Pragmatikerwerb und Kinderliteratur. Группа авторов

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Pragmatikerwerb und Kinderliteratur - Группа авторов Studien zur Pragmatik

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sondern auch die interne Pragmatik, also solche pragmatischen Prozesse, die im Bilderbuch dargestellt werden. Praktisch alle narratologischen Dimensionen (z. B. Dialog, Redewiedergabe, Perspektive, Emotion und Empathie) haben auch eine pragmatische Seite, so dass die Annahme, dass gemeinsames Lesen von Bilderbüchern schon früh eine Quelle des pragmatischen Lernens, aber auch des Literaturerwerbs ist, nicht unplausibel ist.

      Die literarische Pragmatik untersucht unter anderem, wie ästhetische Effekte mit Grice’schen Maximen oder Prinzipien zusammenhängen (Warner 2013). Geht man davon aus, dass literarische Kommunikation zwischen einem Autor/Erzähler und einem Leser grundsätzlich den allgemeinen Kommunikationsprinzipien unterworfen ist, ist die Anwendung der Grice’schen Theorie auf die Produktion und Interpretation von Literatur nur konsequent. Angesichts des Umstands, dass einerseits Fiktionalität auch eine Eigenschaft von gesprochener Alltagssprache sein kann, anderseits literarische Texte auch faktional sein können, sollte der spezielle kognitive Status der Literatur kein Hindernis für die Anwendbarkeit der Grice’schen Theorie auf literarische Kommunikation sein (Weidacher 2017). Im Gegenteil kann man hoffen, dass auf diese Weise eine präzisere Rekonstruktion einiger ästhetischer Phänomene möglich ist (Chapman 2014, Dynel 2018).

      Grice (1989) nimmt vier Maximen an, nämlich die Maximen der Quantität, Qualität, Relation und der Art und Weise, die dem Kooperationsprinzip zugeordnet sind. Diese Maximen spielen eine zentrale Rolle in der rationalen Rekonstruktion des mit einer Äußerung in einer bestimmten Sprechsituation Gemeinten (Meibauer 2018). In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf die Maxime der Art und Weise (‚maxim of Manner‘) bzw. das M-Prinzip (Grice 1989, Levinson 2000). Man kann diese Maxime als stilistische Maxime begreifen, weil sie sich nicht wie die anderen Maximen auf den Inhalt des Gesagten, sondern die Art und Weise, wie etwas gesagt wird, bezieht. Der Begriff der Markiertheit ist hier einschlägig: Wenn ein Ausdruck markiert ist im Vergleich mit alternativen Ausdrücken, muss eine spezielle Bedeutung vom Leser abgeleitet werden.

      Solche markierten Bedeutungen tauchen schon früh in Bilderbüchern für Kinder auf. Das ist erstaunlich, denn die Ableitung anderer implikaturbasierter Bedeutungen, zum Beispiel bei skalaren Implikaturen (Maxime der Quantität/Q-Prinzip), ist nicht einfach zu erwerben und bedarf langjähriger sprachlicher Erfahrung. Bei den folgenden Überlegungen konzentrieren wir uns auf eine Gruppe von Bilderbüchern, die man in den letzten Jahren als herausfordernde Bilderbücher (‚challenging picturebooks‘) bezeichnet hat (Evans 2015a). Mit „Herausforderung“ ist zunächst einmal gemeint, dass diese Bücher – anders als man es von gewöhnlichen Bilderbüchern erwarten würde – Themen wie Tod, Sexualität oder psychische Krankheiten wie Depression aufgreifen und dazu auch ästhetisch herausfordernde künstlerische Strategien verwenden. Nach Evans (2015b: 5–6) sind dies Bilderbücher, die man als seltsam, ungewöhnlich, kontrovers, beunruhigend, schockierend, störend, merkwürdig, anspruchsvoll oder philosophisch charakterisieren kann. Man kann auch sagen, dass es sich um Bilderbücher handelt, die ‚normale‘ Erwartungen (von erwachsenen Gatekeepern) verletzen und deshalb markiert sind.

      Wir möchten aber vor allem fragen, in welchen kognitiven Hinsichten ein herausforderndes Bilderbuch eine Herausforderung für ein Kind in einem bestimmten Entwicklungsstadium ist und welche besonderen Lernmöglichkeiten sich aus einem entsprechenden Bilderbuch ergeben mögen (Kümmerling-Meibauer/Meibauer 2013, Kümmerling-Meibauer et al. 2015).

