Deutschland wohin???. Luma Mayhér
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Das Jahr 1990 war gezeichnet von der deutschen Annäherung. Nach ersten Verlautbarungen zur Bildung einer deutschen Föderation und der Ablösung von Erich Honecker kamen in Ostdeutschland die Forderung nach freien Wahlen und sehr bald nach der Wiedervereinigung Deutschlands auf. Die westeuropäischen Verbündeten, insbesondere Großbritannien unter M. Thatcher, sprachen sich deutlich dagegen aus (frühestens in 20 Jahren), aber der amerikanische Präsident Bush war dafür. Bundeskanzler Helmut Kohl, der lange belächelt und durch Witze im Volksmund verballhornt wurde, erkannte die einmalige Chance. Er hat mit seinem Außenminister Genscher die richtige Politik geleistet, um diese vermutlich einmalige Chance zu nutzen. Sein damaliger Oppositionsgegenspieler, der SPD-Chef Lafontaine, konnte mit dieser Entwicklung anscheinend wenig anfangen. Seine Äußerungen beschränkten sich vor allem auf den Verweis auf die hohen Kosten einer Wiedervereinigung.
1.2 Deutschland nach der Wiedervereinigung
Am 3. Oktober 1991 wurde Deutschland durch den Beitritt Ostdeutschlands bzw. der DDR zur Bundesrepublik wiedervereinigt. In Berlin fand dazu eine große Veranstaltung auf der Straße Unter den Linden bis zum Brandenburger Tor statt. Dort standen in Reichstagsnähe die Rednertribünen mit den Politikern. Als Besucher der damaligen Veranstaltung bin ich heute noch über so viel Unvermögen entsetzt. Als musikalische Untermalung wurde nicht etwas Heiteres gewählt, das Aufbruchsstimmung suggeriert, sondern für den Anlass eigentlich unpassende, vor allem durch dumpfes Trommeln geprägte Musik. Noch unangenehmer waren die in den Himmel gerichteten Laserstrahlen. Sie waren damals für größere Veranstaltungen modisch und gang und gäbe. Sie erinnerten aber in fataler Weise an die letzten Tage des Dritten Reiches. Berlin wurde noch bis zum 20. April 1945 von alliierten Bombern angegriffen, auch reine Wohngebiete. Die Abwehrwaffen, die bis zum Schluss funktionierten, waren die Flakgeschütze auf den großen Luftschutzbunkern, z. B. dem Bunker am Bahnhof Zoo oder am Humboldthain. Von dort wurde mit großen Scheinwerfern der Himmel abgeleuchtet, um alliierte Bomber abzuwehren. Deshalb suggerierten die Laserstrahlen ein z. T. nahezu identisches Himmelsbild wie in den letzten Tagen des Untergangs des Hitlerreiches. Berliner, die 1945 diese Zeit miterlebten, waren über die Darbietung entsetzt. Wie konnte man so etwas machen? Dem dafür zuständigen Personen fehlte es offensichtlich an Geschichtskenntnissen. Das ist zwangsläufig auch für die für die Organisation dieser Veranstaltung verantwortlichen politischen Entscheidungsträger in Frage zu stellen. Zum Abschluss der Veranstaltung fand ein gewaltiges, langes Feuerwerk statt. Es war endlos, ohne große Höhepunkte, letztlich so langweilig, als wenn es von einem betuchten Neureichen stammt, der viel Mittel verpulvern kann, aber keine kreativen Ideen hat. Diese Ausrichtung ließ ahnen, dass die Wiedervereinigung noch erhebliche Probleme nach sich ziehen wird.
Durch den Beitritt Ostdeutschlands zur Bundesrepublik galt nun das Grundgesetz für das gesamte Deutschland. Ostdeutschland wurde zügig angepasst. Die Verhandlungen, auf westdeutscher Seite von Wolfgang Schäuble geführt, waren eindeutig auf Übertragung und Angleichung Ostdeutschlands an die westdeutschen Verhältnisse ausgerichtet. Damit wurden auch wichtige Chancen vertan. Letztlich gibt es kaum ein Staatssystem, in dem alles negativ ist, wie umgekehrt kein System fehlerfrei sein, nur Positives aufweisen kann. Deshalb hätte die Wiedervereinigung auch die Chance zur kritischen Bilanz der Bundesrepublik und zur Fortentwicklung bieten können. Bei Eliminierung der negativen Ausprägungen und Erhaltung und Fortentwicklung der positiven Ausprägungen Ostdeutschlands und Westdeutschlands war diese Chance zumindest theoretisch gegeben. Das wäre sicher auch für ostdeutsche Bürger ein Signal gewesen sich aktiv einzubringen. Entsprechende Vorschläge entwickelte eine gemeinsame Arbeitsgruppe Westberliner und Ostberliner Hochschullehrer, an der ich mitwirkte, in ihrer Resolution zum 3.10.1990. Die politische Reaktion darauf war enttäuschend, höfliche belanglose Antwortschreiben, einige auch von Staatssekretären. Eine Ausnahme war der neue brandenburgische Ministerpräsident Stolpe. Er antwortete in einem vierseitigen handgeschriebenen Brief an Prof. Rainer Mackensen, den Organisator dieser Gruppe.
