Das Arbeitsrecht ökumenischer Einrichtungen, Unternehmen und Konzerne. Regina Mathy
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Thüsing geht in seiner Argumentation jedoch noch weiter, indem er den den Kirchen eingeräumten Freiheitsraum zur Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten näher betrachtet.524 Zu Recht weist er darauf hin, dass eine ökumenische Zusammenarbeit von beiden Konfessionen als gemeinsamer Auftrag angesehen wird. An den die Religionsgemeinschaften auszeichnenden Besonderheiten ändere sich auch durch ein Zusammenwirken zweier oder mehrerer Religionsgemeinschaften nichts, wenn sie gemeinsam eine Einrichtung mit einem spezifisch kirchlichen Zweck betrieben.525 Insofern sei es nur konsequent, dass sie auch gemeinsam von der verfassungsrechtlichen Gewährleistung profitieren könnten.526 Zum anderen, so wendet Thüsing zutreffend ein, ist bei einem Zusammenwirken mehrerer Religionsgemeinschaften das Interesse des Staates nicht größer als bei einer lediglich einer Religionsgemeinschaft zugeordneten Einrichtung.527 Insofern spricht er sich explizit für die religionsverfassungsrechtliche Zulässigkeit aus: „Wenn zwei Gemeinschaften ein Freiraum eingeräumt wird, den sie nach eigenen Vorstellungen ausfüllen können – eben dies macht Autonomie aus –, dann kann dieser Freiraum nicht dadurch gemindert werden, dass sie ihn gemeinsam ausüben.“528 Zwar dürfe das Maß der Freistellung durch ein Zusammenwirken nicht erweitert, umgekehrt aber auch nicht eingeschränkt werden.529
Dem ist zuzustimmen: Aufgrund der Reichweite des Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV wird man nicht bezweifeln können, dass ökumenische Bestrebungen einer jeden Kirche für sich grundsätzlich Teil ihrer Wesens- und Lebensäußerung sein können. Hierdurch sind jedenfalls Kooperationen ohne gemeinsame Rechtsträgerschaft vom Selbstbestimmungsrecht gedeckt. Schließlich handelt jede Kirche weiterhin für sich, jedoch für ein etwaiges gemeinsames Projekt. Die Frage ist, inwieweit sich an dieser Situation durch eine institutionelle Verbindung etwas ändert. Beide Kirchen sind dann beispielsweise über einen gemeinsamen Rechtsträger an einer Einrichtung beteiligt. Das Selbstbestimmungsrecht nur aufgrund eines gemeinsamen institutionalisierten Handelns einzuschränken, ist nicht sachlogisch. Solange jede Religionsgemeinschaft für sich ihr Handeln mit ihrer Glaubensvorstellung vereinbaren kann, kann ein Zusammenwirken – auch innerhalb eines Rechtsträgers – hieran nichts ändern. Insofern ist Thüsing zuzustimmen, wenn schon eine Kooperation der Religionsgemeinschaften ohne Weiteres möglich ist, muss dies konsequenterweise auch für eine institutionelle Verbindung gelten.530
3. Parallelfall: Weltlich-kirchliche Einrichtungen
In der Literatur präsenter als die Diskussion zu ökumenischen als kirchlich-kirchliche Einrichtungen ist die Frage, ob weltlich-kirchliche Einrichtungen am Selbstbestimmungsrecht teilhaben können. Aus den hieraus gewonnenen Erkenntnissen können möglicherweise hilfreiche Schlüsse gezogen werden. Weltlich-kirchliche Einrichtungen werden von einem kirchlichen und einem nicht-kirchlichen Träger gemeinsam getragen. Bei dem nicht-kirchlichen Träger handelt es sich in der Praxis häufig um eine Kommune oder einen Landkreis.531 Generell werden Mischträgerschaften von kirchlichen und kommunalen Trägern sowohl seitens der Kirchen532 als auch von Teilen der Literatur533 kritisch betrachtet. Im Schrifttum werden gegen weltlich-kirchliche Einrichtungen vor allem der drohende Profilverlust kirchlicher Einrichtungen, die Trennung von Staat und Kirche, das Neutralitätsgebot des Staates sowie die kommunale Eigenständigkeit (Art. 38 Abs. 3 GG) angeführt.
