Mord oder Absicht?. Lothar Schöne
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„Sie sind ein Optimist?“ In Vlassis Frage steckte ein Unterton von Zweifel.
„Aber natürlich! Alle pessimistischen Gedanken, die mich mitunter anfallen, verbanne ich sofort in den Orkus.“ Born machte eine kleine Pause: „Jetzt zum Beispiel fällt mir ein, dass wir ein Stück Kuchen essen könnten. Ein Gedanke, der meinem Optimismus entspringt, denn ich hoffe, nein, ich glaube, dass der Kuchen hier mundet.“
„Ah ja“, murmelte Vlassi, „dann lassen Sie uns mit Optimismus bestellen.“
Born drehte sich herum und winkte der Kellnerin. Als sie an den Tisch kam, sagte er: „Sie haben doch einen wunderbaren Schlupfkuchen, wie ich hörte.“
Die Kellnerin bestätigte.
„Bringen Sie uns bitte je ein Stück.“
Volker Born drehte sich zu Vlassi: „Ich lade Sie ein. Lassen Sie sich überraschen.“
Ich werde mir optimistisch den ersten Bissen in den Mund schieben, ging es Vlassi durch den Kopf, bestimmt schmeckt’s mir dann.
Born lehnte sich zurück: „Wir haben über die Aufgewachten geredet. Ich bin sehr kritisch, wie Sie wissen, aber man darf sie nicht über einen Kamm scheren.“
Vlassi nickte nachdenklich, sagte aber nichts.
„Es gibt da einen Mann, der ist wahrlich aufgewacht“, sprach Born weiter.
„Tatsächlich?“, flocht Vlassi ein.
„Ja, ja, ich habe ein Seminar von ihm besucht, es war hochinteressant.“
Vlassi sandte Born einen neugierigen Blick.
„Er sprach über die Banken und ihre unlauteren, ja verbrecherischen Methoden“, fuhr Born fort, „Sie werden diesen Mann nicht kennen. Aber Sie sollten ihn kennenlernen, er ist eine Bereicherung für uns alle.“
Eine Bereicherung, dachte Vlassi, in dem Wort Bereicherung steckt reich, ist das vielleicht einer, der mich reicher macht? Es muss ja nicht unbedingt in Penunze sein, neue Erkenntnisse sind auch was Schönes.
„Wenn Sie ihn sehen würden“, sprach Volker Born weiter, „würden Sie nicht denken, dass der so ungewöhnliche Gedanken hervorbringt. Er sieht ganz unscheinbar aus.“
„Ein Typ wie Albert Einstein?“, wollte Vlassi wissen.
„Na ja, nicht ganz, sein Haar ist nicht weiß und flattert nicht durch die Gegend, er ist relativ jung, etwa Mitte vierzig, sein Haupt ist kurz geschoren, und er trägt einen Vollbart, der seinem Gesicht einen schwarzen Rahmen gibt.“
In Vlassis Oberstübchen klickte es: „Trägt er eine Brille, eine randlose Brille?“
„Ja, genau, so eine Intellektuellen-Brille, wie wir früher sagten.“
In dem Moment kam die Kellnerin mit dem bestellten Schlupfkuchen. Sie stellte die Teller auf den Tisch und wünschte guten Appetit. Doch genau der schien Vlassi vergangen. Er rutschte auf seinem Stuhl zusammen, wirkte auf einmal wie ein Zwerg, und sein Gesicht verfärbte sich ins Weißliche.
„Was ist denn mit Ihnen los?“, fragte Born mit besorgter Stimme, „macht Sie der Anblick des Kuchens krank?“
Vlassi antwortete nicht, es schien geradezu, als wollte er überhaupt nicht mehr reden. Doch nach einer Weile bewegte er den Kopf verneinend hin und her.
„Was ist denn?“, wiederholte Volker Born, dessen Neugier erwacht war.
Es dauerte einen weiteren langen Moment, bis Vlassi stockend mitteilte: „Ich bin … aufgewacht …“
„Aufgewacht, was soll das heißen?“, unterbrach ihn Born.
Vlassis Gesicht sah nun nicht mehr nur weiß aus, es wirkte geradezu tot.
„Ich bin aufgewacht“, wiederholte er, „ich habe … mich erinnert … dieser Mann heißt Reinhardt …“
„Sehr richtig. Frederick Reinhardt heißt er“, bestätigte Volker Born, „kennen Sie ihn?“
Vlassi ließ einen Ton hören, der sich nach Verzweiflung anhörte: „Ja … meine Erinnerung … ist wieder da … ich weiß … wieder alles …“
Er machte eine Pause, um dann mit bitterer Miene zu erklären: „Ich habe diesen Mann ermordet.“
7 Da erfreut sich jemand eines
üblen Rufs
Während Vlassi auf ungewöhnliche Art seine Erinnerung wiederfand, saßen in Eltville im Café Schwab zwei Männer zusammen und unterhielten sich angeregt bei Kaffee und Kuchen. Sie hatten sich gerade über den Mord in Frankreich ausgetauscht, jene Enthauptung, begangen von einem Islam-Anhänger, und einer der beiden nicht mehr ganz jungen Männer im Café sagte gerade: „Die Ablehnung unserer Werte, der Meinungsfreiheit vor allem, ist bei den Islamisten doch gang und gäbe.“
Der andere stimmte ihm zu: „Nicht nur bei den Islamisten. In Frankfurt haben sich muslimische Mütter beschwert. Ihre Kinder seien durch den Besuch eines Klosters beschmutzt worden.“
„Tatsächlich? Da sieht man mal, dass diese Leute in unserer Gesellschaft nicht angekommen sind und vermutlich auch gar nicht ankommen wollen.“
Die beiden Männer schienen sich einig in der Beurteilung der Lage. Nachdem sie unisono von ihrem Kaffee getrunken hatten, sagte der eine: „Übrigens, der Bursche, den du mir geschickt hast, hat sich als Hallodri entpuppt.“
Sein Tischnachbar wusste sofort Bescheid: „Hallodri würde ich ihn nicht gerade nennen, obwohl mir das Wort gefällt.“
„Wie würdest du ihn denn nennen?“
„Also Kommissar Spyridakis ist doch eher ein schusselig-verträumter Typ.“
„Verträumt? Mein lieber Wolfgang, der Mann wollte mir weismachen, dass er seit Jahren unter Gedächtnisschwund leidet.“
Der Angesprochene nickte: „Ich habe mich schon oft gefragt, wie dieser Mensch in den Polizeidienst geraten konnte, aber Gedächtnisschwund …“
Sein Gegenüber trumpfte auf: „Gedächtnisschwund zieht sich nicht über Jahre hin. Das ist unmöglich. Obwohl ihm schließlich doch etwas einfiel. Mit dir will er vor langer Zeit mal Kaffee getrunken haben …“
„Vor langer Zeit? Seltsam“, überlegte der andere. „Du weißt ja, er ist ein Kollege meiner Tochter, und es ist noch gar nicht so lange her, dass wir hier in diesem Café zusammengesessen haben.“
Bei den beiden Männern handelte es sich um Wolfgang Hillberger und Dr. Niebergall, die sich mal wieder zu einem Kaffeeplausch getroffen hatten.
„Ich musste ihn hinauswerfen“, sagte Niebergall, „ich hatte das Gefühl, dass er sich einen Spaß machen wollte. Und ich habe ihm den Teufel empfohlen, mit dem er offenbar auf gutem Fuß steht.“
Hillberger