Frank Thelen – Die Autobiografie. Frank Thelen

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Frank Thelen – Die Autobiografie - Frank Thelen

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lebte doch schon in meinem alten Kinderzimmer, ohne Job, ohne Verdienst! Das war eine Todesbotschaft. Der Brief kam aus einem großen Bankhaus mit Tausenden Sachbearbeitern, da denkt keiner darüber nach, ob dieser Brief das Leben eines Menschen zerstört oder ob ein persönliches Gespräch nicht vielleicht der bessere Weg wäre. Aber ich will mich nicht rausreden, die Schuld lag vor allem bei mir: Ich hatte das Damoklesschwert der persönlichen Bürgschaft einfach zu lange verdrängt. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass da irgendwann etwas kommt. Heute kann ich das auch nicht mehr begreifen, aber die menschliche Psyche ist ein raffiniertes Ding.

      Ich fuhr direkt nach Hause, ich musste meinen Eltern Rede und Antwort stehen. Die Realität hatte zugeschlagen – und zwar mitten auf die Zwölf. Jetzt war ich wieder voll da, mit einem Schlag war ich gelandet. Und das war keine harte Landung – das war ein katastrophaler Crash. Der Weg zur Wohnung, das Umdrehen der Schlüssel. Meine Mutter und mein Vater saßen an dem Esstisch, an dem wir fast zwei Jahrzehnte lang gemeinsam unzählige Gespräche geführt hatten. Viele gute, einige schwierige. Aber nie hatte ich Angst, noch nie hatte ich mich geschämt an diesem Tisch. Jetzt hatte ich sogar Panik. Mein Vater fing an: »Mein Junge, was hast du da gemacht? Wir können dir nicht mal helfen, die Zinsen zu begleichen! Wie konntest du das unterschreiben – ohne Rücksprache mit uns?« Meine Eltern hatten 25 Jahre in mich investiert. Sie waren immer für mich da gewesen, vom Fußballverein über die Schule bis zu den Klamotten, Skateboards und Urlauben. Sie hatten für mich gesorgt, alles für mich gezahlt. Ob ich schlechte Noten nach Hause brachte oder mein Fußball in der Scheibe des Nachbarn landete, sie standen immer bedingungslos hinter mir. Ich glaube, sie hätten auch jetzt alles für mich gezahlt, aber das war einfach zu viel. Das konnten sie nicht leisten. Und jetzt?

      Meine Freunde starteten gerade ihre Karrieren, verdienten jetzt ihr erstes eigenes Geld, luden auch mal ihre Eltern ein. Auf kleinem Niveau, aber solide, genau die Freunde, die ich vor kurzem noch ausgelacht hatte, weil sie einen ordentlichen Beruf erlernt hatten. Ein monatliches Festgehalt, von dem man damals gerade die Leasingraten meines BMWs hätte bezahlen können? Das war doch was für Spießer und Verlierer, so hatte ich bisher gedacht. Und jetzt hätte ich alles gegeben, um in genau ihrer Position zu sein: einen langsamen, soliden Start hinlegen mit viel Stabilität und Luft nach oben.

      Aber ich hatte alles verjuxt. Ich war überheblich und arrogant gewesen, hatte auf Menschen herabgeblickt und das Geld anderer Leute verschwendet. Alles, was ich nach Hause brachte, war ein so gigantischer Haufen an Schulden, dass die Familie nicht einmal die Zinsen bedienen konnte. Dieses eine Zehn-Minuten-Gespräch, diese eine Unterschrift, sie hatten mein Leben zerstört. Und nicht nur meines, sondern auch das meiner Eltern, samt ihrer Hoffnungen in mich und ihrem Stolz auf mich. Meine Mutter bekam einen Nervenzusammenbruch, ich selbst stand kurz davor. Ich schämte mich. Und jetzt? Ich bekam Panik: Kein Studium, ein Leben lang unfassbar hohe Schulden, wie sollte es weitergehen, wovon sollte ich leben, wie sollte ich je eine Freundin bekommen, was wäre im Alter? Ich sah das Leid und die Verzweiflung in den Augen meiner Mutter. Mein Vater war gefasster, aber tief enttäuscht.

      Plötzlich waren auch alle »Freunde« weg, die so gerne mit dem coolen Franky unterwegs gewesen waren. Keiner wollte sich mehr mit einem deprimierten Loser befassen, der plötzlich einen alten Ford Ka fuhr. Und der, noch schlimmer, keine Energie mehr hatte, müde, enttäuscht und fertig war. Früher begeisterte ich mit Ideen und Geschichten und füllte den Raum mit meiner Anwesenheit. Mein ganzes Ego hatte auf dem Konzept »Erfolg« beruht, darüber hatte ich mich definiert, daraus zog ich mein Selbstbewusstsein und meine Vitalität. Konsequenterweise war mit dem Scheitern des Konzepts »Erfolg« auch mein Selbstbewusstsein implodiert und das energiereiche Leuchten in meinen Augen erloschen. Ich war ein Nichts, ein Niemand, ein 360-Grad-Versager. Mein Körper konnte nicht mehr und begann, sich zu wehren: Ich bekam mehrfach täglich stoßweises Nasenbluten. Hautausschläge breiteten sich auf meinem Körper aus, und ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Ich schloss mich in meinem alten Kinderzimmer ein und ließ die Jalousien runter. Ich war am Ende.

