Das Arbeitsrecht ökumenischer Einrichtungen, Unternehmen und Konzerne. Regina Mathy
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Die Artikel der WRV überschneiden sich teilweise mit Art. 4 Abs. 1, 2 GG, da sie sowohl individual- als auch kollektivrechtliche Gewährleistungen enthalten.350 Art. 140 GG ist im Einklang mit der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) und der Religionsgleichheit (Art. 3 GG) auszulegen351, jedoch als lex specialis anzusehen.352 Bei den inkorporierten Artikeln handelt es sich um vollgültiges Verfassungsrecht.353 Sie gehen hinsichtlich der institutionellen Gewährleistungen weiter, d.h. die Religionsfreiheit wird in Art. 140 GG spezifiziert.354
3. Prinzipien des Religionsverfassungsrechts
Das Religionsverfassungsrecht besteht aus zahlreichen verschiedenen Normen, die jedoch einige verbindende Grundsätze erkennen lassen.355 Neben der Religionsfreiheit, die individuell, kollektiv, positiv und negativ durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gewährleistet wird, ist der Vorrang des staatlichen Rechts relevant. Zudem gilt das Prinzip der Bekenntnisneutralität des Staates, d.h. der Staat darf sich nicht mit religiösen oder atheistischen Auffassungen identifizieren.356 Die Gleichstellung aller Religionen und Weltanschauungen soll der Grundsatz der Parität gewährleisten (religionsverfassungsrechtlicher Gleichheitssatz).357 Es besteht eine Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften, die durch gewisse Formen der Kooperation gekennzeichnet ist.358 Die staatliche Rechtsordnung genießt den Vorrang, kann jedoch keine Regelungen für Religionsgemeinschaften treffen („Inkompetenz des Staates in religiös-weltanschaulichen Angelegenheiten“).359 Diese Grundsätze sollen der weiteren Interpretation zugrunde gelegt werden.
4. Zwischenergebnis
Das Religionsverfassungsrecht ist historisch gewachsen. Insbesondere die Erfahrungen der NS-Zeit machen deutlich, wie wichtig ein funktionierendes Religionsverfassungsrecht, das den Schutz von Religionsgemeinschaften gewährleistet, für eine Gesellschaft ist. Es gilt einen Ausgleich zu finden zwischen „Religionsermöglichung und Religionsbegrenzung“.360 Die Väter und Mütter des GG haben sich für eine Inkorporation der einschlägigen Artikel der WRV entschieden, die heute als vollgültiges Verfassungsrecht gelten.
II. Verhältnis des Religionsverfassungsrechts zu Unionsrecht und EMRK
Die zunehmende Internationalisierung des Rechts macht auch vor dem deutschen Religionsverfassungsrecht nicht halt.361 Die Religionsfreiheit ist auch ein EU-Grundrecht (Art. 10 GRCh) und wird durch die EMRK (Art. 9 EMRK) sowie andere völkerrechtliche Verträge garantiert. Um die Einflussnahme des Unionsund Völkerrechts auf das kirchliche Arbeitsrecht beurteilen zu können, muss in einem ersten Schritt das Verhältnis des nationalen Religionsverfassungsrechts zum Europa- bzw. Völkerrecht näher betrachtet werden.
1. Unionsrecht
In den letzten Jahrzehnten hat das Unionsrecht einen erkennbaren Bedeutungszuwachs erlebt.362 Aus einer rein wirtschaftsorientierten Gemeinschaft (EWG) hat sich eine starke Europäische Union (EU) entwickelt, der schon lange deutlich über wirtschaftliche Regelungen hinausgehende Kompetenzen zukommen. Obschon eine noch weitere Annäherung durch eine gemeinsame Verfassung scheiterte, übernahm der Vertrag von Lissabon 2009 wesentliche Elemente des geplanten Verfassungsvertrags und ist aktuell Grundlage für die Zusammenarbeit der noch 28 Mitgliedstaaten.
Die Mitgliedstaaten haben sehr unterschiedliche Traditionen das Verhältnis zwischen Staat und Kirche betreffend. Die Regelungskonzepte lassen sich grundsätzlich drei Modellen zuordnen363: Nach dem sog. Staats- bzw. Volkskirchenmodell sind Staat und Religionsgemeinschaft institutionell und funktionell verbunden.364 Bei Staaten hingegen, die das sog. Trennungsmodell anwenden, werden die Religionsgemeinschaften aus dem staatlichen Bereich in den privaten Bereich gedrängt. Es gibt lediglich privatrechtliche Organisationsformen.365 Dazwischen ordnet sich das sog. Kooperationsmodell ein: Der Staat verhält sich offen gegenüber den Religionsgemeinschaften, er fördert sie und kooperiert mit ihnen.366 Die BRD ist letztgenanntem Modell zuzuordnen, wobei eine deutliche Tendenz hin zum Trennungsmodell erkennbar ist.367 Die Einordnung darf nicht starr verstanden werden, vielmehr besteht eine Konvergenz der Modelle untereinander. Neuerdings wird in der Literatur daher das sog. „Zwei-Ebenen-Modell“ bevorzugt.368 Hiernach gibt es eine grundrechtliche Ebene und eine Ebene, welche die spezifische Ausgestaltung der Religionsfreiheit beschreibt. Alle Mitgliedstaaten gewähren die Religionsfreiheit, Divergenzen bestehen auf Ebene der spezifischen Ausgestaltung.
