Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft. Группа авторов
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Die Haltung in den Wohlfahrtsverbänden gegenüber den mit der Pflegeversicherung angestoßenen Veränderungen war äußerst marktkritisch. Das Gefühl war dominant, dass zwischen dem Sozialen und dem Markt mit seinen Herausforderungen ein nicht überbrückbarer Graben liegt. Es gab auch gepflegte Mythen, so etwa die empirisch nicht untermauerte Sicht, private Anbieter lieferten per se schlechtere Qualität als gemeinnützige Leistungserbringer, und sofern sie günstiger wären, könne es nur daran liegen. Marktaversion prägte auch die Haltung vieler Akteure in der verbandlichen Caritas. Sehr deutlich wurde dies im Leitbildprozess Mitte der 1990er Jahre. Das Leitbild2 bekennt sich zum unternehmerischen Handeln der Caritas: „Der Deutsche Caritasverband arbeitet unternehmerisch“. Damals war es höchst strittig, den Begriff des unternehmerischen Handelns auf die Caritas zu beziehen. Zahlreiche, teils erregte Beiträge auf der Vertreterversammlung des Deutschen Caritasverbandes im Jahr 1996, die das Leitbild beriet und in einer vorläufigen Fassung verabschiedete, assoziierten den Begriff des Unternehmerischen mit Gewinnmaximierung und sahen darin einen diametralen Gegensatz zum sozialen Auftrag der Caritas. Das Leitbild bekennt sich zu den „Grundsätzen der Wirksamkeit, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit“. Die Spannung zwischen der Hilfe für Bedürftige und dem Refinanzierungserfordernis wird angedeutet. Besonders umstritten war die folgende Festlegung: Der Verband „macht sein wirtschaftliches Verhalten für die Öffentlichkeit transparent.“ In dem Forum der Vertreterversammlung 1996, das diesen Teil des Leitbildes beriet, fiel dieses Transparenzbekenntnis erst einmal bei der Abstimmung durch. Es bedurfte einiger Kniffs seitens der Versammlungsleitung,3 um nach ausführlichen Erklärungen zur Notwendigkeit einer Transparenzverpflichtung diese durch eine zweite Abstimmung zu retten.
Die Träger der vielen Dienste der verbandlichen Caritas mussten, ob sie wollten oder nicht, Wege finden, sich unter den neuen Bedingungen zu behaupten. Eine pauschale Klage über „Ökonomisierung“ und „Vermarktlichung“ sozialer Dienstleistungen, wie sie unter den Wohlfahrtsverbänden dominant war, nutzte ihnen dabei nichts. Anfang der 2000er Jahre zeigte sich eine deutliche Entfremdung großer Einrichtungsträger mit den verbandlichen Gremien, die in der Kritik an den Arbeitsvertragsrichtlinien des DCV (AVR) und einer als mangelhaft empfundenen Vertretung verbandlicher Interessen auf europäischer Ebene ihren Ausdruck fand. Die Auseinandersetzung zur Tarifpolitik führte zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen (ACU), die Unzufriedenheit mit der Vertretung unternehmerischer Interessen in Brüssel führte zur Gründung des Brüsseler Kreises durch Unternehmen aus Diakonie und Caritas.
Anfang der 2000er Jahre schien über diese Konflikte selbst die Einheit der verbandlichen Caritas in Frage zu stehen. Diskutiert wurde eine organisatorische Trennung des Verbandes4 in eine Caritas I, die ausschließlich anwaltschaftlich agiert, und eine Caritas II, die die unternehmerischen Belange jener Dienste und Einrichtungen vertritt, die marktnah organisiert sind und über eine Finanzierung verfügen, die auf sozialrechtlich kodifizierten Leistungsansprüchen der Bürger aufbaut und damit gesichert ist. Es ließ sich aber aus einer solchen Trennung kein tragfähiges Modell für die Caritas ableiten, denn es ergäben sich erhebliche Legitimitätsprobleme. Die unternehmerische Caritas II könnte schwer begründen, warum es eine spezifische Vertretung der Interessen der Leistungserbringer der Caritas geben muss und was diese von einer Interessenvertretung privat-gewerblicher Anbieter unterscheidet. Die anwaltschaftliche Caritas I dagegen würde sich vermutlich von unternehmerischen Fragen, wie soziale Dienste in der Fläche gesichert werden können, weitgehend abkoppeln. Eine Anwaltschaftlichkeit für hilfebedürftige Bürger, die sich aber nicht der Frage stellte, wie Hilfen in der realen Welt verwirklicht werden können, bliebe letztlich folgenlos.
