Licht zwischen den Bäumen. Una Mannion
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»Hallo, Libby. Entschuldige, ich bin heute sehr in Eile. Die Jungs sind schon im Schlafanzug. Im Gefrierfach steht Eis. Ich habe Schoko-Mint für dich besorgt.« Ich zögerte kurz, bevor ich ins Haus trat. Mrs Boucher sah mich an. »Alles in Ordnung?«
»Ja, alles bestens. Danke. Auch für das Eis. Heute war der letzte Schultag vor den Sommerferien«, setzte ich noch hinzu, als würde das irgendetwas erklären. Ich ging an ihr vorbei in die Diele.
»Ach, das Paradox der Freiheit«, sagte Mrs Boucher, als wäre ihr alles klar. »Wir sehen uns später, wenn ich zurück bin.« Und damit zog sie die Haustür hinter sich zu.
Warum hatte ich ihr nichts erzählt? Ich fasste nach der Klinke, um die Tür zu öffnen, sie zurückzurufen, ihr zu sagen, dass wir Hilfe brauchten. Aber ich fand es schrecklich, andere um etwas zu bitten. Vielleicht würde sie ja auf ihrem Weg den Berg hinunter an Ellen vorbeifahren. Ich rief mir all die Leute vor Augen, die auf dem Heimweg an Ellen vorbeifahren könnten. Irgendwer würde doch sicher anhalten. In ihrer Schuluniform war sie leicht zu erkennen.
Ich spielte mit den Jungs und brachte sie dann ins Bett. Bruce, dem Zweijährigen, las ich Gute Nacht, Mond vor, Peter, dem Fünfjährigen, Peter Hase. Bruce nuckelte am Daumen und kuschelte sich an mich. Er hatte eine Mondlampe in seinem Zimmer, und als ich an der Stelle war, wo dem Zimmer Gute Nacht gesagt wird, schlief er längst. Nach dem Vorlesen nahm Peter gern selbst das Buch, um die Bilder noch einmal ganz genau zu betrachten. Ich tat so, als wäre auch er ein Hase, wir rieben zum Gute-Nacht-Sagen die Nasen aneinander und ich ermahnte ihn, sich noch schön das Fell zu putzen und zum Schlafen die Ohren anzulegen.
Dann ließ ich ihn allein und ging nach oben ins Wohnzimmer. Die ganze Zeit lauschte ich angestrengt auf das Telefon. Um zehn nahm ich den Hörer ab, um zu überprüfen, ob das Freizeichen zu hören war, und legte ihn dann sorgfältig wieder auf die Gabel. Ich hätte gern zu Hause angerufen, aber dann würde womöglich meine Mutter an den Zweitapparat bei sich im Zimmer gehen. Stattdessen rief ich Sage an, außer Marie und Thomas der einzige Mensch auf dieser Welt, der mich sofort verstehen würde.
»Hallo, ich bin’s.«
»Warum flüsterst du?«
»Weiß ich auch nicht. Ich bin bei den Bouchers. Mom hat vorhin, als es schon dunkel war, Ellen aus dem Auto geworfen. Auf der Brücke über den Turnpike. Sie muss zu Fuß nach Hause laufen, aber ich glaube, sie ist noch nicht wieder da.«
»Am Turnpike? Arme Ellen. Diese Straße ist so einsam.«
»Ja. Ich weiß nicht, was ich machen soll.«
»Ich schicke Charlotte mit dem Wagen los«, sagte Sage. »Das macht sie bestimmt.«
»Nein. Bitte nicht. Dann wird alles nur noch schlimmer. Mom kriegt vielleicht Ärger.«
»Und wenn schon.«
»Sag deiner Mutter bitte nichts. Ich melde mich, sobald ich weiß, dass sie zu Hause ist.« Ich setzte mich wieder auf das Sofa und versuchte, fernzusehen, konnte mich aber nicht konzentrieren. Wenn ich bloß etwas zu Mrs Boucher gesagt hätte, vielleicht hätten wir Ellen dann schon gefunden und alles wäre längst vorbei. Um halb elf klingelte das Telefon.
