Pragmatikerwerb und Kinderliteratur. Группа авторов

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Pragmatikerwerb und Kinderliteratur - Группа авторов Studien zur Pragmatik

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von dem Kabel herunterhängen, und einer Straßenlaterne. Das dämmrige Licht und die dominierenden Grau- und Schwarztöne bestärken den Eindruck einer bedrohlichen Atmosphäre.

      Wir haben am Beispiel von Textanfängen von Bilderbüchern gezeigt, dass die Annahme von markierten vs. unmarkierten Texten sinnvoll ist. Unsere Hypothese ist, dass zur Erschließung der Bedeutung markierter Texte unter anderem die Maxime der Art und Weise oder das M-Prinzip herangezogen werden muss. Markierte Texte fordern die Aufmerksamkeit der Leserin heraus, weil diese besondere Stilmerkmale aufweisen. Wenn also ein Text gegen die Maxime der Art und Weise verstößt, etwa indem er ambig ist, die erwartbare Reihenfolge von Informationen nicht beachtet oder zur Weitschweifigkeit oder Aufzählung neigt, dann stellt sich alsbald die Frage, warum diese stilistischen Mittel gewählt worden sind und welche Bedeutung sie für die nachfolgende Narration haben.

      3.2 Markiertheit auf der Bildebene

      Die Maxime der Art und Weise und das M-Prinzip beziehen sich auf den Sprachgebrauch. Im Rahmen der Bilderbuchanalyse ist es möglich, diese Prinzipien auch auf Bilder zu beziehen. Die fundamentale Annahme ist, dass es Erwartungen in Bezug auf „normale“ Bilder gibt, gegen die in der Bildkunst mit Absicht verstoßen wird, so dass neuartige Bildinterpretationen gewonnen werden können. Eine Adaption des M-Prinzips für Bilder könnte so aussehen wie in (10):

(10) M-Principle (adapted for pictures)
Author’s maxim: Indicate an abnormal, nonstereotypical situation by using marked pictures that contrast with those you would use to represent the corresponding normal, stereotypical situation.
Recipient’s corollary: What is represented in an abnormal way indicates an abnormal situation, or marked pictures indicate marked situations (…).

      Was kann man unter einem (für Kinder) „markierten“ Bild verstehen? Betrachtet man die Bilder von Äpfeln oder Bällen, die man in Frühe-Konzepte-Büchern findet (vgl. Kümmerling-Meibauer/Meibauer 2005), die sich an etwa 12 Monate alte Kinder richten, so stellt man eine erhebliche Variation fest: Es gibt Bilder in Schwarzweiß und in Farbe, es gibt Zeichnungen und Fotografien, die Abbildungen folgen dem Prinzip des Realismus, jedoch gibt es auch Bilder mit einem hohen Abstraktionsgrad. Dennoch, so kann man vermuten, wird es unter diesen Bildern Abbildungen geben, die einen prototypischen Charakter haben. Sie erleichtern optimal die Erkennung des Dargestellten und passen zu den Bildkenntnissen bzw. der Visual Literacy der Kinder. Markiert dürften dagegen (zumindest für heutige Kinder) die Schwarzweiß-Fotografien von Edward Steichen in The First Picture Book (1930) wirken. Diese Fotografien folgen den Prinzipien der Neuen Sachlichkeit und heben die Alltagsgegenstände durch die Perspektivwahl, das Arrangement im Raum und die Lichtregie bewusst hervor, so dass ihnen eine gewisse ‚Aura‘ verliehen wird. Auch die abstrakten Bilder von Dick Bruna in Erste Bilder (1987) dürften als „markiert“ wahrgenommen werden. Hierbei sind die jeweiligen Gegenstände in einer Weise abstrahiert, dass nur noch wesentliche Merkmale wie ihre Form bzw. Umriss wiedergegeben werden, bis hin dazu, dass eine eindeutige Zuordnung zu einem bestimmten Objekt nicht immer möglich ist.

      In Bezug auf herausfordernde Bilderbücher möchten wir hier nur erstens die Collage und zweitens ungewöhnliche graphische Markierungen nennen.1 Verfahren der Collage, z. B. die Kombination von Zeichnung und Fotografie, finden wir in vielen herausfordernden Bilderbüchern, so etwa in den bereits genannten Bilderbüchern von Stian Hole und Karoline Kehr, aber auch in Neil Gaimans Die Wölfe in den Wänden (2005), mit Illustrationen von Dave McKean, oder Shaun Tans Die Fundsache (2009). Nach Elina Druker (2018: 49) ist die Collage „the process of assembling fragments of different materials to create a composite image“. So verwendet Stian Hole Fotografien und Zeichnungen, die mithilfe von Photoshop zusammengefügt werden, um hyperrealistische Effekte zu erzielen. Shaun Tan collagiert Zeichnungen mit Ausschnitten aus technischer Literatur und Textinserts, so dass eine technisch-nostalgische Welt assoziiert werden kann. Dave McKean kombiniert Zeichnungen, Fotoausschnitte und übereinander geklebte Teile aus Buntpapier, um darzustellen, dass die Welt der im Fokus stehenden Familie aus den Fugen gerät. Karoline Kehr baut dreidimensionale Modelle, die fotografiert werden, so dass die Fotografie mit kolorierten Zeichnungen von Figuren oder Gegenständen bemalt und eventuell am Computer bearbeitet werden kann. Aus Platzgründen können wir nicht auf die vielfältigen und komplexen Verfahren der Collagenerstellung eingehen. Hier genügt die Einsicht, dass auf diese Weise markierte Bilder entstehen.

