Licht zwischen den Bäumen. Una Mannion
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Mrs Boucher hatte verschiedene Zeitschriften und Zeitungen abonniert, Bücherregale pflasterten die Wände. Auf dem Couchtisch lagen der Philadelphia Inquirer und die New York Times. Beide Titelseiten machten immer noch mit den Kindermorden von Atlanta auf. Ich versuchte die Artikel zu lesen, konnte mich aber auch darauf nicht konzentrieren. Am Morgen, auf der Fahrt zur Schule, hatte ich in den Radionachrichten davon gehört. Sämtliche Brücken von Atlanta wurden von der Polizei observiert, und letzte Woche hatten sie mitbekommen, wie auf einer der Überführungen über den Chattahoochee River ein Wagen hielt und kurz darauf ein Platschen im Wasser zu hören war. Der Fahrer war festgenommen worden, und zwei Tage später wurde flussabwärts eine Leiche angeschwemmt. Jetzt glaubten sie, den Mörder endlich zu haben. Ich betete, dass er es auch wirklich war. Mehr als zwanzig schwarze Kinder waren tot oder wurden noch vermisst. Ich hatte Angst, so allein im Haus der Bouchers. Es bestand fast nur aus Glas und war an den Hang gebaut, der hinter dem Haus steil abfiel, sodass ich hier im Wohnzimmer wirklich das Gefühl hatte, inmitten von Baumwipfeln zu schweben. Mir war klar, warum Mrs Boucher immer von ihrem Baumhaus sprach. Es gab überall Fenster und keine Vorhänge.
Ich beschloss, noch einmal bei Sage anzurufen, damit sie ihre Eltern doch um Hilfe bat, selbst wenn das hieß, dass sie die Polizei einschalten würden. Auf dem Weg zum Telefon in der Küche huschte vor einem der vorderen Fenster ein Schatten vorbei. Für den Bruchteil einer Sekunde sah ich etwas Weißes. Ich blieb stehen, hielt den Atem an. Ein Rascheln war zu hören. Dann ein Klopfen an der Scheibe. Ich blickte an mir herunter, auf mein weißes T-Shirt, überlegte, ob ich vielleicht nur mein eigenes Spiegelbild gesehen hatte. Es klopfte wieder. Da war eindeutig jemand am Fenster. Ganz lässig, als hätte ich keine Angst, ging ich zur Haustür, versteckte mich dahinter und wartete. Ich schaltete die Außenbeleuchtung ein, warf einen Blick nach draußen und schrie auf. Dann riss ich die Tür auf, und Ellen stolperte über die Schwelle.
»Mein Gott, Ellen!«
Ihr Gesicht war mit Blut und Erde verschmiert. Unter dem rechten Auge hatte sie eine offene Platzwunde. Der rechte Arm und das rechte Bein waren voller Schrammen, ihre ganze Seite gespickt mit Rollsplitt von der Straße. Ihr weißes Polohemd war mit Blut und Schlamm bespritzt.
»Ich bin aus einem Auto gesprungen.«
»Was? Was meinst du damit?« Ich schloss die Haustür, spürte, wie mir das Blut in den Kopf schoss, in meinen Ohren rauschte es wie ein Ozean. »Geht’s dir gut? Bist du irgendwo verletzt?« Meine Stimme klang viel zu laut.
»Glaub nicht. Weiß nicht. Ich bin hierhergelaufen. Nach Hause konnte ich so nicht.«
Ich muss ihre Wunden säubern. Das ist jetzt das Wichtigste. »Komm mit.« Ich führte sie nach unten, in das Bad, das Mrs Boucher für sich und ihren Besuch reserviert hatte. Ellens Trägerkleid und die Kniestrümpfe waren mit getrocknetem Schlamm verkrustet. So sanft wie möglich drückte ich sie auf die weißen Bodenkacheln, damit sie sich mit dem Rücken an den Schrank unter dem Waschbecken lehnen konnte. Sie zitterte. In Mrs Bouchers Bad war alles weiß und mit Monogramm versehen.
»Warte kurz.«
Ich rannte zum Wäscheschrank, schnappte mir ein paar braune Handtücher und eilte zurück. Ellen sah aus wie ein Gespenst, wie sie da in Mrs Bouchers Bad saß, das Gesicht bläulich-weiß, heller als das Waschbecken und der Unterschrank in ihrem Rücken. Die Adern an den Schläfen und auf der Stirn zeichneten sich ab, und die Linien der dunklen Venen unter ihren Augen und seitlich an den Wangen wirkten schwärzlich, als wäre ihre Haut durchsichtig geworden. Ich legte die weiße Badematte in die Wanne und breitete ein Handtuch auf dem Boden aus.
