Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft. Группа авторов

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Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft - Группа авторов Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht

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Gerichtshof hatte im Einzelfall hieran erkennbar Zweifel,47 überließ die abschließende Bewertung aber dem nationalen Gericht. In einem außerordentlich sorgfältig begründeten Urteil vom 20. Februar 2019 hat das Bundesarbeitsgericht diese Bewertung dahin vorgenommen, dass die Religion für die betreffende Chefarzttätigkeit keine berufliche Anforderung in dem vorgezeichneten Umfang ist, und die augesprochene fristlose Kündigung endgültig kassiert.48

      b) Konsequenzen im kirchlichen Kollektivarbeitsrecht?

      Denkbare Konsequenz der dieser Rechtsprechung zu entnehmenden Grundwertungen49 für das „Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen“ könnte sein, dass das Recht auf Streik von vornherein nur den Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen vorenthalten werden darf, bei denen „die Religion im Hinblick auf die Art der betreffenden beruflichen Tätigkeiten oder die Umstände ihrer Ausübung eine berufliche Anforderung ist, die angesichts des Ethos der in Rede stehenden Kirche wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht“.

      Eine solche Folgerung ist nicht ganz fernliegend. Das zeigt ein Blick auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 13. Januar 2011.50 Es war Gegenstand der Revision, über die das Bundesarbeitsgericht – in der Sache abweichend – am 20. November 2012 in dem vorliegend als Ausgangspunkt gewählten Urteil entschieden hat. Die Achte Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamm war der Auffassung, ein umfassender Ausschluss von Arbeitskämpfen im Bereich kirchlicher Einrichtungen sei nicht gerechtfertigt. Einschränkungen des Rechts zur Führung von Arbeitskämpfen seien vielmehr an der konkreten Aufgabenstellung der kirchlichen Einrichtung auszurichten. Dabei sei dem Selbstverständnis der Kirche Rechnung zu tragen, dass in karitativen Einrichtungen der in christlicher Überzeugung geleistete Dienst am Menschen durch Maßnahmen des Arbeitskampfs nicht beeinträchtigt werden dürfe. Hieraus ergebe sich aber nur die Notwendigkeit, zwischen verschiedenen Arbeitnehmergruppen und Funktionen je nach Nähe oder Ferne zum karitativen Auftrag der Einrichtung zu unterscheiden.

      Das Bundesarbeitsgericht ist dem zu Recht nicht gefolgt. Dagegen sprechen schon praktische Überlegungen. Welche (Hilfs-)Tätigkeiten, die als solche vielleicht als dem karitativen Auftrag der Kirche fernstehend bewertet werden könnten, können wirklich im Wege des Arbeitskampfes verweigert werden, ohne dass „der in christlicher Überzeugung geleistete Dienst am Menschen“ beeinträchtigt wird? Es ist zudem ohne weiteres denkbar, dass zu den arbeitsvertraglichen Aufgaben, die ein Beschäftigter in einer kirchlichen Einrichtung hat, solche gehören, die dem kirchlichen Auftrag in der Welt näher und solche, die dem ferner stehen. Soll das Recht zum Arbeitskampf davon abhängen, in welche Richtung der Arbeitgeber sein Weisungsrecht aktuell ausgeübt hat? Hier bestehen in einer arbeitsteiligen, durch vielfältige Abhängigkeiten gekennzeichneten Arbeitsorganisation praktische Umsetzungsschwierigkeiten, die kaum bewältigt werden können. Aus ihnen erwachsen erhebliche Schadensersatzrisiken, die in aller Regel einen Streik tatsächlich hinderten. Außerdem ist auch nicht vorstellbar, dass eine Gewerkschaft nur die Träger solcher Funktionen zur Arbeitsniederlegung aufrufen – und an sie Streikunterstützung zahlen – würde, deren Ausfall mit Sicherheit die Verwirklichung des Einrichtungszwecks, also den hauptsächlichen Betriebszweck, nicht stört.

      Der Ansatz des Landesarbeitsgerichts Hamm steht auch im Widerspruch zum kollektivistischen rechtsdogmatischen Grundverständnis des Bundesarbeitsgerichts vom Recht auf Arbeitskampf. Nicht der einzelne abhängig Beschäftigte hat ein Recht zu streiken, sondern eine tariffähige Gewerkschaft,51 deren Streikaufruf die individuelle Arbeitsniederlegung, die verfassungsrechtlich gewährleistete koalitionsgemäße Betätigung des Einzelnen durch Streikteilnahme, erst legitimiert. Jedenfalls besteht das Recht zu streiken für einen Arbeitnehmer als kollektives Recht, das immer nur zusammen mit andern ausgeübt werden kann.52 Auf seine persönlichen – aktuellen! – Arbeitsbedingungen kommt es dabei grundsätzlich nicht an. Auch wenn es etwa um die Leistung von Notdienstarbeiten geht, ist nicht jeder Beschäftigte, der arbeitsvertraglich mit Aufgaben betraut ist, deren Erfüllung die Notstandssituation vermeidet, ohne Weiteres vom Recht auf Streikbeteiligung ausgeschlossen. Seine Arbeitspflicht richtet sich vielmehr nach der durch das Erfordernis der Notdienstarbeiten legitimierten Organisationsmaßnahme von Gewerkschaft und Arbeitgeber53 im Zuge der Durchführung des Arbeitskampfes.54 Vielfach wird sie vom Träger des Streiks durch einen entsprechend eingeschränkten Streikaufruf umgesetzt, der hiervon nur die für die Vermeidung eines Notstandes unabdingbar nötigen Arbeitskräfte ausnimmt.

