Irrlichter und Spöckenkieker. Helga Licher

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Irrlichter und Spöckenkieker - Helga Licher

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rief Ole, nachdem er seine Enkelin stolz dem Pfarrer präsentiert hatte. Alle Mitglieder der Knudtsen Familie hatten die gleichen dunklen Haare und feingliedrige, schmale Hände. Die braunen Augen gaben dem Mädchen ein besonders apartes Aussehen, und der wache Blick faszinierte jeden Besucher, der sich über die handgeschnitzte Eichenwiege beugte.

      »Die geschwungene Mundpartie hat sie eindeutig von ihrem Vater«, sagte Oles Tochter Rieke und schaute ihren Mann Laas liebevoll an. Laas Klassen trug einen rostbraunen Anzug und ein tadellos weißes Hemd. Der leichte Bauchansatz wurde kaschiert von einer dunkelbraunen Weste, die mit drei Knöpfen geschlossen wurde. Die Arbeit in der Spedition erforderte stets seriöse Kleidung. Auch äußerlich war erkennbar, dass Laas kein Bauer war.

      »Mein Enkelkind soll Stine heißen, wie meine Mutter«, verkündete der alte Knudtsen, nahm umständlich seine Brille ab und verstaute sie in der Brusttasche seiner Arbeitsjacke.

      Lächelnd strich Meta ihrem Enkelkind zart über die rosigen Wangen.

      »Ja Ole, Stine ist ein schöner Name«, sagte sie leise und schaute ihren Mann nachdenklich an. Tiefe Falten hatten sich in seine sonnengebräunte Haut gegraben, und an den Schläfen kräuselten sich die ersten grauen Haare. Alt ist er geworden, dachte Meta und seufzte.

      Die harte Arbeit auf dem Hof hatte ihre Spuren hinterlassen. Oft plagten den Bauern heftige Rückenschmerzen, die jede Bewegung zur Qual werden ließen.

      »Heute Abend gibt es Freibier für alle«, verkündete Ole laut, legte seinen Arm um die Bäuerin und drückte sie an sich.

      »Jeder in Oldsum soll auf das Wohl unserer Stine trinken.«

      Mit der freien Hand griff er nach seinem Glas und trank es in einem Zug leer. Beschämt trat Meta einen Schritt zur Seite, so dass der Arm des Bauern von ihrer Schulter rutschte. Wenn er doch nicht immer so viel trinken würde, dachte sie, wobei sie die Kömflasche unauffällig vom Tisch nahm, um sie in die Küche zu tragen.

      »Als unsere Tochter Rieke geboren wurde, hat niemand auf ihr Wohl getrunken«, die Bäuerin konnte nicht verhindern, dass sich ihre Augen mit Tränen füllten.

      Als Oles Frau Meta damals nach vier Fehlgeburten endlich einer gesunden Tochter das Leben schenkte, sah keiner dem Bauern seine Enttäuschung an, obwohl für ihn eine Welt zusammen brach.

      Wie sehr hatte er sich einen Stammhalter für den Knudtsenhof gewünscht. Nächtelang saß er im Wirtshaus und ertränke seinen Kummer im Schnaps.

      Meta, die heute zur Großmutter geworden war, fühlte damals, wie sehr der Bauer litt und zog sich immer mehr zurück. Wie gerne hätte sie dem Hof den ersehnten Erben geschenkt, doch das Schicksal wollte es anders. Oft sah man die Bäuerin mit dem Kinderwagen auf dem Friedhof von Süderende. Dort kauerte sie unter dem alten Holzkreuz, in ein Gebet vertieft.

      »Sie spricht mit dem Kreuz«, raunte der Pfarrer der St. Laurentii Kirchengemeinde beim Frühschoppen Ole zu und machte ein besorgtes Gesicht. Der Bauer schüttelte lachend den Kopf.

      »Komm Pfarrer, trink erst mal einen. Die Meta hat einen kleinen Spleen, das legt sich wieder, alles ganz harmlos…«

      Doch Ole ahnte, ganz so harmlos, wie er dem Pfarrer weismachen wollte, waren die Spaziergänge auf dem Friedhof nicht.

      »Sag Pfarrer, wann wollen wir unser Enkelkind taufen? Ein großes Fest soll es geben, mit Köm und Rum und Zwetschgenkuchen«

      Mit vor Stolz geschwellter Brust schaute Ole in die Runde.

      Es stand für ihn außer Frage – die Taufe seines ersten Enkelkindes musste gebührend gefeiert werden.

