100 Boyfriends. Brontez Purnell
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BOYFRIEND 99,5 (%) / DER TRÄUMER
Er sagte zu mir (als er MEGA betrunken war): «Ich wollte nie ein Stern am Himmel sein. Irgendwann sterben die sowieso, und ich bin zum Sterben viel zu belanglos. Ich bin Äther oder wie das Zeug heißt. Dieses negative Nichts, in dem die Sterne rumschweben. Da ist das Olberssche Paradoxon am Werk, wenn du so willst. Der Stoff, der schon vor den Sternen da war und auch lange danach noch da sein wird. Wir sind davon umgeben, können ihn aber nicht berühren. Es ist Treibsand, glaube ich. Ich kann das genauer erklären … Ist dir schon mal aufgefallen, dass dich alles im Leben verlässt? Männer verlassen dich, dein Aussehen verlässt dich (deshalb übe ich oft, scheiße auszusehen), dein Geld verlässt dich. Das ist schon okay. ABER. Wenn du etwas mit deinen Händen erschaffst, dann kannst du es (manchmal) für immer behalten. Nehmen wir mal an, du schreibst ein Buch. Und nehmen wir mal an, es ist so gut, dass es nicht nur dich und seine schärfsten Kritiker überlebt, sondern mehrere Generationen, die nicht mal von seiner Existenz wissen. Vielleicht gibt es auf meine Frage keine Antwort, und es läuft auf das Gefühl hinaus, das ich am Anfang beschrieben hab – dein unsterbliches Buch und die Wörter darin schweben bis in alle Ewigkeit auf der Seite, segeln für immer auf demselben Meer, tänzeln und hüpfen unaufhörlich darüber hinweg, als hätten sie nichts zu befürchten. Unberührbar, unerreichbar, und trotzdem überall – kannst du dir das vorstellen?» Er lächelte, aber ich war längst eingeschlafen.
BOYFRIEND ZERO / DER MODEREDAKTEUR
Die Stille war ohrenbetäubend, und das war nicht das einzige Klischee im Raum. Der Mann hatte seine Rummachmusik seit den Neunzigern nicht verändert – bis zum Abwinken Cibo-Matto-Tapes und der ganze andere Kram aus seiner ehemaligen Hipsterzeit, den er wie Duffel Bags mit sich rumschleppte. Die Zeit, die sie zusammen verbrachten, fühlte sich an wie zwischen Sonnenuntergängen; das letzte orangerote Glühen der letzten Minute des Tages hatte sich noch nicht mit dem neuen Violett der Nacht vermischt. Der Sex hatte sich im selben Stillstand verfangen. «Hab heute keine Lust», sagten sie wie aus einem Mund und mussten beide kichern. Weil es keinen anderen Grund gab, sich dem anderen zu widersetzen, und sie sich auch nichts beweisen mussten, gingen sie ins Bett und hielten einander selbst dann noch fest, wenn das Bett vom Aufeinanderpressen ihrer Haut schweißnass und ungemütlich geworden war, und keiner von ihnen machte sich die Mühe, die Bettwäsche zu wechseln, denn so schlimm war es dann doch nicht.
BOYFRIEND #77 / DER CHEFKOCH
Er lud mich in sein Restaurant ein. Er kochte für die Kings und Queens der Kunstszene, meistens teuren Vegan-Scheiß, inspiriert von Rockmusikern aus den Neunzigern. Oft erklärte er mir meine Gefühle. Oh my god, er war alles, was ich niemals haben würde, aber als ich ihn dann hatte, wollte ich ihn nicht mehr. Als hätte man einen Whiskey haben wollen und das Glas dann minutenlang verführerisch vor sich auf dem Tresen stehen lassen. Um den Whiskey selbst ging es nicht, eher darum, die Vorfreude zu steigern. Und schon bald kippte ich ihn gläserweise runter, als würde man mich dafür bezahlen.
BOYFRIEND 2.0 / DER FEUERWEHRMANN
Er sagte, er wolle mich anzünden wie eine Zigarette – er inhalierte mich gierig, genüsslich und absolut sorglos. Ich war nur einer von vielen in seiner Schachtel, vielleicht sogar in einer ganzen Stange; ein Morgen war für ihn offenbar wie der andere, ganz gleich, wer nachts bei ihm gewesen war. Ich glaube nicht, dass er sich viel aus den Jungs machte. Seine Kettenraucherei schien im Einklang mit (im Widerspruch zu?) allem anderen zu stehen. Er war Feuerwehrmann, noch dazu groß und stark. Die Muskeln stammten aus seiner frühen Teenagerzeit. Er zeigte mir Videoclips, wie er auf dem Skateboard durch eine südkalifornische Vorstadtsackgasse bretterte; der Grund für seinen kräftigen Körper und die ausdefinierten Muskeln und vermutlich auch für sein scheißausgeprägtes Selbstbewusstsein. Kennengelernt hatte ich ihn vor Jahren – als ich in einer Fabriketage nahe Downtown wohnte. Er lief mir wie ein Welpe bis in mein Zimmer hinterher, und dann passierte es: Sperma flog in alle Richtungen. Er war um einiges größer als ich, deshalb passte ich nach unseren epischen Sperma-Spritz-Battles perfekt in ihn rein. Irgendwann zog er weg, in ein Waldgebiet in Nordkalifornien. Nur seinetwegen verwandelte sich das ländliche Kalifornien nicht in einen Haufen Asche.
