Licht zwischen den Bäumen. Una Mannion

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Licht zwischen den Bäumen - Una Mannion

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atmete aus. Ich holte Luft: Der Rauch war frisch und kühl. Jack Griffith hatte Sage und mir erzählt, Mentholzigaretten enthielten Glaswolle und seien das Schlimmste, was man rauchen könne. Vorletzten Sommer hatten Thomas und er uns erwischt, als wir hinter dem Haus rauchten. »Was für’n Streber«, hatte Sage gesagt, als die beiden wieder verschwunden waren. Sage war genauso alt wie die beiden Jungen, Jack ging in ihre Klasse. Sie fand ihn nervig. »So ein eingebildeter Tugendbolzen«, sagte sie immer.

      »Weiß eure Mutter es schon? Ich hoffe, sie fühlt sich richtig schlecht.«

      »O Gott, nein. Sie darf das nie erfahren. Sie würde Ellen allein schon dafür umbringen, dass sie getrampt ist. Wir haben alle ausgemacht, ihr kein Wort zu sagen.«

      Sage zitierte eine Zeile aus »Jumpin’ Jack Flash«, und ich gab einen Laut von mir, der kein Lachen war.

      Es gab Augenblicke, da hielt ich meine Mutter durchaus für eine alte Vettel aus der Hölle, aber ich konnte es nicht leiden, wenn andere so etwas sagten.

      Sage war besessen von Mick Jagger, und wir machten uns schon länger einen Spaß daraus, Textzeilen von den Stones zu zitieren, wenn sie gerade zur Lage passten. Im September sollten die Stones in Philadelphia spielen. Sage wollte hin.

      Sie zog eine Salbentube hervor. »Neosporin, für die Schrammen und die anderen Verletzungen. Das haben wir auch gestern Nacht schon verwendet.« Dann reichte sie mir noch ein kleines braunes Fläschchen mit Pillen. »Und das sind die Antibiotika, die ich wegen der Verbrennungen bekommen habe. Die zweite Dosis, die ich dann nicht mehr nehmen musste, aber ich weiß, dass sie gut für die Haut sind und gegen Entzündungen helfen.« Letzten Oktober hatte Sage mit ein paar anderen versucht, oben am Wasserturm ein kleines Lagerfeuer zu machen. Sie hatte Benzin auf den Holzstapel gegossen, und ein paar Spritzer waren auf ihrer Daunenjacke gelandet. Als sie dann ein Streichholz anzündete, war es ihr praktisch in der Hand explodiert. Die Flammen wurden sofort von irgendwem gelöscht, aber niemand hatte Hilfe geholt. Sage war mit verbrannten Händen und Armen zurück nach Hause gelaufen, und ihr Vater hatte sie ins Krankenhaus gefahren. An den Händen war alles bestens verheilt, nur an der weichen Unterseite der Arme, wo die Jacke mit der Haut verschmolzen war, hatte sie ein paar runzlige Narben zurückbehalten. Für Sage war das wie mit den schiefen Zähnen; sie sah die Narben nicht als Makel, sondern als in den Körper eingeschriebene Erfahrungen, Markierungen, die zu ihrer ganz persönlichen Geschichte beitrugen. Sie wollte keine Zahnspange, und sie mochte ihre Narben.

      »Valium konnte ich keins finden. Ich habe überall gesucht. Aber ich weiß auch gar nicht, ob ihr Ellen so was geben solltet. Und ich finde immer noch, wir sollten Grady davon erzählen. Er kann sie untersuchen.«

      »Nein, Sage. Bitte. Du darfst es keinem erzählen. Niemals.«

      »Herrgott, Libby – Ellen sieht aus wie neun. Dieser Typ, der sie mitgenommen hat. Wir müssen das irgendwem erzählen.«

      Aber ich wollte nicht, dass Grady Adams davon erfuhr. Er hatte ohnehin schon eine Abneigung gegen meine Mutter, und ich wollte nicht, dass er noch mehr mitbekam. Ich hatte Sages Vater wirklich gern. Er hörte klassische Musik, sammelte Jazz-Platten. Im Keller hatte er einen Hobbyraum mit einer Hausbar, und manchmal hatte ich durch den Türspalt beobachtet, wie er, zurückgelehnt in einem Drehsessel aus Leder, mit geschlossenen Augen der Musik lauschte. Er hatte einen weichen, gedehnten Südstaatenakzent und sprach immer mit mir, als würde es ihn wirklich interessieren, was ich zu sagen hatte. Außerdem schien er ein wenig über den Dingen zu schweben. Charlotte war ganz anders, nervös und elegant. Sie äußerte ihre Ansichten unverblümt, liebte gute Geschichten und scheute sich auch nicht vor Übertreibungen, um sie etwas farbiger zu gestalten. Sage meinte, sie habe einen Hang zur Dramatik. Meine Mutter meinte, Charlotte Adams könne auch als Fluglotsin anheuern, so wie sie beim Reden immer mit den Armen wedelte und die Hände bewegte.