      Der alte Harms besah sich den schlummernden Säugling in der Wiege und runzelte missbilligend die Stirn.

      »Bei einer Taufe wird kein Alkohol getrunken, so will es der Brauch«, sagte er mürrisch.

      »Ach Pfarrer…«, knurrte Ole, während er mit seinem Taschentuch die Schweißtropfen von seiner Stirn wischte.

      In diesem Moment erklang aus der Wiege lautes Geschrei.

      »Jetzt hast du Stine aufgeweckt«, sagte Laas vorwurfsvoll zu Ole und beugte sich zu seiner Tochter hinunter. Behutsam legte er seinen Daumen in die winzige Hand und beobachtete, wie Stine nach dem Finger griff und ihn fest umklammerte. Sofort beruhigte sich der Säugling, öffnete die Augen und schaute seinen Vater an.

      Dem Knudtsen-Bauern wurde es warm ums Herz. Gerührt sah er zu, wie sein Enkelkind ganz leicht den Mund verzog und eine kleine Grimasse zog.

      »Sie hat gelächelt…« sagte Rieke, wobei ihre Augen vor Glück leuchteten. Zart strichen ihre Finger über die blütenweiße Bettwäsche. Ole hätte sich gerne seine Pfeife angezündet, traute sich in Anwesenheit des Säuglings aber nicht. Nachdenklich setzte er sich in den Ohrensessel, der neben dem Ofen stand. Bald wird es wieder lebendig auf dem Hof, dachte er. Dann fiel sein Blick auf Meta, die sich leise mit Rieke unterhielt.

      Trotz ihrer fünfzig Jahre war Meta noch immer eine schöne Frau. Aus den kleinen Lachfältchen, die ihr Mann so liebte, waren mittlerweile tiefere Falten geworden. Noch immer blinzelte sie mit den Augen, wenn sie aufgeregt war und biss sich leicht auf die Unterlippe, wenn jemand sie verunsichert hatte. Ihre graumelierten Haare trug sie meistens zu einem Knoten gesteckt. Nur abends, wenn sie ihr bodenlanges Nachtkleid anlegte, hingen die Haare offen bis auf die Schultern hinunter, wobei sie tatsächlich wieder jung aussah, wie in ihren Mädchentagen.

      Als junger Bursche war Ole bei den Mädchen auf der Insel sehr beliebt gewesen. So manche Deern im heiratsfähigen Alter warf ihm vielsagende Blicke zu, wenn abends auf der großen Diele getanzt wurde. Er aber hatte nur Augen für die junge Meta Ahrends, die vom Festland gekommen war, um auf Föhr als Lehrerin zu arbeiten. Meta hatte dunkelblonde Haare und lustige Sommersprossen auf der Nase, die Ole besonders gut gefielen. So dauerte es nicht lange, bis der Bauernsohn die hübsche Meta als seine Frau auf den Knudtsenhof holte.

      Die ersten Jahre ihrer Ehe verliefen glücklich und harmonisch. Ole liebte seine Frau maßlos und las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Zunächst zeigte Meta großes Interesse an der Landwirtschaft, doch immer häufiger ließ sie ihren Mann die Stallarbeit alleine erledigen. In dieser Zeit entstanden die ersten kleinen Gedichte, die sie liebevoll mit kleinen Zeichnungen versah.

      Sein Blick ruhte noch immer auf Metas Gesicht. Laas beugte sich zu ihr, sagte etwas und Meta lächelte. Ole hatte sie viel zu selten lächeln sehen …

      »Meta hat die Schwermut von ihrer Mutter geerbt«, hatte der Pfarrer einmal gesagt. »Auf dem Festland war die alte Frau Ahrends als Heilerin bekannt, sie hatte einen Pakt mit dem Teufel«, fuhr er flüsternd fort.

      Der Bauer reagierte damals sehr verärgert und wies den alten Harms scharf zurecht. Doch seine Gedanken wollten sich einfach nicht mehr beruhigen.

      Hatte der Pfarrer Recht?

       2

      Die kleine Stine entwickelte sich zu einem prachtvollen Kleinkind. Mit ihren dunklen Augen blickte sie neugierig in die Welt. Rieke band ihr oft kleine, rote Schleifchen ins Haar, die Stine gar nicht mochte. Mit einer unendlichen Hartnäckigkeit versuchte sie immer wieder sich von diesen Bändchen zu befreien.

      So oft es ging verbrachte Rieke Klassen die Nachmittage

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