Er hatte in Mendocino gerade eine Reihe von Bränden gelöscht. Er zog sich nackt aus. Ich konnte sehen, wo der Löschrucksack seine Haut gereizt hatte. Immerhin war sie noch dran. «Sorry, dass ich dir bei meinem letzten Besuch in der Stadt meinen Schwanz vorenthalten hab», sagte er. (Richtig gepoppppppt hatten wir noch nie.) Doch jetzt wollten wir es wissen. Es fühlte sich – anders kann ich es leider nicht sagen – «schön» an, als hätten wir uns füreinander aufgespart. Er war der einzige, mir bekannte Mensch, der tatsächlich genderfluid war: Mann, Frau, alles dazwischen und dazu noch sämtliche Hautfarben. Der Junge steckte seinen Schwanz in jeden und jede rein, und ich bewunderte ihn, weil er so eine Megaschlampe war. Er zeigte mir Fotos von seiner kleinen Tochter, und wir lasen uns den ganzen Nachmittag gegenseitig etwas vor. Danach ging er und kam nie wieder.
BOYFRIEND #33 / DER FRISÖR
Ich brauchte Asymmetrie und wollte mir deshalb die Haare blondieren lassen, einmal quer über den Kopf. Das war es nämlich, was mir fehlte: dieser eine zündende Funke, damit die Leinwand endlich aufflackerte. Ich war Filmemacher und kurz davor, endlich den Dreh rauszukriegen und meine große Vision wahr werden zu lassen. Waren meiner Fantasie Grenzen gesetzt? Nein, entschied ich. Bei meinen Haaren – bisher unblondiert – fing ich an. Mein Frisör war sexy. Pummeliges Engelsgesicht mit pummeligem Engelsschwanz. Mir fiel auf, wie rau und rissig seine Hände waren von den vielen Chemikalien, Haarfarben und Extensions, mit denen er bis zwei Uhr morgens rumhantierte, weil er als einziger nach zweiundzwanzig Uhr noch Kundinnen ohne Termin in den Laden ließ. Manchmal nahm er sogar nach eins noch eine dran, was für einen Frisör für Schwarze Frauen eine gottverdammte Leistung war. Und er war schnell, brauchte fürs Einkleben von Extensions so was wie fünfundvierzig Minuten (ich hab’s selbst gesehen). Auf der Kinoleinwand in meinem Kopf schaute ich von meinem Regisseur-Thron zu (in Wahrheit saß ich natürlich auf dem Frisierstuhl), wie er lila Paste quer über meinen Kopf schmierte. Das Chemiezeug blieb so lange drauf, bis mir fast schwindelig wurde. «Je länger du’s drauflässt, umso blonder wird’s», sagte er. Ich wurde nicht weich – ich wurde blond, gottverdammt. Ich schwitzte es aus. Er tat eine Pflegespülung rein, und wir fickten hinten in seinem Laden. Er filmte es. Am nächsten Tag hatten meine Haare die Farbe und Textur von Zuckerwatte und fielen komplett aus.
BOYFRIEND #40 / DER GENTLEMAN
Sie waren das seltsamste Paar, mit dem ich jemals gefickt hatte. Richtig wohl fühlte ich mich bei ihnen nicht. Sie tranken Wein und stritten sich in einer Tour, und zwar so, dass klar war, wie sehr sie sich gegenseitig hassten. Ein Boyfriend war weiß und der aktive Part, er hatte einen Riesenschwanz, gottseidank, er war nämlich strunzdumm. Von Integralrechnung hatte er keinen Schimmer. Er hatte einen Mega-Landeiakzent und erzählte uns diese Geschichte, dass er mal von oben bis unten mit Fäkalien beschmiert im Knast aufgewacht und beinahe für längere Zeit ins Gefängnis gewandert war, aber zum Glück hatte seine Mutter ihm 12.000 Dollar geliehen und alles hatte sich geklärt. Sein Boyfriend war ein mexikanischer Künstler, der mich die ganze Zeit anglotzte, als wollte er mich abstechen, weil ich seinen scheißweißen Boyfriend vögelte. Der Aktive war bald richtig besoffen und musste ins Bett, und weil es schon spät war, blieb ich da und schlief auf der Couch. Mitten in der Nacht weckte mich der Mexikaner auf, weil er ficken wollte, ich konnte mich gar nicht schnell genug ausziehen. Er kam sofort und baute sich dann vor mir auf. Ich spürte das Innere meines Arschlochs, dieses nasse, klebrige Gefühl, als hätte er einen Beweis hinterlassen wollen, dass er dort gewesen war. Er faltete meine Sachen ordentlich zusammen und legte sie neben mich. Dann küsste er mich auf die Stirn und sehr leidenschaftlich auf den Mund und flüsterte: «Du musst jetzt gehen.»