Licht zwischen den Bäumen. Una Mannion

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Licht zwischen den Bäumen - Una Mannion

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musst du hin?‹, und ich hab ihm, gesagt, zum Valley Forge Mountain und dass er mich an der überdachten Brücke rauslassen kann. ›Klar‹, hat er gemeint. Aber wir waren noch gar nicht weit gekommen, da legt er mir plötzlich die Hand aufs Bein, ungefähr am Knie, und hat es so leicht gerieben.«

      Sie schwieg kurz.

      »Ich wusste nicht, was ich machen soll. Ich hab nichts gesagt. Er ist einfach weitergefahren, mit der Hand auf meinem Bein, und dann hat er die Hand nach oben geschoben. Bis ganz nach oben am Bein. Ich konnte mich nicht bewegen, um seine Hand wegzustoßen, obwohl sie schon so weit oben war, wie’s überhaupt geht.«

      Ellen holte tief Luft. Ihre Stimme war fest, sie schluchzte auch nicht, aber aus ihren Augen liefen Tränen.

      »Als das Auto auf die überdachte Brücke zufuhr, hab ich gesagt: ›Sie können jetzt hier halten, dann steige ich aus‹, aber er hat nicht geantwortet. Er ist einfach weitergefahren. Da wusste ich, er wird mich nicht rauslassen. Und als wir an dieser schlimmen Kurve waren, kurz vor der Brücke, wo er wirklich bremsen musste, bin ich rausgesprungen. Ich hatte die Hand schon am Türgriff, dann hab ich sie einfach aufgestoßen und bin rausgesprungen, ein bisschen gestolpert und hingefallen und auf die Fahrbahn gerollt.«

      Ich hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden, schwarze Punkte und silbrige Blitze tanzten am Rand meines Sichtfelds. Als ich wieder sprechen konnte, hörte sich meine Stimme an wie aus weiter Ferne.

      »Waren noch andere Autos unterwegs?«

      »Nein, aber er hat gleich vor mir gehalten. Ich konnte die roten Bremslichter sehen. Er ist ausgestiegen. Ich dachte, er will mich zurückholen, aber wahrscheinlich wollte er nur die Tür zumachen. Ich bin aufgesprungen und über die Straße in Richtung Bach gerannt. Die Uferböschung runter und direkt ins Wasser, kurz vor der Brücke. Es ging mir nur bis zur Taille, ich wollte darin weiterlaufen, aber da kam ich nur in Zeitlupe voran und bin immer wieder ausgerutscht. Die Steine waren total glitschig.« Sie sah auf ihr Kleid hinunter. Ich konnte den Rand erkennen, den das Wasser aus dem Bach darauf hinterlassen hatte, den Schlamm an ihren Kniestrümpfen. »Als ich am anderen Ufer war, bin ich durch den Wald gerannt, so schnell ich konnte, obwohl ich wusste, dass er mir gar nicht folgt.«

      »Warum bist du nicht runter nach Yellow Springs und hast dort an einem Haus um Hilfe gebeten?«

      Ellen schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Ich bin einfach nur in den Wald gerannt. Immer den Berg rauf, weil ich wusste, da findet er mich nie. Ich bin einfach immer weitergelaufen. Und dann hab ich endlich Lichter gesehen. Eins von den Häusern hinten am Hamilton Drive.«

      »Da warst du schon fast zu Hause. Warum bist du nicht nach Hause gegangen?«

      Ellen zuckte die Achseln. »Mir ist wieder eingefallen, dass du freitags immer hier bist. Mom bringt mich um, wenn sie hört, dass ich getrampt bin.« Sie wischte sich mit dem unverletzten Handrücken die Nase. »Und außerdem bin ich immer noch sauer.«

       4

      So früh am Morgen war es im Schatten der Bäume noch kühl. Ich blieb stehen, sog den Geruch nach Lehm und feuchter Erde ein. In der Ferne summte eine Kreissäge ihre unmelodische Tonleiter, mal schrill, mal dumpf, und irgendwo wurde ein Rasenmäher angeworfen. Es war Samstag, der erste Tag der Sommerferien, und der vertraute Wald und die alltäglichen Arbeitsabläufe da draußen in der Welt beruhigten mich, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Ich hatte kein Auge zugemacht. Lichtstrahlen fielen schräg zwischen den Bäumen hindurch, vor mir in der Luft schwebte glitzernder Staub. Ich ging hindurch, tiefer in den Wald hinein.

      Ich hatte mich mit Sage im Königreich verabredet, sobald sie konnte, und ihr vorher durchgegeben, was wir laut Marie brauchten: Antibiotika und Valium. Es würde ein Weilchen dauern, bis Sage das Gewünschte unbemerkt aus der Praxis ihres Vaters schmuggeln konnte. Grady Adams war Arzt, seine Praxis befand sich direkt neben dem Wohnhaus. Charlotte, Sages Mutter, war seine Sprechstundenhilfe. Beide stammten aus dem Süden. Sage nannte sie immer beim Vornamen, wenn sie von ihnen erzählte. »Gestern hatten Grady und Charlotte Gäste zum Abendessen, und Mrs Nelson hat zu viel getrunken und versucht mit Grady zu füßeln, während Charlotte und ich direkt daneben saßen. Vor unseren Augen!« So redete Sage, gab immer wieder kleine Dramen zum Besten, die ihre Eltern spannend wirken ließen. Sie erzählte von ihnen wie von zwei schrulligen Originalen, mit denen sie befreundet war. Darum beneidete ich sie. Wenn ich an diese Familie dachte, an Grady, Charlotte, Sage und ihre Brüder, dann immer wie durch einen Schleier aus Glück; ihr Leben leuchtete, sogar, wenn Sage das Gegenteil behauptete.

