Mord oder Absicht?. Lothar Schöne
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„Julchen, was machst du denn hier?“
„Ich weiß doch, wo ich dich antreffe, wenn du nicht daheim bist. Darf ich mich setzen?“
„Aber natürlich“, sagte ihr Vater. „Ich möchte dir Doktor Niebergall vorstellen, meinen neuen Kaffeebruder.“
Der Psychiater stand förmlich auf, um Julia die Hand zu reichen: „Niebergall. Ich freue mich, Sie kennenzulernen.“
„Ich kenne Sie bereits, wenn auch nur vom Namen her“, erwiderte Julia, legte ihren Mantel ab und hängte ihn an die Garderobe, die nur zwei Schritte entfernt war. Als sie zum Tisch zurückkam, erklärte sie: „Ich bin Julia Wunder, die Tochter von Herrn Hillberger.“
„Hauptkommissarin Wunder“, präzisierte Hillberger nicht ohne Stolz in Richtung seines Kaffeebruders.
Dr. Niebergall hatte wieder Platz genommen und fragte: „Dann haben Sie mir Ihren Kollegen geschickt, diesen Spyridakis?
„Ja, mein Vater hat Sie empfohlen.“ Julia räusperte sich: „Er hält große Stücke auf Sie.“
Wolfgang Hillberger nickte Ernst Niebergall von der Seite aus zu, als wolle er ihm bedeuten, dass seine Kritik an ihm zu relativieren sei. Große Stücke hielt er auf ihn, große Stücke waren schließlich keine Kleinigkeiten. Doch leider bemerkte der Psychiater seinen anerkennenden Blick nicht.
Die Kellnerin kam, und Julia bestellte lediglich einen Kaffee.
„Kein Kuchen?“, fragte ihr Vater, „du bist schließlich nicht nur unter Kaffee-, sondern auch unter Kuchenbrüdern.“
„Mir ist nicht danach. Außerdem wäre ich eine Schwester, eine Kuchenschwester, und die verschmähen meist Kuchen“, erwiderte Julia lächelnd.
Dr. Niebergall nickte anerkennend, der kleine Dialog schien ihm zu gefallen, was Hillberger nicht entging.
„Siehst du, lieber Ernst, meine Tochter und ich, wir sind theatererfahren und sprachbewusst, ich möchte sogar sagen Datterich-bewusst.“
„Datterich?“, wiederholte Julia fragend und wandte sich zu Niebergall: „Sind Sie ein Nachfahr des Darmstädter Autors?“
Hillberger nahm dem Psychiater die Antwort ab: „Ja, ja, das ist er, aber er gibt’s ungern zu.“
„Warum denn das?“, wollte Julia wissen.
Wieder antwortete ihr Vater: „Weil er seinen Vorfahren lediglich für einen Trinker und Schnorrer hält.“
„Hmm“, machte Julia. Sie wollte keinen weiteren Kommentar geben, da sie sich dachte, dass ihr Vater den Dr. Niebergall sicher schon aufgeklärt hatte.
Der Psychiater jedoch missverstand ihr Hmm und sagte: „Sie halten wohl auch nicht viel von Autoren, die ihre Trunksucht zum Inhalt ihrer Arbeit machen?“
Julia bewegte leicht den Kopf von rechts nach links: „Das sehen Sie falsch. Ich bin nur überzeugt, dass mein Vater Sie bereits über die Qualitäten Ihres Urahns unterrichtet hat.“
„Ein Dichter war er, ein wunderbarer Dichter“, stimmte Wolfgang Hillberger ein, „leider erkennt das meist erst die Nachwelt.“ Er warf einen schnellen Blick zu seinem Tischnachbarn Niebergall: „Und mancher gar nicht.“
Um dann hinzuzufügen: „Immerhin weiß das Darmstädter Theater, was sich gehört. Man feiert ihn dort jedes Jahr aufs Neue.“
„Ein Pflichttermin wohl“, konnte sich Dr. Niebergall nicht verkneifen anzumerken.
