Deutschland wohin???. Luma Mayhér
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Die Akteure der vielen übergroßen „Fehlplanungen“, mit denen die Honorare in die Höhe getrieben wurden, kamen in der ersten Zeit weitgehend aus den alten Bundesländern. Ohne „Wessis“ ging nichts. Manche Ostdeutschen haben aber schnell gelernt und ebenfalls entsprechend agiert. So gab es z. B. ein Förderprogramm für kommunale Entwicklungsplanungen, das erst bei 160.000 DM gedeckelt war. Mir sind persönlich ostdeutsche Akteure in Erinnerung, die daraufhin ihnen bekannten Bürgermeistern die Wichtigkeit eines Entwicklungskonzeptes darlegten. Zugleich zeigten sie der Gemeinde auf, wie sie die Planung ohne eigene Kosten bekämen. Die Förderbestimmungen schrieben zwar der Gemeinde einen Eigenanteil von 25 % vor, aber der war zu umgehen. Dafür boten die Akteure der Gemeinde an, in dieser Höhe etwas abzukaufen. Damit es sich lohnt, sollte die Gemeinde den Höchstsatz von 160 Tsd. DM beantragen, denn damit konnte eher ein umfassendes Konzept erstellt werden. Der Eigenanteil der Gemeinde wurde z. B. damit beschafft, dass alte, nicht mehr benötigte Akten, unter der Voraussetzung der Auftragserteilung, von den Akteuren für 40.000 DM abgekauft wurden. Damit konnte die Gemeinde den vorgeschriebenen Eigenanteil für die höchste Fördersumme quasi ohne eigene Kosten leisten. Natürlich gab es neben diesem negativen Beispiel von West- und Ostakteuren etliche seriöse Akteure und Macher, die sich redlich um die Entwicklung Ostdeutschlands bemühten. Es gab aber eben auch die anderen – und dies leider häufig.
Fehlplanungen und deren bauliche Realisierung sind aber auch auf ostdeutsche Behörden zurückzuführen. Beispielhaft sind dafür die technische Infrastruktur wie auch der Neubau von Schulen. Es wurden nicht nur aufgrund falscher Beratungen zu große Trinkwasserversorgungs- und Abwasserentsorgungsanlagen gebaut, sondern auch weil Behörden für ländlichen Räumen häufig große zentrale Anlagen zur Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung bevorzugten. Diese Anlagen entsprachen durchaus dem zum Zeitpunkt der Planung ermittelten Bedarf. Sie waren also nicht überdimensioniert – zunächst nicht. Die zukünftige Entwicklung des enormen ostdeutschen Einwohnerrückgangs wurde aber nicht einbezogen. Mit dem Einwohnerrückgang ging auch der Bedarf an Trinkwasser sowie an der Abwasserentsorgung zurück. Die neu errichteten großen zentralen Anlagen bedingen aber in ländlichen Räumen für die Auslastung ihrer Kapazitäten sehr große bzw. weite Ver- bzw. Entsorgungsnetze. Wenn das Trinkwasser aufgrund zu geringer Entnahme in den Netzen zu lange steht bzw. nur einen sehr langsamen Durchfluss aufweist, beginnen sich in den Rohren Schwemmstoffe zu lösen, die das Wasser verunreinigen. Es kann dadurch zu einer Verkeimung kommen. Dann müssen die Netze aufwendig gespült werden. Wenn der Durchsatz (Durchfluss) des Abwassers zu gering ist, kann es zu Verstopfungen und Geruchsbelästigungen kommen, was ebenfalls aufwendige Netzspülungen erfordert. Führen die Spülungen zur deutlichen Verdünnung des Abwassers, sterben in unseren modernen, vollbiologischen Kläranlagen die dafür erforderlichen Mikroorganismen ab und die Klärfunktion bricht zusammen. Auf diese Probleme wurde angesichts der ostdeutschen Einwohnerentwicklung von Experten frühzeitig hingewiesen, mit der Empfehlung dezentrale und semizentrale Anlagen mit flexiblen Nutzungskonzepten zu errichten. Damit hätte man die Probleme vermeiden oder zumindest stark vermindern können. Diese Warnungen und Empfehlungen wurden aber längere Zeit ignoriert, wie ich selbst bei meiner Beratung eines ostdeutschen Bundeslandes erfahren musste.
Ähnlich waren letztlich auch Fehlentscheidungen in der Schulplanung. Bei der Errichtung neuer Schulen, insbesondere in ländlichen Räumen die neuen großen, zentralen Berufsschulstandorte, wurde häufig die bevorstehende Schülerentwicklung nicht beachtet. Dabei war anhand der Anzahl der in Krippen und Kindertagesstätten betreuten Kinder eindeutig der bevorstehende Schülerrückgang und damit sinkende Kapazitätsbedarf ersichtlich. Die Folgen dieser Behördenausrichtung waren dann teilweise Berufsschulen, die nur noch zum Teil genutzt wurden, aber hohe, eigentlich vermeidbare Unterhaltskosten verursachten.
