenden Gestanks üblicherweise in einem Nebengebäude, dem Schafstall, untergebracht waren. Deswegen musste Peter ab und an doch das Haus verlassen. Er fror dabei jedes Mal trotz Winterbekleidung sehr und wollte sich durch die Bewegung ein wenig aufwärmen.
Die Immen machten im Winter keine Arbeit. Sie durften in ihren Stöcken nur nicht erfrieren. Selbst die sonst immer laut gackernden Hühner saßen heute ruhig und verdächtig still in ihrem Verschlag, ganz eng aneinander gedrängt, um sich gegenseitig zu wärmen. Da war wohl zum üblichen, unrastigen Verhalten kein Antrieb mehr vorhanden.
Während Peter, dick eingepackt, durch die winterliche Eiseskälte vom Haus zum Stall durch den verharschten Schnee stampfte, sah er im Mondschein über die Felder und zu den Nachbarhäusern, die von der winterlichen Starre und vom Wetter ebenso gefangen schienen.
Adelheid fuhr aus ihren Gedanken hoch und mit ihrer Erzählung fort.
„Ich stamme aus Bötersen und bin eine geborene Stavenhitter. Wir wohnten neben Döhrnemanns Hofstelle. Als junges Mädchen hatte der Nachbarjunge ein Auge auf mich geworfen, aber ich wollte ihn nicht und bin meinen Eltern heute noch dankbar, dass sie mich Harm haben heiraten lassen.“
Sie nestelte ein wenig an ihrer Kleidung herum und zog das Kopftuch fester, damit ihr die Ohren nicht erfroren.
„Er nahm es mir so übel, dass ich seinem Werben nicht nachgegeben hatte, dass er mich beschimpfte und als Hure bezeichnete. Dafür hat ihm der Vogt eine saftige Geldbuße von zwei Talern auferlegt, aber das hat seinen Eifer noch mehr angestachelt. Selbst nachdem er verheiratet war und eigene Kinder hatte, nahmen seine Feindseligkeiten kein Ende. Harm und ich sind nun schon 20 Jahre Mann und Frau, aber das wollte er nicht akzeptieren. Mir tat seine Frau leid, die diese Eifersüchteleien und Beschimpfungen, aber auch das Gerede mitbekommen hat. Gott habe sie selig“, sagte Adelheid und schluckte dabei bedrückt.
„Es war vor ungefähr neun Jahren. Da war ich zu Besuch bei meinen Eltern. Ich war damals die einzige Bademutter im Kirchspiel, denn die alte Jette, bei der ich gelernt hatte, war zu klapprig geworden, um weiter als Hebamme arbeiten zu können. Dann schlug das Schicksal zu. Harm Döhrnemanns Frau Beke war soweit. Der Tag ihrer Niederkunft war gekommen und es gab Probleme, denn das Kind hatte sich nicht gedreht und die Nachbarinnen waren verzweifelt, weil sie nicht helfen konnten. Beke drohte mit dem Ungeborenen zusammen einen erbärmlichen Tod zu erleiden. Ich habe das schon mehrmals erlebt und es ist jedes Mal wieder grausam. Nur Gott weiß, warum.“
Peter war inzwischen zurückgekehrt und hatte sich wieder dazu gesetzt.
„Gegen den Willen von Harm Döhrnemann ließ Beke mich rufen, ihr zu helfen. Es war ein schwerer Gang in das Haus des Mannes zu gehen, der alles erdenklich Schlechte und jede Beleidigung, die man sich nur vorstellen kann, über mich erzählt hatte. Aber ich musste der Frau und dem ungeborenen Kind helfen. So ging ich mit und meine alte Mutter begleitete mich, denn mir war bang ums Herz“, beendete sie den Satz mit einem tiefen Seufzer und kniff die Lippen schmal zusammen.
„Dort angekommen, versicherte mir die Magd, dass der Bauer nicht im Hause sei“, fuhr sie fort.
„Als ich an Bekes Bett trat, blieb mir fast das Herz stehen, denn die