Zu den nicht genutzten Chancen gehört z. B. der starke Rückgang der zumindest in quantitativer Hinsicht hervorragenden Versorgung Ostdeutschlands mit Kindergärten und Krippen. Für die Krippen wurde die Versorgungsausstattung der ehemaligen DDR bis heute, also über 30 Jahre später, nicht wieder erreicht. Die Verkehrsanbindung ländlicher Regionen, die zwar heute wesentlich moderner und komfortabler ist, hat aber zugleich zum massiven Rückbau des Streckennetzes geführt. Als besonders nachteilig erweist sich die damalige massive Ausrichtung auf eine privatwirtschaftlich ausgerichtete ambulante Gesundheitsversorgung durch Einzelpraxen. Dafür wurden in ländlichen Regionen die Polikliniken flächendeckend aufgelöst, obwohl sich damals westdeutsche Experten nachdrücklich für deren Erhalt aussprachen (u. a. Knieps in BZ). Inzwischen sind die Folgen verheerend, denn in ländlichen Räumen bricht immer mehr die gesundheitliche Grundversorgung weg. Das gilt inzwischen auch für westdeutsche Regionen und dort selbst für die Randbezirke von Großstädten. Nun versucht man mit vergleichbaren Einrichtungen, die jedoch privatwirtschaftlich betriebenen werden, gegenzusteuern, nur werden diese heute nicht mehr als Poliklinik, sondern als MVZ (Medizinisches Versorgungszentrum) bezeichnet. Ein Teil der Polikliniken hätte man damals auch privatisiert erhalten können, nur widersprach das der westdeutschen Ausrichtung. In Anbetracht der großen Probleme beginnt sich die strikte privatwirtschaftliche Ausrichtung der ambulanten medizinischen Versorgung zu lösen. Bei Bedarf kann heute ein MVZ auch in kommunaler Trägerschaft betrieben werden, wie es bereits in der Gemeinde Katzenellenbogen in Hessen erfolgte. Ähnlich war die Abwicklung der ostdeutschen Gemeindeschwestern. In Anbetracht der negativen Folgen wurden später an das System der Gemeindeschwester anknüpfende neue Modelle entwickelt. Zunächst das AGnES-Konzept (Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Health-gestützte, Systemische Intervention) mit dem Hausärzte Krankenbesuche EDV-gestützt an besonders ausgebildete Mitarbeiter delegieren können und einige Jahre später daran anknüpfend das Modell der (NäPa) Nicht ärztliche Praxisassistentinnen, die für ähnliche Aufgaben, nämlich vor allem für Hausbesuche , eingesetzt wird, nur anstatt Gemeindeschwester unter anderen Namen.
Die Probleme und Herausforderungen waren enorm. So fehlte das Landesrecht in den neuen Bundesländern, das erst aufgebaut werden musste. Die Zeit überbrückte man mit so genannten Vorschaltgesetzen, die aber nur begrenzt den Herausforderungen entsprachen. Außerdem fehlten dem ostdeutschen Personal auch die Praxis- und Anwendungserfahrungen. Diese Zeit wurde von den großen Handelsketten der Verbrauchermärkte genutzt, um auf der „grünen Wiese“ fernab von den Siedlungszentren ihre großen Einkaufsstätten zu errichten. In Westdeutschland waren diese Märkte wegen der nachteiligen Wirkungen für die innerstädtischen Einkaufseinrichtungen stark reglementiert. In Ostdeutschland fand in dieser „rechtsfreien“ Zeit ein derartiger Ausbau statt, so dass dort schon Ende der 90er Jahre die Verbrauchermärkte über mehr Einkaufsfläche verfügten als in Westdeutschland.
Die größten Herausforderungen lagen jedoch in der Wirtschaftsentwicklung, der Wohnversorgung und der angemessenen Ausstattung mit funktionierender, zeitgemäßer Infrastruktur. Die Wirtschaftsentwicklung führte sehr schnell zum Zusammenbruch des Großteils ostdeutscher Betriebe, soweit diese nicht durch westdeutsche Firmen übernommen wurden. Wesentliche Bereiche der Energiewirtschaft DDR wurden aufgelöst, damals diskret als Abwicklung bezeichnet. So vor allem der Braunkohleabbau. Die Kernprobleme