Hillberger sah ihn empört an: „Kein Pflichttermin, ein Freudentermin!“
Die Kellnerin brachte der Hauptkommissarin ihren Kaffee, und Julia nutzte die Gelegenheit, um zu dem zu kommen, was ihr am wichtigsten schien.
„Sagen Sie, Herr Doktor Niebergall, was haben Sie denn bei Herrn Spyridakis ausrichten können?“
Der Psychiater hatte sich längst von seiner Idee verabschiedet, dass die Tochter seines Kaffeebruders zu einer Mitstreiterin in Sachen Vorfahr für ihn werden könnte, jetzt räusperte er sich: „Ich habe Ihrem Vater schon gesagt, dass ich diesen Menschen, also Ihren Kollegen, als Hallodri einschätze.“
„Hallodri“, murmelte Julia, „Sie meinen, er ist ein Bruder Leichtfuß?“
Niebergall war angetan von Julia Wunders Äußerung: „Sehen Sie, Sie verstehen mich – im Gegensatz zu Ihrem Vater.“
Julia ging auf seine Bemerkung nicht ein: „Haben Sie ihm denn helfen können? Er leidet doch unter Gedächtnisschwund.“
„Ja, ja, das brachte er vor, er sagte sogar, dass er ein Toter ohne Gedächtnis sei. Aber ich habe ihm zu erklären versucht, dass es keinen Gedächtnisschwund gibt, der sich über Jahre hinzieht.“
„Und tot?“, flocht Wolfgang Hillberger ein, „kann man sich nicht tot fühlen bei lebendigem Leibe? Das ist doch ein Gebrechen, unter dem heute so mancher leidet.“
Der Psychiater spürte, dass er sich rechtfertigen musste, und kramte in seinem Wissensschatz: „Natürlich kommt so etwas vor. Die Lehrbücher berichten von sehr seltenen Fällen …“
„Vielleicht ist er so ein seltener Fall“, schob Hillberger ein.
Der Nachfahr des Dichters Niebergall kratzte sich an seiner Knollennase: „Sehr unwahrscheinlich, mein Lieber, das hätte ich gemerkt.“
„Was haben Sie denn überhaupt gemerkt?“, fragte Julia in energischem Ton.
„Ich glaube, dass Ihr Mitarbeiter generell gefährdet ist“, säuselte der Psychiater, „und nicht merkt, wenn er in Gefahr ist.“
Dabei dachte Niebergall an den Stuhl, seinen Teststuhl, auf dem Vlassi schwankend gesessen hatte und sich am Schreibtisch festhalten musste. Doch das wollte er nicht mitteilen, schließlich war es eine Art Berufsgeheimnis.
Zu seiner Überraschung stimmte ihm sein Kaffeebruder Hillberger zu: „Ja, das glaube ich auch, der Spyridakis ist generell gefährdet und weiß es nicht mal.“
Julia Wunder wusste, dass ihr Assistent Vlassopolous Spyridakis durchweg auf ungewöhnliche Weise ermittelte und sich mitunter in gefährliche Situationen brachte. Sie konnte jedoch nicht wissen, dass zu seinen Ermittlungsmethoden neuerdings auch ein Mord gehörte.
Sie nahm einen Schluck von ihrem Kaffee und sagte nun voller Überzeugung: „Nein, nein, er weiß, dass er verwegen lebt, geht aber so damit um, wie ihr es euch nicht vorstellen könnt.“
8 Tote leben länger als man glaubt
„Was!“, rief Volker Born zur gleichen Zeit im Café Rondo am Schiersteiner Hafen aus, „Sie haben Reinhardt umgebracht?“
Vlassi senkte den Kopf, sein Gesicht sah nun nicht mehr weiß aus, es hatte sich ins Gelbliche verfärbt und wirkte toter als tot, kein Wort kam über seine Lippen.
„Reden