»Rutsch rüber.«
Ellen stemmte sich hoch, ich schob das Handtuch unter sie und legte ihr ein weiteres um die Schultern. Dann drehte ich das Wasser auf, stellte es warm und hielt einen braunen Waschlappen darunter.
»Ich bin ganz vorsichtig, versprochen.« Ich wrang den Waschlappen aus und berührte damit ganz sanft Ellens Gesicht, unter dem Auge, wo die Wunde noch immer blutete. Ellen schrak zusammen, zuckte zurück und schlug sich den Kopf am Schrank an.
»Autsch!«
»Lass mich das nur kurz säubern.« Ich tupfte ihr die Schrammen im Gesicht ab, wischte ihr den Dreck vom Kinn. Meine Hand zitterte. Sie ist aus einem Auto gesprungen. Ich hob das Handtuch an und betrachtete noch einmal ihren rechten Arm und ihr rechtes Bein. Beide waren abgeschürft. Die Schrammen waren nicht tief, dafür aber lang und von Dreck und Rollsplitt schwarz gesprenkelt. Ich schaute in Mrs Bouchers Medizinschrank über dem Waschbecken und entdeckte ein Fläschchen mit Wasserstoffperoxid.
»Schau weg.« Ellen wandte das Gesicht ab, und ich goss den Drehverschluss voll und leerte ihn über ihren rechten Arm. »Wir müssen dir das Hemd ausziehen.«
Ich öffnete die Knöpfe an den Schultern ihres Trägerkleids und klappte es bis zur Taille herunter. Ellen zog sich das Hemd über den Kopf, zuckte kurz, als sie den rechten Arm hob. Dann drückte sie das Handtuch an die Brust, krümmte sich etwas zusammen. Sie sah so klein aus in ihrem weißen Bustier, mit dem wir sie aufzogen, weil sie es noch gar nicht gebraucht hätte. Der Rollsplitt zog sich über ihren ganzen Unterarm, bis zum Ellbogen und dann weiter hoch bis zur Schulter. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass sie sich vielleicht den Kopf angeschlagen hatte und es nicht mehr wusste, oder dass sie innere Verletzungen haben könnte. Sie war so krankhaft bleich. Dann fing sie an zu erzählen.
»Nachdem ihr weggefahren wart, wollte ich erst nach Hause laufen, aber ich wusste, irgendwann stehe ich im Stockdustern, weil es ja schon dunkel war. Mir ist klar, wie blöd das war, aber ich wollte trampen.«
»Oh Scheiße, Ellen, nein!«
»Ich bin ein paar Meter gelaufen, dann habe ich mich einfach in Fahrtrichtung umgedreht und den Daumen rausgestreckt. Ich hatte Angst, aber ich dachte mir, Trampen ist besser als durch die Dunkelheit zu laufen. Ich hatte den Daumen noch keine halbe Minute draußen, da hielt ein Wagen an.«
Ich rutschte von ihr weg und richtete mich auf den Knien auf, um den Waschlappen in Mrs Bouchers Waschbecken auszuspülen. Mit dem Blut flossen schwarze Splittstückchen heraus.
»Es hat also ein Wagen gehalten. Und dann?«
»Er blieb direkt neben mir stehen. Schwarz, ziemlich tiefgelegt. Ich hab gar nicht geguckt, wer am Steuer sitzt. Hab einfach nur die Beifahrertür aufgemacht, bin eingestiegen und hab mir gedacht, was ich für ein Glück habe, so schnell eine Mitfahrgelegenheit zu finden.« Sie zupfte an ihren Haarspitzen herum. »Den Fahrer hab ich erst gesehen, als wir schon wieder fuhren. Ich hab mich zu ihm gedreht, um mich zu bedanken, da hab ich ihn gesehen. Und gewusst, dass ich einen Fehler gemacht hatte.« Ihr rechtes Bein fing an zu zittern. »Er sah total gruselig aus. Er hatte lange weißblonde Haare, so lang, dass er fast drauf saß.«
»O Gott!«
»Es waren Haare wie bei einer Barbie-Puppe, nur eben an einem Mann, und mehr so weißlich.«
»Wie alt war er?«
»Weiß ich nicht. Dreißig vielleicht? Oder älter? Er sah aus wie Gregg Allman, du weißt schon, von den Allman Brothers, nur in hässlich. Sogar seine Augenbrauen waren weiß.«
»Wie bei einem Albino?«
»Nein.« Ellen schüttelte