Deutschland wohin???. Luma Mayhér
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Die wirtschaftliche Umstrukturierung und Anpassung Ostdeutschlands war nicht vom uneingeschränkten Erfolg begleitet. Das Konzept, mit dem die weitgehend staatlichen Betriebe, Kombinate und Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften durch die Treuhandgesellschaft des Bundes in einem sehr kurzen Zeitraum radikal privatisiert wurden, musste nahezu zwangsläufig zum Zusammenbruch weiter Teile der ostdeutschen Wirtschaft führen. Dadurch wurden nur Betriebe gewinnträchtig, die sich mit begrenztem Aufwand dazu hochrüsten ließen oder die westdeutsche Firmen zur Liquidierung aufkauften, um sie zur Marktbereinigung abzuwickeln (zu schließen) und sich so deren Konkurrenz zu entledigen. Zudem fand damit ein weitgehender Besitzübergang der überlebenden ostdeutschen Betriebe in westdeutsches und ausländisches Kapital statt, denn entsprechend dem Staatensystem der DDR fehlte es den Ostdeutschen an Privatkapital, um in diesen Prozess einzusteigen. In der frühen Nachkriegszeit der Bundesrepublik gab es da ganz andere Beispiele, wie die erst über einen längeren Zeitraum erfolgte Privatisierung des VW-Konzerns, zumal sich dort bis heute der Staat mit seinem immer noch bestehenden Firmenanteil Einfluss sichert. Aus dieser positiven Erfahrung hätte man lernen und die wirtschaftliche Umstellung etwas behutsamer und variantenreicher vornehmen können.
Eine wichtige Chance für die wirtschaftliche Entwicklung wurde zudem vertan. Damals waren die wachstumsstarken westdeutschen Regionen bereits vom zunehmenden Fachkräftemangel betroffen. Das hätte dazu führen können, dass sie dort Filialbetriebe errichten, wo es ausreichend freie Fachkräfte gab, also in Ostdeutschland. Stattdessen verfügte die Bundesregierung, wer innerhalb eines halben Jahres keine Beschäftigung findet, muss ein Arbeitsangebot in Westdeutschland annehmen, wenn nicht wesentliche familiäre oder soziale Gründe gegen den Umzug sprechen. Diese Vorgabe nutzten viele Firmen. Zu dieser Zeit fuhren u. a. Autobusse vor den ostdeutschen Arbeitsämtern vor und warben Interessenten für Vorstellungsgespräche bei großen westdeutschen Firmen an, einschließlich des kostenlosen Hinund Rück-Transports. Die Offerten wurden häufig angenommen. Nur die westdeutschen Firmen rekrutierten längst nicht alle Interessenten, sondern vor allem die gut und überdurchschnittlich qualifizierten. Durch diese Maßnahmen fand am Arbeitsmarkt ein gewisses Ausbluten des ostdeutschen „Humankapitals“ zum Vorteil der westdeutschen Entwicklung statt. Für mich war es unbegreiflich, dass sich dagegen die ostdeutschen Landesregierungen nicht massiv zur Wehr setzten. Diese Entwicklung hat mit anderen Einflüssen zu größerer Abwanderung aus Ostdeutschland geführt. Mehr als eine Million Ostdeutsche wanderten nach Westdeutschland, vor allem jüngere Personen, bei weitaus weniger Gegenbewegungen. Die Altersstruktur hat sich dadurch umgekehrt. Die Ostdeutschen, die zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung ein deutlich geringeres Durchschnittsalter als die westdeutsche Bevölkerung aufwiesen, haben durch diese Abwanderungen und die damals gleichzeitig stark gesunkene Geburtenquote heute ein deutlich höheres Durchschnittsalter als die Einwohner Westdeutschlands.
