Das Arbeitsrecht ökumenischer Einrichtungen, Unternehmen und Konzerne. Regina Mathy
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Eine Verpflichtung der EU das Religionsverfassungsrecht der Mitgliedstaaten zu achten, ergibt sich zudem aus dem Gebot der Achtung der nationalen Identität (Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV). Damit wird in Bezug auf Art. 6 Abs. 3 EUV klargestellt, dass die nationalen Regelungen für Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zur nationalen Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten zählen.387 Die institutionelle Gewährleistung steht im Vordergrund, d.h. das Verhältnis der Organisation zum Staat. Die Religionsgemeinschaften werden lediglich vor der grundsätzlichen Unmöglichkeit des Tätigwerdens geschützt.388 Insgesamt bleibt der unionsrechtliche Schutz weit hinter Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zurück.389 Nach deutschem Verständnis können sich auch die Nebenorganisationen von Religionsgemeinschaften auf den Schutz durch das Selbstbestimmungsrecht berufen; ob diese auch nach Unionsrecht umfasst sind, ist umstritten.390
(ii) Verfassungsrechtliche Grenzen der Übertragbarkeit der Regelungskompetenz
Eine Grenze der Übertragungskompetenz bilden auf nationaler Ebene Art. 23 Abs. 1 S. 2 und S. 3 GG. Eine Kompetenzbegründung seitens der Union ist ausgeschlossen, wenn der unantastbare Kerngehalt des Art. 79 Abs. 3 GG, insbesondere die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, betroffen ist. Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit sind als elementare Garantie Teil der Menschenwürde. Über Art. 19 Abs. 3 GG können sich auch die Religionsgemeinschaften unmittelbar hierauf berufen. Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit hat ihrerseits einen „Menschenwürdekern“391, der weit über den „normalen“ Menschenwürdegehalt anderer Grundrechte hinausgeht.392 Teilweise wird eingewandt, dass sich der Menschenwürdegehalt von Art. 4 Abs. 1, 2 GG auf den kultischen Bereich beschränke, sodass lediglich hinsichtlich dieser Komponente auch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG unterfalle.393
Das BVerfG benennt in seinem Urteil zum Vertrag von Lissabon fünf Bereiche, deren Übertragung auf die Union mit dem grundgesetzlich garantierten Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) unvereinbar ist.394 Diese seien besonders sensibel für die Verfassungsidentität.395 Unter anderem gehören hierzu Fragen der kulturellen Identität – explizit benennt das BVerfG in diesem Zusammenhang den Status von Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften.396 Diese Bereiche seien dem eigenen Kulturraum inhärent.397 Auch weite Teile der Literatur vertreten die Ansicht, dass das Religionsverfassungsrecht der Mitgliedstaaten der Verfassungsidentität zuzuordnen ist.398 Insofern gebiete schon Art. 4 Abs. 2 S. 1 EUV diesen Bereich auf Ebene der Mitgliedstaaten zu belassen.399 Im Ergebnis besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der EU die Regelungskompetenz für ein umfassendes EU-Religionsverfassungsrecht fehlt.400
Eine mittelbare Beeinflussung des Religionsverfassungsrechts geht insbesondere von aufgrund von Art. 153 Abs. 1 AEUV erlassenen Rechtakten aus, so beispielsweise im Bereich des Antidiskriminierungsrechts. Insofern kann sich die Union hiervon abgeleitet zu religionsverfassungsrechtlichen Fragen positionieren, ohne dass sie hierzu über eine ausdrückliche Kompetenzzuweisung verfügt.401 Der unionsrechtliche Einfluss gilt zudem aufgrund des Gebots der unionsrechtskonformen Auslegung nationalen Rechts.402
b) Art. 10 GRCh – Religions- und Weltanschauungsfreiheit
