Licht zwischen den Bäumen. Una Mannion
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Zu Hause machten wir uns vor unserer Mutter über Bill lustig. Wir schrieben ihm alle möglichen Berufe zu: LKWFahrer, Klempner, Milchmann, Vertreter für alles von der Bibel bis zum Steakmesser. Wir schnappten uns Thomas’ Walkie-Talkies und spielten »Bill«, wann immer unsere Mutter in Hörweite war.
»Breaker, Breaker 10-4, hier spricht Fettkloß Bill. Verstehen Sie meinen Codenamen? Ich bin so verdammt fett, ich schaffe es nicht mal mehr aus meinem Laster, um meine Tochter zu sehen.«
»Roger, Fettkloß Bill. Sie sind echt potthässlich. Und wie ich höre, auch als Vater eine Niete.«
Dafür benutzten wir einen echten Hinterwäldlerakzent. Beatrice sah uns zu und lachte mit, als würde sie gar nicht merken, dass wir uns über ihren Vater lustig machten. Wenn wir im Dunkeln an einem Laden mit blinkendem Neonschild vorbeifuhren, in dem der Name Bill vorkam, riefen wir alle: »Ist er das? Ist das Bill?« Egal, ob es sich um Bill’s Carpets, Uncle Bill’s Pancake House oder Whiskey Bill’s Bar and Grill handelte. Einmal sahen wir ein Plakat, das für einen Bill Bowie als künftigen Sheriff warb. Wir wollten von unserer Mutter wissen: »Ist er das? Will Bill jetzt Sheriff werden?« Sie gab keine Antwort, und wir deuteten ihr Schweigen als Zeichen. Daraufhin fingen wir an, für seinen Gegner zu trommeln, wir entwarfen Plakate und Slogans für ihn, marschierten vor ihrer Zimmertür auf und feuerten den anderen Mann an. Beatrice machte mit. Sie wusste nicht, ob der Bill, den sie kannte, als Sheriff kandidierte, wollte aber trotzdem nicht, dass er gewann.
Meistens schenkte Mom uns keine weitere Beachtung. Manchmal lachte sie über unsere Rateversuche, wenn wir wieder mit einem neuen Bill-Szenario ankamen, zum Beispiel, als Thomas spekulierte, Bill sei vielleicht der Mann, der bei McDonald’s unsere Bestellung entgegengenommen habe. Ihm war sein Namensschild aufgefallen: William.
Inzwischen spekulierten wir aber kaum noch über Bill, vor allem nicht vor unserer Mutter. Sie wirkte zu erschöpft dafür. Ich erwähnte Bills Namen so selten wie möglich, nicht einmal mehr vor den anderen, weil ich das Gefühl nicht loswurde, Dad zu hintergehen, wenn ich darüber nachdachte oder es als gegeben hinnahm. Er hatte gewusst, dass Beatrice nicht seine Tochter war, dass sie gar nicht seine Tochter sein konnte, trotzdem hatte er sich immer so verhalten, als könne sie nur von ihm sein. Mir war klar, dass er nie auf die Idee gekommen war, wir könnten Bescheid wissen. Es jetzt, wo er tot war, laut auszusprechen, grenzte an Verrat.
»Ich habe fünf Sprösslinge«, hatte er immer gesagt. »Vier starke Frauen und einen kleinen Mann.« Und wir wurden bei seinen stolzen Worten immer ein Stückchen größer, ob er sie nun vor einer Kellnerin im Diner äußerte, vor einem Kunden, dessen Rasen er mähte, oder vor einem anderen Gast, der in einem der irischen Pubs, in die er uns manchmal mitnahm, sein Bier trank.
Marie und Thomas meinten, schon lange bevor Bill auf der Bildfläche erschien, sei es zwischen Mom und Dad nicht mehr gut gelaufen, sie hätten sich längst getrennt und ich läge falsch, wenn ich das, was mit Dad passiert war, mit Bill in Verbindung brachte. Dad bewahrte einen Teil seiner Gerätschaften noch in unserer Garage auf, und es kam vor, dass er uns morgens abholte, um uns zur Schule zu fahren, aber er übernachtete nicht mehr bei uns. Manchmal wusch er sich in der Waschküche neben der Garage, vor allem, wenn Mom nicht zu Hause war. Hinter dem Fahrersitz seines Pickups lag immer ein Stück in Papier gewickelte Seife bereit. Er verwendete grundsätzlich die Marke Coast, sie war hellblau und roch wie er. Wir verwendeten parfümfreie Seife von Dove. Manchmal kam ich abends wieder ins Haus, nachdem ich mich irgendwo auf dem Berg herumgetrieben hatte, und in der Waschküche roch es nach seiner Seife.