      »Nein. Wir erzählen es keinem. Bitte, Sage. Versprich es mir.«

      Sage stand auf, streckte mir die Hand hin und zog mich auf die Füße. »Komm, wir sehen nach Ellen.«

      Wir gingen den Weg zurück, ringsum fiel Sonnenlicht durch das Blätterdach. Umgestürzte Bäume lagen übereinander, bei einigen war der Stamm komplett durchgebrochen und hatte wie klaffende Wunden schartige Stümpfe zurückgelassen. In meiner Faust hielt ich die Salbe und die Tabletten. Ich dachte an meine Mutter, die auf der Suche nach Ellen die menschenleeren Straßen abgefahren war. Ob sie wohl auch am Fenster ihres Zimmers gesessen und gewartet hatte? Ob sie vielleicht gesehen hatte, wie Sage Ellen nach Hause brachte? Ich dachte daran, wie sie versucht hatte, Ellen besser zuzudecken. Und obwohl ich immer noch böse auf sie war, tat es mir doch weh, so an sie zu denken.

       5

      Wilson McVay stand in meinem Zimmer. Er lehnte so entspannt an der Kommode vor dem Fenster, als wäre er hier ein ständiger Gast. Er trug schwere schwarze Stiefel, eine schwarze Jeans mit einem schwarzen Harley-Davidson-Gürtel und ein schwarzes T-Shirt. Sage und ich hockten auf dem unteren Teil des Ausziehbetts. Hinter uns lehnte Ellen von Kissen gestützt an der Wand. Sie war immer noch sehr blass, und um ihren Mund lag ein bläulich-schwarzer Schatten. Uns gegenüber saß Marie im Schneidersitz auf ihrem eigenen Bett, in schwarzem Rock und T-Shirt; von ihrem einen Ohr baumelte ein langer Strassohrring.

      Abgesehen von Marie und dem Siouxsie and the Banshees-Poster hinter ihr an der Wand war das Zimmer hauptsächlich in Rosa gehalten. Wilson wirkte darin komplett fehl am Platz. Er war vielleicht neunzehn oder zwanzig, sah aber aus wie ein erwachsener Mann, jemand, der sich täglich rasieren musste. Seine Anwesenheit veränderte unser Zimmer, als hätte etwas Dunkles, Drohendes seinen Schatten mitten in unser Herz geworfen. Ich wollte ihn hier nicht haben.

      Sie hörten eine Kassette, die Wilson Marie mitgebracht hatte, und mir wurde klar, dass ihre Verbindung in der Punkmusik lag. Wahrscheinlich hatten sie sich auf einem Konzert kennengelernt. Vielleicht waren sie sogar zusammen hingegangen. Begleitete Wilson sie zu so was? Er sah überhaupt nicht aus wie ein Punker, aber mir war klar, dass diese Musik ihn ansprechen musste, der Zorn darin. Am Berg hörten alle Rock oder Heavy Metal, und ob man Creedence Clearwater oder Black Sabbath lieber mochte, entschied darüber, wer man war und mit wem man seine Zeit verbrachte. Meine Schwester war meines Wissens die Einzige, die auf Punk stand. Bei den anderen Mädchen der Schule galt sie als Freak. Jetzt unterhielt sie sich mit Wilson über Bands, die sie beide kannten oder sogar schon live gesehen hatten und von denen Sage und ich keine Ahnung hatten: Flipper, Killing Joke, The Stickmen. Marie erzählte Wilson, dass sie beim Auftritt einer Band im Keller eines DJs in West Philly gewesen sei und auf die Waschmaschine habe klettern müssen, um überhaupt etwas zu sehen. Sie redeten auch darüber, wie es im Hot Club zuging.

      »Kommt man da nicht erst ab einundzwanzig rein?«, fragte ich, aber Marie ignorierte mich. Seit Weihnachten fuhr sie oft in die Stadt, ging in Clubs und sah sich Bands an. Unserer Mutter erzählte sie, sie übernachte bei ihrer Freundin Nancy. Nach allem, was ich wusste, waren die zwei schon seit der Zehnten nicht mehr befreundet. In der Schulcafeteria verzog sich Marie immer ganz hinten ans Fenster, allein mit einem Buch. Nancy saß mit den anderen Mädchen zusammen, die genauso lange fettige Haare hatten wie sie und meistens entweder auf den Boden oder auf Lernkarten für die Uni-Zulassungsprüfung starrten. Soweit ich wusste, hatte Marie an der Schule überhaupt nur eine Freundin gehabt, Rae. Sie hatte letztes Jahr ihren Abschluss gemacht, studierte jetzt am Moore College for Art and Design und hatte ihre eigene Wohnung im Zentrum von Philadelphia.

      Im Lauf dieses Jahres hatte Marie ihre Grateful Dead-Batikshirts und die hellen Jeans ausgemistet und sich stattdessen schwarze Second-Hand-Klamotten, Netzstrümpfe, Doc Martens und Strassschmuck zugelegt. Sie fuhr nach Philadelphia, um sich mit Rae zu treffen und mit ihr in der South Street, im Zipperhead und im Keller von Rage Records an der Third Street rumzuhängen, wo es

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