      Wir werden im Folgenden Markiertheit auf den Ebenen des Texts, des Bildes und der markierten Kombination beider Ebenen analysieren. Unsere wesentliche These ist, dass die künstlerische Konstruktion der „Herausforderung“ einerseits Fähigkeiten der Interpretation von Markiertheit voraussetzt, andererseits aber diese auch unterstützt und begünstigt, so dass sich Effekte des literarischen Lernens ergeben können. Damit ist auch ein Anschluss an eine kognitive begründete Theorie des Literaturerwerbs gegeben.

      Im nächsten Abschnitt gehen wir genauer auf die Maxime der Art und Weise und das M-Prinzip ein. In Abschnitt 3 stellen wir exemplarisch einige Fälle vor, in denen (a) Markiertheit auf der Textebene, (b) Markiertheit auf der Bildebene und (c) Markiertheit bei Text-Bild-Kombinationen vorliegen. In Abschnitt 4 kommen wir auf den Maximenerwerb zurück und überlegen, inwiefern Kinderliteratur dafür ein literarischer Input sein kann. Überlegungen zu einer möglichen experimentellen Überprüfung runden den Beitrag ab.

      2 Die Grice’sche Maxime der Art und Weise

      Grice (1989: 27) schlägt die folgende Formulierung der Maxime der Art und Weise vor und illustriert Ausbeutungen dieser Maximen mithilfe einer Reihe von Beispielen (Grice 1989: 35–37). Zum Beispiel ist die Äußerung „Miss X produced a series of sounds that corresponds closely with the score of ‚Home sweet home‘“ obskur im Vergleich zu „Miss X sang ‚Home Sweet Home‘“, scheint also gegen die erste Submaxime zu verstoßen. Als Leserin einer Konzertkritik wird man annehmen, dass mit der gewählten Formulierung eine harsche Kritik intendiert ist. „The most obvious supposition is that Miss X’s performance suffered from some hideous defect“, wie Grice (1989: 37) erläutert.

(1) The maxim of Manner
Supermaxim: Be perspicuous.
Submaxims: Avoid obscurity of expression.
Avoid ambiguity.
Be brief (avoid unnecessary prolixity).
Be orderly.

      Innerhalb seines Systems der Konversationsmaximen genießt diese Maxime einen besonderen Status. Während die Maximen der Quantität, Qualität und Relation sich auf den Inhalt des Gesagten beziehen, bezieht sich die Maxime der Art und Weise auf „how what is said is to be said“, wie es bei Grice (1989: 27) heißt. In anderen Worten, die Maxime bezieht sich auf die spezifische Verpackung eines Inhalts oder auf den Stil.

      Aus einer Reihe von Gründen, vor allem aber wegen ihrer Beziehung zum restlichen Maximenapparat, ist die Maxime der Art und Weise ein guter Kandidat für die Reduktion von Maximen (Meibauer 1997). So subsumiert Horn (1984) die erste und zweite Submaxime der Maxime der Art und Weise unter sein Q-Prinzip („Make your contribution sufficient: Say as much as you can (given R)“) und die dritte und vierte Submaxime unter sein R-Prinzip („Make your contribution necessary: Say no more than you must (given Q).“) In Carstons (2002) relevanztheoretischem Ansatz spielt die Maxime der Art und Weise keine Rolle. Levinson (2000) jedoch postuliert eine spezielle Fassung, die er das M-Prinzip nennt. Im Gegensatz zu Grice finden sich hier aber nicht einzelne Submaximen vom Typ „Avoid ambiguity!“ oder „Be orderly!“, sondern das M-Prinzip führt den Begriff der Markiertheit ein und enthält eine Unterscheidung zwischen normalen, stereotypischen Situationen und abnormalen, nicht-stereotypischen Situationen, die sich auf den Gebrauch bestimmter sprachlicher Mittel beziehen.

(2) M-Principle
Speaker’s maxim: Indicate an abnormal, nonstereotypical situation by using marked expressions that contrast with those you would use to describe the corresponding normal, stereotypical situation.
Recipient’s corollary: What is said in an abnormal way indicates an abnormal situation, or marked messages indicate marked situations (…).1

      Dieses Prinzip ist auf eine Reihe von sprachlichen Phänomenen gemünzt, zum Beispiel lexikalische Dubletten, konkurrierende Wortbildungen, Nominalkomposita, Litotes, bestimmte Genitiv- und Nullmorphem-Konstruktionen, Periphrasen und Wiederholungen

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