Licht zwischen den Bäumen. Una Mannion
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Читать онлайн книгу Licht zwischen den Bäumen - Una Mannion страница 10
Am Ende hatte Sage Ellen nach Hause gebracht. Ich hatte sie angerufen und gebeten, zu den Bouchers zu kommen und etwas Kleidung zum Wechseln mitzubringen. Es war schon fast Mitternacht, als Sage eintraf. Sie trug ihre abgeschnittenen Jeans-Shorts und ein verwaschenes T-Shirt mit dem Zungen-Logo der Rolling Stones – ihrer Lieblingsband. Sage hatte langes, lockiges goldblondes Haar, das in Stufen geschnitten war, und ein paar Sommersprossen auf der Nase. Ihre Schneidezähne zeigten leicht nach innen, ein kleiner Schönheitsfehler, den jeder andere sicher mit einer Zahnspange behoben hätte. Aber sie mochte ihre Zähne. »Die gehören zu meiner Persönlichkeit«, sagte sie. Jetzt, wo sie da war, fühlte auch ich mich wieder sicher. Wir erzählten ihr, was passiert war, und Sage hörte zu und hielt dabei die ganze Zeit Ellens Hand. Sie wusste, was zu tun war. Sie ließ Ellen alle Gliedmaßen bewegen, um sicherzugehen, dass nichts gebrochen war. Dann stellte sie Fragen, auf die ich gar nicht gekommen wäre.
»Ellen, ich weiß, das ist jetzt schwer, aber hat dir der Mann in die Unterhose gefasst?«
Ellen schüttelte den Kopf.
»Bist du sicher? Hat er dich gezwungen, ihn irgendwo anzufassen?«
Wieder schüttelte Ellen den Kopf.
»Gibt es sonst noch etwas, was du uns nicht erzählt hast und was dir Angst macht?«
»Nein. Ganz sicher nicht.«
Sage sagte ihr, es werde alles gut werden, und für einen Moment glaubte auch ich daran. Ellen lehnte den Kopf an Sages Schulter.
»Sie kann unmöglich nach Hause laufen, Libby«, sagte Sage. »Entweder du erzählst Mrs Boucher alles, wenn sie wiederkommt, oder ich rufe Charlotte an.«
»Nein. Keine Eltern. Das macht es nur noch schlimmer. Ich kümmere mich drum.« Ich rief zu Hause an, und Marie nahm sofort ab.
»Ich bin’s.«
»Mom ist gerade weg«, sagte Marie. »Wahrscheinlich fährt sie sie jetzt doch suchen.«
»Ellen ist hier.«
»Was? Oh, Gott sei Dank!«
»Ja. Aber ihr ist etwas passiert. Es geht ihr gut, aber sie kann nicht nach Hause laufen.«
»Ich organisiere was. Mach sie startklar.«
Wir hatten noch keine zwanzig Minuten gewartet, als oben an der Einfahrt Scheinwerfer auftauchten und sich dem Haus näherten. Ich geriet in Panik. Was, wenn das Mrs Boucher war? Wie sollte ich ihr erklären, dass Sage und Ellen hier waren? Eine Autotür schlug zu, die Scheinwerfer blieben an, und eine bullige Gestalt trat in den Lichtkegel der Außenbeleuchtung. Ein Mann. Er klopfte leise. Ich schaute nach draußen. Breite Schultern. Ich erkannte das dunkle Haar, die Wildlederjacke mit den Fransen. Es war Wilson McVay mit dem Buick seines Vaters. Ellen war fertig, sie trug Sages Kleider, und Sage hielt ihre Schuluniform in der Hand. Ich öffnete die Haustür, und Wilson blieb auf der Schwelle stehen und musterte uns.
»Ihr seid dann wohl die Florence Nightingales vom Dienst«, sagte er.
»Hallo, Wilson«, sagte Sage. Sie führte Ellen zur Tür.
»Ja, hallo«, sagte ich.
»Das ist Ellen«, sagte Sage.
»Guten Abend, Miss Ellen.« Wilson verbeugte sich leicht. »Ihr Taxi wartet schon.« Ellen musste grinsen. Wilson roch nach Leder, Rasierwasser und einer Spur Alkohol. Ellen und Sage gingen mit ihm zum Wagen, und ich wedelte währenddessen mit der Tür, damit sich sein Geruch verflüchtigt hatte, wenn Mrs Boucher nach Hause kam.
