Pragmatikerwerb und Kinderliteratur. Группа авторов

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Pragmatikerwerb und Kinderliteratur - Группа авторов Studien zur Pragmatik

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Markiertheit auf der Textebene

      Texte können an verschiedenen Stellen und auf unterschiedliche Art und Weise markiert sein. Wir konzentrieren uns auf einige Beobachtungen zu Textanfängen, die einen wichtigen Teil des Gesamttexts darstellen. Textanfänge dienen in der Regel dazu, das Setting einer Erzählung einzuführen. Welche Figuren treten auf? An welchem Ort treten sie auf? Zu welcher Zeit geschieht das? Es handelt sich hierbei um grundlegende Informationen, um sich in einer Erzählung orientieren zu können. Folgender Satzanfang stammt aus dem Bilderbuch Die Insel (2002) von Armin Greder:

(5) Am Morgen fanden die Inselbewohner einen Mann am Strand, da wo Meeresströmung und Schicksal sein Floß hingeführt hatten. Er stand auf, als er sie kommen sah.
Er war nicht wie sie. (Armin Greder, Die Insel, 2002)

      Aus diesem Text erfahren die Leserinnen, dass der Text von den Inselbewohnern und einem Mann handelt; dass sie ihn am Morgen fanden und dass sie ihn am Strand fanden. Schon der erste Satz liefert diese relevanten Informationen.1

      Die folgenden Textanfänge sind im Vergleich markierter:

(6) Als mich ein Trödler in seinem Schaufenster ausstellte, wusste ich: „Otto, jetzt bist du alt.“ (Tomi Ungerer, Otto. Autobiographie eines Bären, 1999)
(7) Wenn Florentine vor dem Schlafengehen ihre Zähne putzen möchte, dann knurre ich: „Ich will nicht! Ich will nicht! Ich will nicht!“ Grrrrr, ich hasse Waschen und Zähneputzen. „Lass uns lieber noch im Bett einen Schokokeks essen“, flüstere ich ihr ins Ohr. Und weil Florentine nicht gern mit mir streitet, so legen wir uns ins Bett und essen einen Schokokeks. (Karoline Kehr, Schwi-Schwa-Schweinehund, 2001)

      In (6) gibt es durch den als-Satz und das Temporaladverb jetzt sowie die Präpositionalphrase in seinem Schaufenster eine zeitliche und räumliche Einordnung des Geschehens, ähnlich wie in (7), wo die Zeitangabe durch die Präpositionalphrase vor dem Schlafengehen erfolgt, und der Ort des Geschehens durch die Aktivitäten des Zähneputzens und Waschens als Badezimmer rekonstruiert werden kann.

      Die Ermittlung der Figuren, die eine Perspektive der 1. Person einnehmen, ist dagegen aufwändiger: In (6) gibt es eine koreferenzielle Beziehung zwischen mich, ich, Otto und du.2 Dem Teddybären Otto werden, wie aus der selbstadressierten direkten Rede hervorgeht, Fähigkeiten der Selbstreflexion zugeschrieben, die sich auf die Vergangenheit bzw. den Verlauf eines längeren Lebens beziehen. Diesem Satz kann der Leser also entnehmen, dass der Teddybär Otto auf sein Leben zurückblickt, so wie es altgewordene Menschen oft machen. In (7) spricht die Figur des Schweinehunds, der das Mädchen Florentine in ihrem Verhalten (Zähne putzen, sich waschen, einen Schokokeks essen) negativ beeinflusst. Allerdings wird diese Figur in der Anfangspassage nicht namentlich eingeführt, so dass unklar ist, wer sich hinter dem Ich-Erzähler verbirgt. Wörter wie knurren und Grrrr legen nahe, dass es sich um einen Hund handeln könnte, allerdings scheint die Fähigkeit zur menschlichen Sprache dieser Vermutung zu widersprechen.