      Danach scheidet eine unmittelbare Anwendung der individualrechtlichen Grundsätze, die der Europäische Gerichtshof der Union in den Rechtssachen „Egenberger“ und „IR/JQ“ aufgestellt hat, auf die rechtliche Behandlung eines Kollektivrechts auf Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen aus.

      c) Mittelbare Folgen?

      Dies bedeutet indes nicht zwingend, dass die dortigen Erwägungen hier völlig unwirksam bleiben müssten. Denkbar erscheint immerhin, dass die nationalen Gerichte für Arbeitssachen die ihnen dort auferlegte materielle Prüfung der Nähe der individuellen Arbeitsaufgabe zum kirchlichen Auftrag intensiver als bisher auf die kollektivrechtlich bedeutsame Frage erstrecken, ob ein bestimmter Betrieb eine kirchliche Einrichtung und deshalb im geschützten Raum der Kirchenautonomie angesiedelt ist.

      Bisher war für die Grenzziehung besonders wichtig, inwieweit die Kirche selbst durch ihre Autoritäten, wenn auch im Einzelfall nur über Mittelspersonen, in der betreffenden Einrichtung hinreichend und nachhaltig prägend Einfluss auf die religiöse Tätigkeit nehmen kann.55 Diese im Betriebsverfassungsrecht erprobte Grenzziehung für rechtlich verselbständigte Einrichtungen dürfte für das Erreichen des kirchlichen Autonomiebereichs insgesamt von Bedeutung sein.56 Weiter spielte auch bisher schon die inhaltliche Frage eine Rolle, inwiefern die betreffende Einrichtung auch tatsächlich kirchlich-religiös fundierte Zwecke verfolgte, eine kirchliche Grundfunktion wahrnahm.57 Dabei war man aber recht großzügig und ließ es genügen, wenn in rechtlich verselbständigten Einrichtungen bestimmte Funktionen nur für kirchliche Mitarbeiter wahrgenommen wurden. Hier könnten die angesprochenen Urteile des Gerichtshofs der europäischen Union zu einer auch in das kollektive Recht hineinragenden strengeren Sichtweise beitragen. Es ist vorstellbar, dass die staatlichen Gerichte für Arbeitssachen hier ähnlich wie für in der Betriebsverfassung privilegierte Tendenzbetriebe58 verlangen werden, dass die Einrichtung selbst unmittelbar und nachvollziehbar einen für eine kirchliche Privilegierung ausreichenden und ihr angemessenen Zweck, eine „kirchliche Grundfunktion“, wahrnimmt.

      IV. Schluß

      Der kleine Rundgang durch das kollektive kirchliche Arbeitsrecht und seine Beziehungen zu den staatlichen Vorgaben hat gezeigt, dass durch das auch das katholische Kirchenarbeitsrecht betreffende Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. November 2012 zwar ein wichtiger Pflock eingeschlagen wurde, an dem sich künftige Entwicklungen orientieren konnten. Ruhe, was im Recht heißt: Rechtssicherheit, ist indes nicht eingetreten. Daran fehlt es auch, weil die kirchenarbeitsrechtlichen Reaktionen in ihren Möglichkeiten begrenzt und ihrer Geschwindigkeit deutlich steigerungsfähig sind. Für die weiteren Entwicklungen könnte es zudem wichtig werden, dass mit dem Gerichtshof der Europäischen Union ein mit neuer Intensität Einfluss nehmender Rechtsgestalter hinzugekommen ist. Ob und wie es von hier aus zu Änderungen im kirchlichen kollektiven Arbeitsrecht kommen wird, kann man noch nicht sicher abschätzen. Eine sorgfältige Beobachtung und Bewertung, die auch strategische Überlegungen mit einbeziehen sollte, ist jedenfalls angezeigt.

      1 Ähnlich Benda/Maihofer/Vogel/Paul Mikat, Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl. 1994, § 29 Rn. 3.

      2 Dreier/Martin Morlok, Grundgesetz, 3. Aufl. 2018, Art. 137 WRV Rn. 44, 45.

      3 Aktuelle Abwägungen und Grenzziehungen

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