      Der Deal mit der Bank

      Die Lösung: Private Insolvenz?

      Nachdem ich sechs Wochen lang so im Dunkeln gelegen hatte, spürte ich zaghaft und langsam wieder Leben in mir. Ich schämte mich, und ich war wütend: auf die Bank, auf die Welt, vor allen Dingen aber auf mich selbst. Aber es hilft nichts, sich depressiv im Kopfkissen zu vergraben. Es hilft nichts, mit den Fäusten auf den Schreibtisch zu trommeln. Es hilft nichts, mit leeren Augen an die Decke zu starren. Was war bloß aus mir geworden? So konnte es nicht bleiben – so wollte ich nicht sein.

      Für eines bin ich unendlich dankbar: In diesen schwierigen Wochen und Monaten haben mir meine Eltern niemals das Gefühl gegeben, versagt zu haben. Ich bin nie besonders religiös gewesen – aber das biblische Gleichnis vom verlorenen Sohn passt hier durchaus. Der hatte ebenfalls sein Vermögen verprasst, kam als Schweinehirte zu seinem Vater zurück und wurde dennoch aufgenommen. Auch ich war immer noch der Sohn meiner Eltern, ich war immer noch Teil dieser Familie. Sie hatten diesmal keine Lösung für mich, aber gemeinsam würden wir es irgendwie schaffen. Es hatte einfach nur noch keiner einen Plan. Ich glaube, mein Vater hoffte als bekennender Rheinländer auf den Artikel 3 des »Kölschen Grundgesetzes«: »Et hätt noch emmer joot jejange« (»Es ist noch immer gut gegangen«). Dieses – durch keinerlei Fakten gestützte – Gefühl hat mir geholfen. Ich bilde mir ein, deswegen neben dem Unternehmergen auch das »Stehaufmännchen«-Gen zu haben.

      Natürlich fühlte es sich immer noch grausam an, aber als ersten Schritt ließ ich wieder etwas Licht in mein Zimmer. Irgendwann war ich wieder in der Lage, aufzustehen, zu frühstücken und mich sogar mit einem befreundeten Anwalt zu treffen. Er berichtete mir von anderen Personen, die aus ähnlichen Situationen wieder ins Leben zurückgefunden hatten. Ich sprach mit weiteren Anwälten, anderen Unternehmern und auch mit Severin über mögliche Wege, wieder auf die Beine zu kommen. Da ich mit der Bank nur einen einzigen Gläubiger hatte und wir dem Staat keine Sozialabgaben für unsere Mitarbeiter schuldeten, kristallisierte sich eine Lösung heraus, von der ich bis dahin noch nicht gehört hatte: die private Insolvenz. Private Insolvenz, das hieß damals: Man lebt sieben Jahre am Existenzminimum, keinerlei Kreditwürdigkeit, kein Autoleasing, selbst für einen Handyvertrag würden meine Eltern haften müssen. Bei guter Führung könnten es sechs Jahre werden, wobei eine einzige Geschwindigkeitsüberschreitung oder Schwarzfahren alles wieder zunichtemachen könnte. Wenn ich diese sieben Jahre überstehen würde, wäre ich mit Anfang dreißig wieder frei. Vor allen Dingen wieder schuldenfrei. Um diese Möglichkeit auszuloten, musste ich erneut zum Amtsgericht, diesmal allerdings nicht in das Zimmer für Firmen, sondern in das Zimmer daneben – für Privatpersonen. Zunächst aber ließ ich mich nur beraten. Ich war ja noch sehr jung und wollte die Jahre nutzen, um zu studieren, eventuell sogar zu promovieren. Zeit war ja genug. Vielleicht könnte ich dann doch noch eine späte Karriere in einem großen Konzern machen, mir ein kleines Reihenhäuschen leisten und mit etwas Glück sogar noch eine Frau finden. Der Plan stand. Es war nicht das, was ich mir vor wenigen Monaten noch erträumt hatte, aber ich fasste langsam wieder Mut. Vielleicht könnte ich meinen Eltern doch noch zeigen: Euer Sohn ist kein Versager.

      Und dann eröffnete mir dieser Plan eine weitere Option. Ein anderer Anwalt hatte mir berichtet, dass man mit der Bank alternativ zur privaten Insolvenz einen »Vergleich« schließen könne: Sie verzichten auf den größten Teil ihrer Forderungen, da sie im Fall der Privatinsolvenz gar nichts bekommen würden, der Rest wird nach und nach abbezahlt. So wären meine Schulden überschaubar, und ich könnte die Insolvenz sogar vermeiden. Natürlich nur, wenn sich die Bank darauf einließe. Das hörte sich verrückt an. Aber es war einen Versuch wert. Ich wollte alles versuchen, bevor ich sieben Lebensjahre abschrieb. Ich ging also zur Bank und spielte hohes Risiko: »Wenn ihr das gesamte Geld und die Zinsen von mir haben wollt, bekommt ihr gar nichts, weil ich dann Privatinsolvenz anmelden werde und studieren gehe. Nach sechs oder sieben Jahren bin ich wieder schuldenfrei, habe ein abgeschlossenes Studium und ihr null Komma null Euro.« Das Problem war, dass die Zeit gegen mich lief. Jeden Tag, an dem ich nicht zum Amtsgericht ging, starteten die sieben Jahre

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