      Die frühe Morgensonne malte Flecken auf den Waldboden, erhellte die Tüpfelfarn-Büschel und das dicht wuchernde Moos. Ich gab mir Mühe, langsamer zu gehen und nachzudenken. Mom wird nichts merken. Sie hat Thomas zum Schwimmtraining gebracht. Beatrice ist mitgefahren. Marie ist bei Ellen. Sie wird schon wieder, das sagte ich mir immer wieder stumm vor. Trotzdem hatte ich Angst. Es ging Ellen nicht gut. Auch sie hatte nicht geschlafen. Heute früh war sie schwach und benommen gewesen, und Marie meinte, ihr Puls und ihr Atem gingen viel zu schnell. Sie vermutete, das müsse der Schock sein, und sagte, wir bräuchten Valium, damit Ellens Körper wieder zur Ruhe käme, und Antibiotika, damit die Wunden sich nicht entzündeten. Ich machte mir immer noch Sorgen um mögliche innere Verletzungen, die wir nicht sehen konnten.

      Ich ging über den Horseshoe Trail bis zum Königreich, einer geheimen Festung, die Sage und ich uns vor ein paar Sommern gebaut hatten. Direkt vor mir stand der krumme Baum, die Markierung, an der wir den Weg verlassen mussten, um hintenrum zum Königreich zu gelangen. Das hatten wir uns angewöhnt, damit uns nie ein Abdruck oder eine Fußspur verraten würden. In unserer Vorstellung war der krumme Baum einer von denen, die den Indianern auf ihren Pfaden als Wegweiser gedient hatten, um gute Jagdreviere zu kennzeichnen oder weichen Boden, auf dem man schlafen konnte. Es war eine Eiche, erst ganz gerade gewachsen, aber dann beschrieb ihr Stamm plötzlich für einen knappen Meter einen rechten Winkel, um danach wieder gerade nach oben zu wachsen. Schon bevor es das Königreich gab, hatte Dad mir diesen Baum gezeigt. Er meinte, es könne sich durchaus um einen Wegweiser handeln, vielleicht sei aber auch ein größerer Baum auf die noch kleine Eiche gestürzt und dann im Lauf der Zeit verrottet oder zerfallen. Der junge Baum hatte überlebt, aber diese merkwürdige Form zurückbehalten.

      Das Königreich war eine kleine Lichtung knapp anderthalb Meter oberhalb des Wegs, ein naturgegebenes Rund inmitten einer Gruppe Roteichen und dichter Berglorbeersträucher. Drinnen sorgte dunkelgrünes Moos für einen natürlichen Teppich. Sage und ich hatten ein tiefes Loch ausgehoben, in dem wir einen großen Koffer mit unserer Ausrüstung aufbewahrten: Taschenlampen, Batterien, Konserven, Schlafsäcke und Kissen – unser ganz persönlicher kleiner Atombunker. Für das Loch hatten wir einen Monat gebraucht, weil wir uns durch dichtes Wurzelwerk arbeiten mussten. Niemand wusste davon, bis auf Ellen, und das auch nur, weil ich an dem Tag, als wir den Koffer hergeschafft hatten, für sie zuständig war. Ich hatte auch eine von Dads Planen mitgebracht, die er beim Laubrechen verwendete; sie war auf einer Seite wasserabweisend und hatte vorgestanzte Löcher. Mit einem Hammer hatten wir Haken in die umstehenden Eichen getrieben, sodass wir uns jederzeit ein Dach basteln konnten, falls wir es einmal brauchten. Den Kofferbunker hatten wir mit einem Brett, Laub und Moos abgedeckt. Er war schon seit einigen Jahren nicht mehr geöffnet worden, allmählich zogen sich Wurzeln darüber. Wir hatten auch noch andere Vorratslager, flachere Löcher für Zigaretten und Streichhölzer oder Bier. Im Königreich redeten wir, rauchten Charlottes Mentholzigaretten und hin und wieder hatten wir auch schon lauwarmes Yuenglingoder Rolling Rock-Bier aus der Flasche getrunken, das wir aus Gradys Kühlschrank unten im Hobbyraum stibitzten. Nachbarn kamen auf diesem Teil des Wanderwegs praktisch keine mehr vorbei, nur Wanderer, und die sahen wir vom Königreich aus immer rechtzeitig genug, um uns zu ducken und unsichtbar zu machen. Sollten wir jemals weglaufen müssen, würde uns niemand erwischen – wir kannten jede Wurzel, jede Bodenwelle. Ich hätte

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