      Ungewöhnliche graphische Markierungen tragen ebenfalls zur Markierung von Bildern bei. Hiawyn Orams Angry Arthur (1984), mit Illustrationen von Satoshi Kitamura, ist hierfür ein gelungenes Beispiel. Das Bilderbuch thematisiert die Wut eines kleinen Jungen, der sich darüber ärgert, dass er abends nicht mehr fernsehen darf. In diesem Buch findet man Bilder, die von Zickzacklinien durchzogen sind. Diese stehen in einem Gegensatz zu den vorherigen Bildern ohne Zickzacklinien, die Arthur in einem normalen emotionalen Zustand zeigen. Markiert sind diese Zickzacklinien auch dadurch, dass sie in einem realistischen Setting, nämlich einem Kinderzimmer, verankert sind. Da sie nicht Bestandteil einer realistisch-fiktionalen Welt sind, fordern sie die Aufmerksamkeit des Betrachters heraus. Die Zickzacklinien signalisieren, zusammen mit der Textinformation „He got so angry that his anger became a stormcloud exploding thunder and lightning and hailstones“, den Zustand der sich steigernden Wut, unterstreichen aber auch die Wettermetapher von Blitz und Donner (Rau 2011: 148).

      In Fuchs (2003) von Margaret Wild und Ron Brooks finden wir collagierte Texte, die statt in der Vertikalen (wie normalerweise erwartet werden kann), in der Horizontalen stehen. Zwischen diese Textblöcke sind die Illustrationen der Figuren und des Settings gestellt. Aufgrund der Textanordnung ist die Betrachterin also gezwungen, auf manchen Doppelseiten das Buch um 90 Grad zu drehen. Sie gewinnt auf diese Weise eine neue Perspektive auf das Bild. Eine solche atypische Anordnung der Textinformation kann wiederum gedeutet werden als Grenze oder Barriere zwischen den drei Protagonisten, einem Fuchs, einer Elster und einem Hund, zwischen denen ein spannungsgeladenes Dreiecksverhältnis existiert (vgl. Kümmerling-Meibauer/Meibauer 2015).

      Wie diese Bilderbuchbeispiele zeigen, können auch Bilder markiert sein, indem sie gegen Normalerwartungen verstoßen.2 Sie laden daher zu besonderen Interpretationen ein. Dabei, so unsere Hypothese, könnten bildbezogene Versionen der Maxime der Art und Weise bzw. des M-Prinzips eine wichtige Rolle spielen, denn durch die Markiertheit der Bilder wird die Betrachterin darauf hingewiesen, dass diese offensichtlich ungewöhnliche, normalerweise nicht erwartbare Situationen, Settings und Konstellationen darstellen. Auch hier wird von der Betrachterin erwartet, dass sie ein Vorwissen über Standardsituationen und prototypische bildliche Darstellungen hat, um überhaupt in der Lage zu sein, die markierten Bilder zu erkennen und im Kontext der Narration zu deuten.

      3.3 Markiertheit in Text-Bild-Kombinationen

      Die Erforschung des Text-Bild-Verhältnisses steht im Zentrum der Bilderbuchtheorie (Kümmerling-Meibauer 2018). Normalerweise, so kann man annehmen, unterstützen und ergänzen sich Bilder und Texte in einem Bilderbuch gegenseitig. Man kann auch sagen, dass das Bild einen Kontext für den Text darstellt und der Text einen Kontext für das Bild. Die gelegentlich anzutreffende Meinung, dass bei Bilderbüchern die Bilder das „Entscheidende“ seien, ist unbegründet. Selbst bei textlosen Bilderbüchern muss es einen mentalen Text geben. Texte und Bilder können aber auch in einem konfliktären, markierten Verhältnis zueinander stehen. Die Betrachterin mag erkennen, dass beide nicht zueinander passen. Ihr Verhältnis zueinander ist folglich gestört.

      Ironie und Metapher im Bilderbuch sind einschlägige Fälle. Beide Redefiguren werden im Grice’schen System zwar als Ausbeutungen der Maxime der Qualität betrachtet (Grice 1989). Aber die Beobachtung, dass wir ein markiertes Text-Bild-Verhältnis haben, könnte ihren Ursprung in der Maxime

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