Ostdeutschland wies damals sowohl hervorragende Naturgebiete auf, die sich häufig im guten Zustand befanden, als auch erhebliche Umweltschäden. Umweltschäden gab es vor allem durch den Braunkohletagebau, aber auch durch den Uranabbau der WISMUT in Sachsen und Thüringen sowie durch punktuelle Einzelfälle wie die Teerseen bei Nobitz. Allein für die Sanierung der Hinterlassenschaft der WISMUT wurden Anfang der 90er Jahre etwa fünf Milliarden DM veranschlagt, damals eine gewaltige Summe. Diese Maßnahme ist inzwischen seit langem erfolgreich abgeschlossen. Die Landschaftsschäden der Braunkohlegebiete südlich von Leipzig sind mit enormem Aufwand in eine attraktive naturräumliche Freizeit-Seen-Landschaft umgewandelt worden. Dafür erfolgten die Flutung der einstigen Abbaugruben und eine massive Aufforstung der Landschaft.
Heute kann man resümieren, unter der Regierung Kohl fand ein enormer Mitteltransfer nach Ostdeutschland statt. Es wurde viel erreicht. Es gibt dort keine Wohnungsnot mehr. Die Warenversorgung entspricht dem westdeutschen Niveau. Die Ortsbilder haben sich durch umfassende Sanierungshilfen wesentlich verbessert. Die damals marode Infrastruktur befindet sich heute überwiegend im guten Zustand. Zugleich wurde aber auch durch falsche Konzepte und oft unzulängliche oder fehlende fundierte Prüfungen in enormem Ausmaß Geld vergeudet. Das Konzept zur wirtschaftlichen Angleichung wies große Schwächen auf, wie der immer noch bestehende Unterschied zwischen West- und Ostdeutschland zeigt. Viele Betriebe, die Probleme für die strukturelle Anpassung hatten oder an denen aus marktwirtschaftlicher Sicht keine Investoren aus Westdeutschland und dem Ausland Interesse fanden, wurden dichtgemacht, oder in der damaligen Sprache der dafür zuständigen Treuhandgesellschaft des Bundes „abgewickelt“. Größere ostdeutsche Investoren gab es nicht, da in der DDR nur der ostdeutsche Staat über die erforderlichen Ressourcen verfügte und der war ja mit der Wiedervereinigung aufgelöst worden. Die Entwicklung führte zur umfassenden Freisetzung ostdeutscher Arbeitskräfte. In Ostdeutschland wurde damals etwa jeder dritte Ostdeutsche, trotz seiner im europäischen Vergleich guten Ausbildung und vieler Umschulungen, dauerhaft arbeitslos. Dabei hat sich die oben angesprochene Verpflichtung zur Umsiedlung arbeitsloser ostdeutscher Fachkräfte besonders nachteilig ausgewirkt. Hiermit entfiel ein möglicher wichtiger Anreiz für westliche Firmen, Betriebsstätten in Ostdeutschland zu übernehmen oder zu errichten. Dadurch und wegen konjunktureller Einbrüche waren die 90er Jahre, insbesondere die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts, von hoher bis sehr hoher Arbeitslosigkeit geprägt. Sie betrafen nun auch Westdeutschland, wenngleich in geringerem Ausmaß. Zugleich bewirkte die Entwicklung eine anhaltende Abwanderung junger Menschen aus Ostdeutschland. Sie galt nun nicht nur wie anfangs für junge Männer, sondern später im fast noch stärkeren Maße für ostdeutsche Frauen. Diese Entwicklung hatte auch langfristige nachteilige Folgen. Spätestens seit der Jahrtausendwende bzw. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung wird die Entwicklung in den neuen Bundesländern durch den Fachkräftemangel benachteiligt.
Besonders bedauerlich sind die nicht genutzten Chancen durch die Ablehnung jeglicher Errungenschaften Ostdeutschlands zu Gunsten einer weitgehendsten Ausrichtung auf die westdeutschen Systeme. Als Beispiel sei auf die Verkehrsanbindung in ländlichen Räumen verwiesen. Heute verfügen diese Räume über hochmoderne, bequeme Verkehrsmittel, aber dafür werden etliche Ortschaften nicht mehr vom öffentlichen Personennahverkehr angefahren, z. B. in der Region Greifswald über ein Viertel der Dörfer. Die Grundversorgung im Gesundheitswesen ist wie oben angesprochen (S. 43-44) gleichfalls ein Beispiel für damaliges Versagen, vor allem die Schließung der Polikliniken und Abschaffung der Gemeindeschwestern zugunsten rein privatwirtschaftlicher ambulanter Versorgungsstrukturen. Die inzwischen aufgetretenen Versorgungsprobleme wären vermeidbar gewesen, wenn man die betreffenden DDR-Institutionen erhalten und weiter entwickelt hätte anstatt sie zugunsten einer rein privatwirtschaftlichen Ausrichtung abzuschaffen. Aber es geht nicht nur um ungenutzte Chancen, sondern um die Veränderungen in der Wirtschaftspolitik. Wie die in der Einleitung angeführten Befürchtungen