      Als ein weiteres Beispiel betrachten wir (8):

(8) Kajak schreibt sich vorwärts und rückwärts gleich, sagt Anna. Rentner auch.
Genau wie Anna, fügt Papa hinzu. Aber jetzt musst du dich beeilen, sonst kommen wir zu spät.
Anna merkt, dass Papa unruhig ist, obwohl sie ihn nicht anschaut. Sie spürt es in der Luft, im Gras, in der Narbe am Knie, im Muttermal am Hals und in jedem einzelnen Haar auf ihrem Kopf. Anna weiß, dass Papa unruhig wird, wenn ihm vor etwas graut.
(Stian Hole, Annas Himmel, 2014 (norweg. EA 2013))

      Eine kindliche Leserin wird diesem Text entnehmen, dass es sich um eine Erzählung handelt, in denen die Figuren Anna und Papa eine Rolle spielen. Aber der Einstieg mit Annas Bemerkung zu den Palindromen ist markiert. Wenn der Papa repliziert, dass Anna ebenfalls ein Palindrom ist, ergibt sich nach Lektüre des ganzen Texts die interpretatorische, metaphernbasierte Hypothese, dass Anna zurückblicken, aber auch nach vorne schauen kann (während der Vater in Gefahr ist, nur zurückzublicken). Dass beide um die Frau und Mutter trauern, und der Gang zum Begräbnis vor ihnen liegt (“… sonst kommen wir zu spät [zu X]“), kann erst langsam im Textverlauf erschlossen werden.

      Markiert ist auch die Behauptung, dass Anna „in der Luft, im Gras, in der Narbe am Knie, im Muttermal am Hals und in jedem einzelnen Haar auf ihrem Kopf“ spüren kann, dass ihr Papa unruhig ist. Durch diese Formulierung werden Anna besondere Fähigkeiten der Wahrnehmung zugeschrieben.

      Die betrachteten Beispiele zeigen, dass die textuellen Prinzipien der Kohäsion und Kohärenz (vgl. Averintseva-Klisch 2013) durchaus beachtet werden. Grobe Verstöße würden die Texte unverständlich machen. Dennoch wird deutlich, dass es in (6), (7) und (8) Herausforderungen beim Textverstehen gibt, die bei einem gewöhnlichen Textanfang wie in (5) nicht bestehen. Die entsprechende Bildinformation unterstützt sicherlich die Gewinnung einer Interpretation, die für den weiteren Lesevorgang nützlich ist: Bei (5) das Bild eines Floßes und eines nackten Mannes, bei (6) das Bild des Teddybären Ottos, bei (7) das Bild des Schweinehunds, der auf Florentines Schulter hockt, und in (8) das Bild von Anna, die schaukelt, während ihr Papa auf sie wartet. Dennoch sind die Texte auch ohne diese Bildinformationen verständlich, wenn ihre Markiertheit im Vergleich zu einem „normalen“ Textanfang erkannt wird. Zusätzlich spielt die Gliederung der Sehfläche, d.h. die Anordnung des Texts auf einer Seite oder Doppelseite, die Kombination verschiedener Schriften sowie die Gliederung eines Textes durch Abschnitte eine Rolle und kann bei der Gesamtinterpretation herangezogen werden.

      Ein letztes Beispiel zeigt, dass es Textanfänge gibt, bei denen die Information über Figuren, Raum und Zeit unklar oder vage ist (Fettdruck im Original):

(9) There are woolvs in the sitee. Oh, yes! In the streets, in the parks, in the allees. In shops, in rustee playgrownds. In howses rite next dor.
And soon they will kum. They will kum for me and for yoo And for yor bruthers and sisters, Yor muthers and fathers, yor arnts and unkils, Yor grandfathers and grandmuthers.
No won is spared.
(Margaret Wild und Anne Spudvilas, Woolvs in the Sitee, 2006)

      In diesem Text wird behauptet, dass es Wölfe in der Stadt gibt und dass sie bald den Sprecher (me), den oder die Angesprochenen (yoo) und deren ganze Familie (bruthers, sisters, muthers, fathers, arnts, unkils, grandfathers, grandmuthers) angreifen werden. Wer genau spricht, ist nicht klar. Doch die auffällige falsche Schreibweise, die klar markiert ist relativ zur orthografischen Norm, mag einen ersten interpretatorischen Hinweis geben und zu mehreren Mutmaßungen Anlass geben: Der Sprecher oder die Sprecherin (tatsächlich ist es ein Junge) könnte schlecht in der Schule sein, oder die falsche Schreibweise ist ein Hinweis auf einen ängstlichen Geisteszustand, oder es handelt sich um einen bestimmten Slang, usw. Die begleitende Illustration gibt keine expliziten Informationen zu der sprechenden Figur

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