Marie war dran. »Sie ist immer noch nicht da.«
»O Gott. Mir ist ganz schlecht.«
»Auf der Straße ist sie nicht. Sie muss wohl durch den Wald gegangen sein.«
»Woher weißt du das?«
»Wilson McVay ist die ganze Strecke mit dem Motorrad abgefahren und hat sie nicht gesehen.«
»Du hast Wilson McVay angerufen?«
»Ja. Wen denn sonst?«
»Jeden, bloß nicht ihn. Der ist verrückt, Marie.«
»Die Leute, die so was sagen, kennen ihn nicht.«
»Die Leute haben Gründe, so was zu sagen. Er hat ziemlich verrücktes Zeug gemacht.«
»Er hat uns geholfen, Libby. Werd erwachsen.«
Mir fiel mehr als genug ein, was mit Wilson McVay nicht stimmte. Unser toter Kater Mr Franklin zum Beispiel. (So hatte ihn Thomas genannt, nach Benjamin Franklin, der sich der Legende zufolge einmal nachts am Berg verirrt haben soll. Unser Mr Franklin war uns als junges Kätzchen im Wald zugelaufen.) Wir waren überzeugt, dass Wilson ihn getötet hatte. Die Leute erzählten sich, er knalle die Haustiere der Nachbarn mit seinem Luftgewehr ab, und als wir Mr Franklin tot im Wald fanden, hatte er kreisrunde Wunden in der Flanke. Ich hatte selbst schon erlebt, wie verrückt Wilson sein konnte, und Marie war auch dabei gewesen. Vor Jahren, ich war vielleicht elf oder zwölf, saßen wir einmal auf den Schaukeln am Sun Bowl, und Wilson kam mit seiner Motocross-Maschine angefahren, kurvte herum und versuchte, den Felshang am anderen Ende des Geländes raufzukommen. Er machte ein paar Anläufe, dann fuhr er zu den Schaukeln und ließ die Maschine aufheulen, wirbelte direkt vor uns Staub auf. Eine Gruppe älterer Jungs war aufgetaucht und stand auf dem Basketballfeld herum. Sie waren mir mindestens genauso suspekt. Als Wilson mit dem Motorrad an ihnen vorbeifuhr, rief ihm einer, ein Typ mit freiem Oberkörper, so etwas wie »Psycho!« nach. Wilson wendete wieder. Als er erneut vorbeifuhr, kommentierte derselbe Typ: »Sogar die Spinner sind heute zum Spielen draußen«, und die anderen lachten. Wilson wendete erneut und fuhr direkt auf ihn zu. Er zögerte keine Sekunde, wich auch nicht aus und verfehlte den halbnackten Typen nur, weil der zur Seite sprang. Der Typ rappelte sich auf und schrie: »Ein Tag Freigang von der Klapse, was, Arschloch?« Wilson ließ das Motorrad liegen, rannte auf den Typen zu, sprang hoch und rammte ihm den Kopf gegen die Stirn. Der Typ stand einen Moment wie benommen da, dann sackte er einfach in sich zusammen. »Er hat ihn k.o. geschlagen«, rief jemand. Wilson war noch einmal an den Schaukeln vorbeigekommen, und ich hatte sein Gesicht gesehen.
Mir war klar, warum der Typ ihn als Verrückten bezeichnete – das taten alle. Etwa ein halbes Jahr vorher hatte die Polizei kommen müssen, weil Wilson bei den Nachbarn die Fenster eingeschlagen hatte. Bei drei Häusern hintereinander. Eine Scheibe nach der anderen hatte er mit bloßen Fäusten eingeschlagen, brüllend, mitten in der Nacht. Als es vorbei war, kam Mr Pascall, der gleich nebenan wohnte, nach draußen. Er fand Wilson splitternackt auf der Straße vor, heulend, Hände und Arme voller Blut. Wilson hatte zu ihm hochgeschaut und gesagt: »Sie rufen jetzt wohl besser die Bullen.« Kurz nach der Sache am Sun Bowl hörten wir, er sei in einen missglückten Raubüberfall verwickelt gewesen, bei dem auch ein Tankstellenmitarbeiter gefesselt worden sei. Manche behaupteten, Wilson hätte den Fluchtwagen gefahren. Irgendwas musste er jedenfalls gemacht haben, denn danach verschwand er für ein paar Jahre, und kein Mensch wusste, wohin. Seit er wieder da war, tauchte er häufig auf Partys auf, suchte die Gesellschaft von Jugendlichen, die kaum älter waren als ich, war dabei, aber hielt sich am Rand.
»Vielleicht hat sich Ellen ja versteckt, als sie das Motorrad gehört hat, weil sie Angst vor Wilson hatte.«
»Du kennst ihn doch gar nicht. Ich ruf dich an, wenn sie hier ist.«
Ich sah weiter fern, den Ton auf leise gestellt. Gerade fing