Damals zog er viel herum, und ich weiß gar nicht, ob er eine feste Wohnung hatte oder einen Ort, an den er regelmäßig zurückkehrte. Er hatte sich ein Zeltdach für seinen Pickup besorgt, und wenn wir morgens auf die Ladefläche kletterten, um uns zur Schule fahren zu lassen, war die Schaumstoffmatratze noch ausgerollt. Er habe das Zelt gekauft, damit wir auf der offenen Ladefläche nicht nass und vom Wind zerzaust würden, sagte er. Inzwischen war ich mir da nicht mehr so sicher. Es fiel mir schwer, es auch nur auszusprechen, Marie oder Thomas zu fragen: »Glaubst du, er hat öfter im Pickup übernachtet?«
Unsere Mutter sorgte dafür, dass Beatrice immer in ihrer Nähe war und hielt sie so auch ein bisschen von uns fern. Beatrice war nie mitgekommen, wenn Dad uns auf die Ladefläche des Pickups packte und mit uns zu Burger King fuhr, wo es riesige Milkshakes gab, oder ins Diner, wo wir alle Kaffee tranken und ohne Aufpreis nachgeschenkt bekamen. Sie war auch noch zu klein gewesen, um ihm bei der Arbeit zu helfen. Das eine Mal, als wir nach New York gefahren waren, wo er ein neues Leben anfangen wollte, und bei ihm übernachtet hatten, hätte Beatrice eigentlich dabei sein sollen, aber uns war klar gewesen, dass unsere Mutter das nie zulassen würde.
Beatrice wurde anders behandelt, aber wir nahmen es ihr nicht übel. Wir beneideten sie nicht darum, mit unserer Mutter in einem Zimmer zu hocken oder aus dem Bett geholt zu werden, um zu einem Mann zu fahren, den wir anderen gar nicht kannten und den ich wider besseres Wissen für alles verantwortlich machte, was passiert war. Wenn Beatrice von den Besuchen bei Bill zurückkehrte, war sie immer sehr still. Sogar noch, wenn wir ihr ein Eis spendierten.
»Ich mag seine Hände nicht«, hatte sie mir eines Nachts ins Ohr geflüstert, als wir zusammen im Bett lagen.
»Wessen Hände?«
»Die von Bill.«
»Und warum nicht?« Ich fand es verstörend, dass sie das sagte. Sie war mitten in der Nacht zu mir ins Bett gekrochen, das machte sie hin und wieder, dann kletterte sie über Ellen hinweg, die auf der unteren Betthälfte schlief. Jetzt lag sie da, eingekuschelt und zu mir gedreht. Sie hatte die Angewohnheit, sich dicke Haarsträhnen um den Finger zu wickeln. Wir zogen sie immer damit auf, dass ihre Locken eigentlich daher kamen. Manchmal, wenn ich neben ihr lag, machte sie das unwillkürlich auch mit meinen Haaren. Marie meinte, an den Ticks, die Beatrice entwickelte, könne man sehen, wie belastet sie sei.
»An einer Hand fehlt ihm vorne an den Fingern ein Stück. Die sind einfach nur ganz dick und rund an den Knöcheln.«
»Oh.« Ich schwieg. Ich wollte nicht zu viel fragen, weil Beatrice sich immer gleich aufregte, wenn wir sie nach diesen Besuchen ausquetschten. Marie meinte, es sei doch das Letzte, dass Mom einem Kind ein solches Geheimnis aufbürdete, ihr verbot, mit ihren Geschwistern darüber zu reden, und sie mitten in der Nacht zu jemandem schleppte, den sie gar nicht sehen wollte. Nach Dads Tod hatte Mom sich ein gutes halbes Jahr nicht mehr mit Bill getroffen. Er rief nicht mehr bei uns an, und sie schlich sich auch nicht mehr davon. Aber gleichzeitig war es, als gäbe es sie gar nicht mehr. Marie und Thomas kochten für uns, und Mom lag entweder im Bett oder war bei ihrer Schicht im Krankenhaus, monatelang tat sie nichts anderes als schlafen, arbeiten und wieder schlafen. Ihre Augen waren rot verschwollen. Trauer ist anstrengend, hatte Gwen gesagt, die Therapeutin, zu der wir dann doch nicht gegangen waren. Ich hätte sie gern verbessert. Sie sah das falsch. Unsere Mutter hatte sich von unserem Vater scheiden lassen. Sie hatte sich für jemand anderen entschieden, den sie vor uns geheim hielt. Auch wenn es ihr inzwischen besser ging und Bill ganz offensichtlich wieder aktuell war, schien es doch, als könnte sie uns, ihren vier älteren Kindern, nicht mehr in die Augen sehen.
Ich überlegte, ob wir irgendwelche Männer kannten, denen Teile der Finger fehlten. Wir vermuteten, dass Bill nicht