Andere Teile der Literatur stehen Mischträgerschaften von kirchlichen und kommunalen Trägern offener gegenüber.534 Glawatz betont, dass das Selbstbestimmungsrecht nicht dahingehend missverstanden werden dürfe, dass eine strikte Trennung staatlicher und kirchlicher Aktivitäten erforderlich sei.535 Robbers argumentiert ähnlich: Der Staat sei zu Neutralität in Religions- und Weltanschauungsfragen verpflichtet, daher müsse er dem religiösen Wirken entsprechend Raum geben.536 Die Frage ist demnach nicht, ob eine weltlich-kirchliche Einrichtung prinzipiell teilhaben kann am Selbstbestimmungsrecht, sondern ob sie im konkreten Fall einer Kirche zuzuordnen ist. Die Beteiligung eines weltlichen Partners an der Trägerschaft schließt diese nicht prinzipiell aus. Materiell muss es sich bei der Einrichtung um eine „Wesens- und Lebensäußerung“ der Kirche handeln, d.h. sie muss einen kirchlichen Zweck verfolgen. Weiterhin muss die Kirche über ein Mindestmaß an Einflussmöglichkeit verfügen.537 Dies ist anhand einer Gesamtschau der Indizien im Einzelfall zu beurteilen.538 Selbst bei einer Minderheitenbeteiligung des kirchlichen Trägers im Verhältnis zum weltlichen Träger kann eine Zuordnung nach Ansicht weiter Teile der Literatur noch bejaht werden.539 Entscheidend ist weniger die quantitative Beteiligung als die Qualität der Einflussmöglichkeit.540
Für ökumenische Einrichtungen lässt sich hieraus folgern: Wenn schon eine weltlich-kirchliche Einrichtung am verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht teilhaben kann, muss dies erst recht für eine kirchlich-kirchliche Einrichtung gelten.541 Entscheidend ist, dass die ökumenische Einrichtung einer oder allen beteiligten Religionsgemeinschaft(en) zugeordnet werden kann.
4. Ein Blick auf § 118 Abs. 2 BetrVG
Der Begriff Religionsgemeinschaft in § 118 Abs. 2 BetrVG wird ebenso verstanden wie der der Religionsgesellschaft in Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV. Das BetrVG findet gemäß § 118 Abs. 2 BetrVG als Ausprägung des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts nicht auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen Anwendung. Der Wortlaut der Norm bezieht sich auf „ihre“ Einrichtungen. Nach teilweise vertretener Auffassung fallen hierunter nicht ökumenische Einrichtungen, die keiner verfassten Kirche institutionell zuzuordnen sind.542 Eberle führt dies auf die Entstehungsgeschichte des § 118 Abs. 2 BetrVG zurück. Bei der Konzeption des Gesetzes spielte es zwar eine Rolle, dass die Kirchen eine Autonomie gegenüber dem Betriebsverfassungsrecht genießen sollten543, nicht jedoch die Förderung der Ökumene.544 Zudem würde § 118 Abs. 2 BetrVG auch aus teleologischer Sicht lediglich den Normgehalt des Art. 137 Abs. 3 WRV vollziehen und nicht die Förderung der Ökumene bezwecken.545 Trotz der bestehenden ökumenischen Annäherung gebe es nach wie vor weder ein ökumenisches Bekenntnis noch umfassende ökumenische Kultformen. Insofern könne bei ökumenischen Einrichtungen die erforderliche institutionelle Verknüpfung546 nicht bejaht werden. Eine überkonfessionell-ökumenische Einrichtung genieße nur den einfachen Tendenzschutz nach § 118 Abs. 1 BetrVG, der unmittelbar aus Art. 4 Abs. 2 GG hergeleitet würde.547
Thüsing entnimmt dem Wortlaut des § 118 Abs. 2 BetrVG hingegen keine Einschränkung dahingehend, dass die Einrichtung von einer Kirche allein getragen werden muss.548 Er argumentiert in diesem Zusammenhang mit dem gemeinsamen Betrieb549 i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG550: Betreiben zwei Religionsgemeinschaften zusammen einen gemeinsamen Betrieb, wäre es sachfremd anzunehmen, dieser fiele unter das BetrVG. Die Mitarbeiter agieren gemeinsam innerhalb eines organisatorischen Gebildes. Ihre Arbeitsverhältnisse bestehen mit der jeweiligen Religionsgemeinschaft fort. Die gemeinsame Organisation ändere nichts daran, dass für die Arbeitnehmer die spezifischen Loyalitätspflichten des jeweiligen Arbeitgebers gelten.551 Auf sie finden die jeweils in Bezug genommenen Arbeitsrechtsregelungen ihres Vertragsarbeitgebers Anwendung. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Eine ökumenische Rechtsträgerschaft unterscheidet sich hiervon nicht grundlegend. Zwar bestehen die Arbeitsverhältnisse nicht unmittelbar zwischen den Mitarbeitern der Einrichtung und der jeweiligen Kirche – wie es in einem gemeinsamen Betrieb der Fall ist – allerdings sind beide Kirchen an dem gemeinsamen Anstellungsträger