Durch Art. 6 EUV wurde nach dem Scheitern einer Europäischen Verfassungsidee die GRCh in das Unionsrecht inkorporiert.403 Die Rechte, Freiheiten und Grundsätze der GRCh sind gleichranging mit den Verträgen und haben damit den Rang von Primärrecht.404 Gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh richtet sie sich an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen sowie an die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts. Art. 10 GRCh gewährleistet sowohl die individuelle als auch die kollektive Religionsfreiheit („Doppelgrundrecht“).405 Obschon der Grundrechtskonvent nicht der Forderung nachgekommen ist, Art. 10 GRCh um ein korporatives oder Statusrecht zu ergänzen, liest die wohl herrschende Meinung eine solche institutionelle Gewährleistung in Art. 10 GrCh hinein.406 Das unionsrechtliche Verständnis des Begriffs der Religionsgemeinschaft entspricht dem des nationalen Rechts.407 Neben natürlichen Personen genießen insbesondere Kirchen und Religionsgemeinschaften den Grundrechtsschutz. Es gilt die allgemeine Schrankenklausel des Art. 52 Abs. 1 GRCh. Art. 10 GRCh weist eine große Ähnlichkeit zu Art. 9 EMRK auf. Aufgrund von Art. 52 Abs. 3 GRCh, der auf die Identität des Schutzniveaus von EMRK und EU-GRCh verweist, bestehen auch bzgl. der Schranken Parallelen.408
2. Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
Die BRD hat die EMRK 1953 kurz nach deren Inkrafttreten ratifiziert.409 Sie hat den Rang einfachen Rechts.410 Nationale Gesetze sind völkerrechtsfreundlich auszulegen.411 Die Gerichte beziehen die in Rede stehenden Konventionsrechte im Rahmen der Abwägung in die Entscheidungsfindung mit ein.412 Art. 9 EMRK schützt die positive und negative Religionsfreiheit.413 Ihr Schutz ist sowohl individuell als auch institutionell. Die Religionsgemeinschaften können sich nach herrschender Meinung aus eigenem Recht auf Art. 9 EMRK berufen, nicht nur vermittelt über ihre Mitglieder.414 Der Wortlaut des Art. 9 EMRK benennt die korporative Religionsfreiheit nicht explizit. Dennoch wird einhellig anerkannt, dass sich Religionsgemeinschaften hierauf i.V.m. Art. 34 EMRK berufen können.415 Auch konventionsrechtlich ist die Autonomie der Kirchen und Religionsgemeinschaften gemäß Art. 11 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 EMRK geschützt. Eine Schranke enthält Art. 9 Abs. 2 EMRK in Form eines qualifizierten Gesetzesvorbehalts. Der korporative Schutzgehalt des Art. 9 EMRK bleibt dabei nach herrschender Lehre hinter dem des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV zurück.416
3. Zwischenergebnis
Ein unionsrechtliches Religionsverfassungsrecht existiert nicht, das die nationalen Religionsverfassungsrechtsordnungen verdrängt. Das deutsche Religionsverfassungsrecht kann jedoch aufgrund der jedenfalls mittelbaren Einflussnahme seitens des Unions- und Völkerrechts nicht losgelöst hiervon betrachtet werden.
B. Teilhabe ökumenischer Einrichtungen am verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht
Neben der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, 2 GG) und der Trennung von Staat und Kirche (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV) ist die Anerkennung des kirchlichen Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrechts (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV) die „dritte Säule des Religionsverfassungsrechts“.417 Rechtsprechung418 und Literatur419 bezeichnen das Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht zusammenfassend als „Selbstbestimmungsrecht“. Es ist seit 1848 (Preußische Verfassung) Teil des Religionsverfassungsrechts420 und wird aufgrund seiner weitreichenden Bedeutung auch als dessen „lex regia“ bezeichnet.421
Die Teilhabe ökumenischer Einrichtungen am religionsverfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht ist notwendige Bedingung für eine hierauf gestützte Arbeitsrechtsgestaltung. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV haben die verfassten Kirchen und die ihnen zugeordneten rechtlich verselbstständigten Untergliederungen unabhängig von ihrer Rechtsform teil am Selbstbestimmungsrecht.422 Unbestritten gilt dies jeweils für Einrichtungen der katholischen Kirche und der evangelischen Kirchen. Ungeklärt ist, inwieweit ökumenische Einrichtungen,