Ostdeutschland wies nach der Wiedervereinigung größte Probleme in der Wohnraumversorgung auf. Eine Hinterlassenschaft der DDR. Der DDR gelang es im gesamten Zeitraum ihrer Existenz trotz größter Bestrebungen nicht, dieses Problem zu lösen. Deshalb bemühte sich der Bund nach der Wiedervereinigung massiv gegenzusteuern. Vor allem mittels großzügiger Steuerabschreibung sollte Kapital nach Ostdeutschland bzw. in die neuen Bundesländer gelenkt werden, um dort die Wohnversorgung zu lösen. Außerdem erhoffte man sich davon ähnliche positive Wirtschaftsimpulse, wie sie Westdeutschland nach dem Zweiten Weltkrieg durch die massive Wohnbauförderung der 50er Jahren erfuhr. Gleichfalls gab es umfangreiche, gut dotierte Förderprogramme zur Wohnhaussanierung, um die häufig maroden Bauzustände zu beheben. Die Wohnungsnot konnte so tatsächlich in wenigen Jahren in weiten Gebieten Ostdeutschlands beseitigt werden. Sie kehrte sich nun aber in eine Überversorgung um. In Anbetracht des hohen Bevölkerungsrückgangs Ostdeutschlands durch die hohe Abwanderung der Bevölkerung schrumpfte die Einwohnerzahl. Zudem wurde diese Entwicklung noch durch den starken Geburtenrückgang verstärkt. Als Folge standen alsbald in sehr vielen Gemeinden weitaus mehr neu gebaute und sanierte Wohnungen zur Verfügung, als nachgefragt wurden. Auch diese Entwicklung war frühzeitig absehbar und Experten haben davor gewarnt. Ich gehörte damals als wissenschaftlicher Direktor eines Bund-Länder-Forschungsinstituts auch dazu. Die Bundesregierung brauchte aber noch Jahre, um zu reagieren. Es dauerte so lange, dass die Funktion des Wohnungsmarktes infolge des inzwischen weitaus zu hohen Überangebotes massiv gefährdet war. Zur Stabilisierung der Entwicklung wurde nun für Ostdeutschland ein milliardenschwer ausgestattetes Förderprogramm zum Abbruch von Wohngebäuden aufgelegt. Eine Geldvernichtung größten Ausmaßes, die bei zügiger Reaktion auf die warnenden Expertenstimmen vermeidbar gewesen wäre.
Die Entwicklung führte zu weiteren Auswüchsen. So stiegen z. B. die Verkaufspreise für neue Apartments nach der Bekanntgabe der neuen hohen möglichen Steuerabschreibungen enorm an. In einer der besonders nachgefragten ostdeutschen Metropolen erhöhten sich deshalb die Preise innerhalb einer Woche bis zu 40 %. Westdeutschen Kapitalanlegern wurden Hausprojekte durch hohe Steuerabschreibungen von Bauträgergesellschaften mit Garantiemiete von 26 DM/qm schmackhaft gemacht, obwohl damals in Ostdeutschland der durchschnittliche Mietpreis unter 6 DM/qm lag. Das wussten die meisten Westdeutschen nicht und griffen bei diesen garantierten traumhaften Offerten und hohen Steuerabschreibungsmöglichkeiten zu. Die Ernüchterung kam bald, als diese Miete bei weitem nicht am Markt realisierbar war und sich durch Auflösung der Bauträgergesellschaft die Garantie verflüchtigte. Verdruss gab es auch mit der großzügigen Sanierungsförderung. In der sächsischen Stadt Döbeln kamen z. B. Mitte der 90er Jahre die Experten zur Stadtentwicklung zu dem Ergebnis, dass bestimmte Wohnhochhäuser der ehemals städtischen Wohnungsgesellschaften (inzwischen privatisiert) zukünftig keine Marktchancen haben und deshalb aus Kostengründen abzubrechen seien. Die Vertreter der Gesellschaften waren entsetzt, denn davon waren über 80 Wohnungen betroffen, die wenige Jahren zuvor mit den günstigen Sanierungskrediten hergerichtet wurden. Eine Wirtschaftlichkeitsprüfung, wie sie eigentlich vor einer derartigen Kreditvergabe üblich ist, wurde von der Landesaufbaubank, die die Mittel vergab, wohl nicht verlangt. Die Kreditnehmer waren damit überfordert, denn diese Zusammenhänge und die Marktentwicklung konnten sie damals als Ostdeutsche, die Jahrzehnte nur Defizite in der Wohnraumversorgung zu bewältigen hatten, nicht erkennen. Aus meiner Sicht gab es hier große Unterlassungssünden der Bank, denn diese hätte den Überblick haben und entsprechende Prüfungen einfordern müssen. Es erscheint fast so, als wenn manche dieser Banken vor allem darauf aus waren, einen hohen Umsatz an Fördermitteln zu erreichen.
Ein weiteres zwiespältiges Feld war die Infrastrukturversorgung. Ostdeutschland wies große Defizite auf, von den oft maroden Straßen, fehlenden Gewerbeflächen bis zur Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung oder auch den Wohnfolgeeinrichtungen der Daseinsvorsorge. Auch dagegen stemmte sich der Bund mit großzügigen, umfangreichen Förderprogrammen. Das wurde auch von unseriösen Akteuren genutzt. So wurden z. B. vielen Kommunen in Hinblick auf die hohen Fördergelder viel zu große Anlagen zur Trinkwasserversorgung, Abwasserentsorgung und Abwassersysteme oder große Gewerbegebiete an Standorten, wo diese nie benötigt werden, aufgeschwatzt. Das brachte Maklern bei Grundstücksgeschäften und sonstigen Akteuren