II. Notwendigkeit einer ordnungspolitischen Debatte
In den Umbrüchen, die zu bewältigen waren, musste der Verband sich der ordnungspolitischen Debatte stellen, wie Märke sozialer Dienstleistungen zu ordnen sind. Rückwärtsgewandte Trauer über die vermeintlich besseren Zeiten des Korporatismus mit Selbstkostendeckungsprinzip und Objektförderung waren dazu zu überwinden. Eine strikt marktaversive Haltung konnte der Verband nicht durchhalten, ohne wichtige strategische Interessen seiner Mitglieder zu gefährden. Ein Verband, der den Anspruch hat, die anwaltschaftlichen Belange hilfesuchender Bürger und die unternehmerischen Interessen seiner Mitglieder zu erfüllen, damit sie qualitativ gute Dienstleistungen im Interesse der Bürger bereitstellen und sich wirtschaftlich behaupten können, musste sich der Frage stellen, wie Märkte zu ordnen sind. Aus anwaltschaftlichen Gründen war zu diskutieren, wie die Wahlrechte hilfesuchender Bürger gesichert und gestärkt werden können, eine Fragestellung, die bei der Auseinandersetzung zur Einführung eines Rechtsanspruchs auf ein persönliches Budget bei der Hilfe für behinderte Menschen eine große Rolle spielte.
Aber es gab auch Gefahren von außen, die es dem Verband erleichterten, sich der ordnungspolitischen Debatte zu stellen. Unter Verweis auf vermeintlich zwingende Vorgaben des Europäischen Wettbewerbsrechts haben öffentliche Leistungsträger vermehrt versucht, aus der Struktur des Sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses auszubrechen und soziale Dienstleistungen nach Vergaberecht auszuschreiben. Mit dem Vergaberecht stand nun ein völlig anderes Modell der Marktordnung bereit, das – wäre es zum Regelmodell geworden – die Rolle der Caritas und anderer Wohlfahrtsverbände drastisch verändert hätte hin zu Auftragnehmern der öffentlichen Hand. Denn bei der Vergabe sozialer Dienstleistungen liegt die Macht einseitig beim Auftraggeber: Er bestimmt Menge, Qualität, den Grad der Differenzierung der anzubietenden Leistungen und trifft zudem als Ergebnis der Vergabe eine Entscheidung für einen oder einige Leistungserbringer und schließt damit andere von der Leistungserbringung aus. Um seine Rolle als eigenständiger Akteur in einem subsidiär konzipierten Sozialstaat zu behaupten, musste der Verband ein wettbewerblich gestaltetes sozialrechtliches Dreiecksverhältnis gegen das Vorrücken der Ausschreibung verteidigen. Dies war aber nicht möglich, wenn man gleichzeitig der alten Sicht einer Unvereinbarkeit von Sozialem und Markt das Wort redete, sondern erforderte eine differenzierte Sicht auf die unterschiedlichen Marktordnungsmodelle und damit eine ordnungspolitische Auseinandersetzung.5
III. Strategische Festlegungen der verbandlichen Caritas
Nach intensiven Debatten hat die Delegiertenversammlung des Deutschen Caritasverbandes 2007 zur Position des Verbandes zur Ordnung der Märkte sozialer Dienstleistungen strategische Festlegungen beschlossen. Der Titel des Beschlusses lautete „Selbstbestimmte Teilhabe sichern, Märkte ordnen, im Wettbewerb bestehen“. Fachlicher Anspruch der Dienste sei es, „selbstbestimmte Teilhabe zu ermöglichen“, dies erfordere, „dass Menschen zwischen unterschiedlichen Angeboten und Trägern wählen können“. Der Wettbewerb sei entsprechend zu gestalten. „Aus Mindeststandards ergeben sich Grenzen für die Beteiligung der Caritas am Wettbewerb.“ Selbstbestimmte Teilhabe werde durch eine subjektbezogene Finanzierung befördert, das persönliche Budget sei „in geeigneten Hilfefeldern“ dafür die beste Form. Das Sozialrechtliche Dreiecksverhältnis sei „der bewährte ordnungspolitische Rahmen“, es ermögliche „eine wettbewerbliche Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen, in der die Wahlrechte der Hilfebedürftigen und eine qualitativ gute und kostengünstige Erbringung sozialer Dienstleistungen durch ein plurales Trägerangebot gesichert werden kann“. „Die Finanzierung im sozialrechtlichen Dreiecksverhältnis ist der Finanzierung über öffentliche Aufträge (Vergaberecht) vorzuziehen.“ Soweit staatliche