Dann sah ich die Rücklichter zwischen den Bäumen verschwinden. Wie war Marie bloß darauf gekommen, Wilson einzuspannen, und wie hatte ich, nach allem, was passiert war, Ellen zu ihm ins Auto steigen lassen können? Im Bad wischte ich das Waschbecken und den Boden sauber, legte die Badematte an ihren Platz zurück und stopfte die benutzten Handtücher in die Waschmaschine.
Es war fast zwei Uhr, später als sonst, als Mrs Boucher nach Hause kam. Schweigend fuhr sie mich bis zu unserer Straßenecke. Sie wirkte müde und abwesend, ließ beim Fahren das Fenster offen, damit sie rauchen konnte.
»Hast du nächsten Freitag wieder Zeit?«, fragte sie, bevor ich ausstieg.
»Ja, das wäre toll. Vielen Dank.«
Die Hintertür war nicht abgeschlossen. Ich schlich die Treppen hinauf. Als ich in unser Zimmer kam, waren Marie und Ellen noch wach. Sage und Ellen waren ebenfalls an der Straßenecke aus Wilsons Auto gestiegen und zusammen bis zu unserem Haus gelaufen. An der Hintertür hatte Marie gewartet und Ellen in Empfang genommen, Sage war wieder zur Straßenecke gegangen, wo Wilson wartete, Marie hatte Ellen direkt nach oben ins Bett gebracht. Ich kroch auf meinen Teil des Ausziehbetts, und so lagen wir alle im Dunkeln da.
»Weiß Mom, dass Ellen wieder da ist?«, fragte ich.
»Sie muss uns wohl gehört haben, denn als wir das Licht ausgemacht hatten, vor zwanzig Minuten etwa, ist sie reingekommen. Sie hat sich an Ellens Bett gestellt, aber kein Wort gesagt.«
»Sie hat mir die Bettdecke etwas höher gezogen«, sagte Ellen.
Ich sah auf Ellens Bett herunter. Im Dunkeln konnte ich ihre Stirn leuchten sehen, den Umriss ihres Gesichts ausmachen, aber nicht erkennen, dass sie verletzt war. Ein paar Minuten schwiegen wir alle.
»Was für ein gottverdammter Scheißkerl«, sagte Marie. »Kastrieren sollte man den. Hast du irgendwas vom Nummernschild gesehen, Ellen? War er aus Pennsylvania?«
Schlafen konnten wir nicht. Ich spürte, wie wir alle wach im Dunkeln lagen, und etwa jede Stunde fragten Marie oder ich: »Bist du noch wach, El?« oder »Tut dir was weh?« Ich musste an das Kunstcamp denken, an den Brief, den Miss LeBlanc ihr geschrieben hatte.
»Warum hast du Mom nichts von Miss LeBlancs Brief erzählt, Ellen? Ich glaube, sie weiß gar nicht, wie gut du bist.«
»Das hätte doch nichts geändert. Sie hätte mich trotzdem nicht fahren lassen.«
Im Königreich blühte um mich herum der Berglorbeer, die Blüten sahen aus wie breite Tassen, und ich pflückte eine aus ihrer Dolde am Zweig heraus. Die weißen Blütenblätter gingen leicht ins Rosige und hatten burgunderrote Sprenkel. Blüten und Pollen des Berglorbeer sind giftig, aber seine Blätter haben eine heilende Wirkung. Die Cherokee setzten die Blätter bei Verletzungen als Schmerzstiller ein und rieben sie auf die Haut, um Arthritis zu lindern.
Ich hörte einen leisen Pfiff. Sage. Ihre silbernen Armreifen klimperten beim Gehen, und durch eine schmale Lücke oben an der Böschung sah ich sie den Weg entlangkommen. Am krummen Baum bog sie ab, und kurz darauf trat sie von hinten in unser Rund. Bevor sie sich setzte, zog sie einen Frischhaltebeutel mit zwei Zigaretten aus dem Rucksack. Sie schob sich eine davon zwischen die Lippen und zündete sie an, dann hielt sie mir den Beutel hin. Ich schüttelte den Kopf. Sage ließ den Rauch zuerst ihren Mund füllen und sog ihn dann tief ein, so rauchte sie immer. Charlotte machte es genauso.
»Wie geht’s ihr?«
»Marie