Sofern man von einem „Unions-Religionsrecht“369 überhaupt sprechen kann, basiert es auf den folgenden vier Säulen: Art. 17 Abs. 1 AEUV, den religionsrechtlichen Diskriminierungsverboten (Art. 10 und 19 AEUV, Art. 21 GRCh), dem europäischen Grundrecht der Religionsfreiheit (Art. 10 GRCh) und dem Schutz der nationalen Identität der Mitgliedstaaten (Art. 4 Abs. 2 EUV).370
a) Keine unionsrechtliche Rechtsetzungskompetenz
Grundsätzlich besteht im Anwendungsbereich der Verträge und in den Grenzen des Art. 23 Abs. 1 GG ein Anwendungsvorrang des Primär- und Sekundärrechts der EU.371
(i) Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung
Nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung (nach Art. 5, 3 Abs. 2 EUV) ist hierfür eine ausdrückliche Zuweisung der Rechtsetzungskompetenz an die EU erforderlich (Kompetenztitel).372 Die Union darf nur dort tätig werden, wo ihr die Mitgliedstaaten eine entsprechende Kompetenz innerhalb der Verträge einräumen. Für das Religionsverfassungsrecht fehlt es an einem entsprechenden Kompetenztitel.373 Ein solcher kann auch nicht aus dem Subsidiaritätsprinzip (Art. 5 Abs. 1, 3 EUV) begründet werden. Auch hiernach ist ein Tätigwerden seitens der EU nicht von Nöten, da die Mitgliedstaaten eigene Regeln zum Verhältnis Staat / Religionsgemeinschaften geschaffen haben.374 Die Kompetenz zur spezifischen Ausgestaltung eines Religionsverfassungsrechts liegt daher bei den Mitgliedstaaten.375
In den letzten Jahrzehnten wurde die Achtung des Religionsverfassungsrechts der Mitgliedstaaten explizit geregelt.376 Mit Schaffung des Art. 17 Abs. 1 AEUV im Jahr 2009 findet sich nunmehr eine ausdrückliche Absicherung zur Achtung des Verhältnisses von Staat und Religionsgemeinschaften in den Mitgliedstaaten mit primärrechtlichem Rang.377 Es wäre indes nach herrschender Auffassung zu weitgehend, mittels Art. 17 AEUV eine vollständige Bereichsausnahme zu begründen.378
Was im Einzelnen Inhalt des Status von Kirchen und religiösen Vereinigungen und Gemeinschaften ist, hat der EuGH bisher nicht näher definiert.379 Für den Begriff „Status“ kommt es nach Ansicht der Literatur in erster Linie auf das Verständnis des jeweiligen Mitgliedstaates an, sodass die religionsverfassungsrechtliche Vielfalt innerhalb der Union aufrechterhalten bleibt.380 Nach herrschender Auffassung sind dabei jedenfalls die fundamentalen nationalen Grundsätze des Verhältnisses Staat / Kirchen umfasst. Demnach muss auch das dem deutschen Verfassungsrecht inhärente Selbstbestimmungsrecht zum „Status“ i.S.d. Art. 17 Abs. 1 AEUV gerechnet werden.381
Der sachliche Schutzbereich des Art. 17 Abs. 1 AEUV beinhaltet zudem das Verbot der Beeinträchtigung. Bisher ungeklärt ist das Verhältnis zwischen Art. 17 Abs. 1 AEUV und einer Beeinträchtigung des Status von Kirchen durch allgemeine europäische Rechtsetzung. Nach einer Ansicht – in diese Richtung deutet die jüngere Rechtsprechung des EuGH382 – statuiert Art. 17 Abs. 1 AEUV das Erfordernis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Im Wege der praktischen Konkordanz ist im Einzelfall ein Ausgleich herzustellen.383 Je stärker eine nationale religionsverfassungsrechtliche Vorgabe Ausdruck des Verhältnisses zwischen Staat und Kirche ist, desto gewichtiger