Frank Thelen – Die Autobiografie. Frank Thelen

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viele ernste Gespräche führen müssen. Ich glaube, es wird nicht mehr viele IPOs geben, und für mich werden die nächsten Monate auch nicht einfach.« Das war das erste Mal, dass ich in diesen Monaten überhaupt kritische Worte über die wirtschaftliche Situation hörte. Die ganze Tragweite seiner Worte habe ich damals überhaupt nicht begriffen. Es war kein schönes Gespräch, weil am Horizont irgendein Unwetter aufzuziehen schien, ich aber nicht so recht wusste, was das zu bedeuten hatte. Ich wischte den dunklen Gedanken zur Seite: Unser IPO-Plan stand, und wir hatten ja auch ein super Produkt.

      Doch im September 2000 meldete mit Gigabell das erste Unternehmen am Neuen Markt Insolvenz an. Drei Monate nach Unterzeichnung der Bürgschaft war auch unsere Kreditlinie ausgeschöpft. Aber wir waren noch lange nicht am Ende, dachten wir: Wir verhandelten noch mit drei Investmentgesellschaften – damals hießen die ja noch nicht VC – über die Finanzierung unseres IPO. Wir benötigten nur noch etwas Überbrückungsgeld, um dann das große Geld an der Börse einzusammeln. Zwischenzeitlich gab es sogar noch ein Übernahmeangebot von möglichen strategischen Partnern, von denen ich für meine Anteile einen deutlich siebenstelligen Betrag erhalten hätte. Doch einer unserer beratenden Banker meinte, beim Börsengang würden wir ein Vielfaches einnehmen. Wir lehnten also ab. Wir folgten der Gier. Innerhalb weniger Wochen drehte sich der Wind endgültig um 180 Grad. Alle drei Investmentgesellschaften sagten die Finanzierung in derselben Woche ab. Linker Haken, rechter Haken, schwere Gerade mitten ins Gesicht. Aber es hätte uns auch nicht mehr geholfen, es gab plötzlich keine neuen Börsengänge mehr. Wir taumelten bereits und hatten es nicht einmal gemerkt. Der Neue Markt kollabierte, alle gerieten in Panik. Statt um noch größere Büros, mehr Entwickler und US-Expansion ging es innerhalb kürzester Zeit plötzlich nur noch ums nackte Überleben. Die Kreditlinie war ja bereits maximal ausgeschöpft, an eine Erweiterung war nicht zu denken. Nicht mal eine weitere persönliche Bürgschaft hätte geholfen, Severin und ich waren dafür nicht mehr kreditwürdig genug.

      Heutzutage bin ich froh, dass wir damals noch kein Haus oder sonstige Besitztümer hatten. Ich kenne drei Weggefährten, die zu dieser Zeit in der gleichen Situation waren. Die haben ihre Häuser als Sicherheit für einen Überlebenskredit zur Verfügung gestellt und haben dann in sehr kurzer Zeit sowohl ihre Firma als auch ihr Eigenheim verloren. Wie gesagt, Severin und ich hatten aber nicht einmal die Option, uns privat weiter zu verschulden, was wir sogar zweifellos getan hätten. Die ersten Gläubiger wurden ungeduldig. Ich kann mich noch daran erinnern, wie der erste persönlich bei uns vorbeikam und Severin ein unangenehmes Gespräch führen musste. Ein anderer trug höchstpersönlich unsere – oder besser: seine – Computer wütend aus unserem Hosting-Raum. Jetzt merkten natürlich auch die Mitarbeiter, was im Markt im Allgemeinen und bei uns im Besonderen los war. Bisher hatten Severin und ich uns optimistisch geäußert, das war ja auch ein Teil unserer Aufgabe. Aber mit verzögerten Gehaltszahlungen, absolutem Investitionsstopp und zunehmenden Besuchen von Gläubigern und Gerichtsvollziehern konnten wir die aufziehende Katastrophe nicht weiter von unserem Team fernhalten.

      Der Tag der Insolvenz

      Severin und ich blickten uns eines Tages in die Augen und wussten: Es ist vorbei. Als Erstes würden wir das Team informieren müssen. Wir wussten, dass viele Fragen, Emotionen und Enttäuschungen auf uns warteten. Und zum ersten Mal hatten wir keine Antworten, zumindest keine, die Hoffnung machten. Da war nichts mehr schönzureden.

      »Es tut uns sehr leid«, konnten wir nur vor versammelter Mannschaft sagen, »aber heute ist der letzte Tag der twisd AG, ab morgen wird ein Insolvenzverwalter die Geschäfte führen.« Nie im Leben werde ich die Sekunde vergessen, in der diese Botschaft allen ins Bewusstsein sickerte. Die Stille, die Blicke. Verständliches Entsetzen, einige waren einfach traurig, andere haben uns persönlich angegriffen. Manche verließen wortlos den Raum. Das war wirklich ein Horrortag, sehr belastend. Auch ich hatte Panik, durfte es aber nicht zeigen. Und das war erst der erste Teil des Tages. Severin und ich machten eine kurze Pause bei unserem Dönermann um die Ecke. Dass wir Champions hier mal so sitzen würden, so klein, so verzweifelt, so alleine: Das war noch vor wenigen Wochen, wenn nicht vor wenigen Tagen undenkbar gewesen. Aber nach kurzer Stärkung machten wir uns auf den Weg in die Innenstadt zum Amtsgericht, um die Insolvenz unserer über alles geliebten twisd AG anzumelden.

      Es gibt eine Sache, auf die ich bis heute stolz bin: Wir haben immer die Gehälter unserer Mitarbeiter bezahlt, mit zwei Ausnahmen: die von Severin und mir. Diese Kapitänsehre unterscheidet für mich den echten Unternehmer vom Manager. Der Kapitän verlässt das sinkende Schiff zuletzt. Ich glaube, diese Tatsache und noch einige andere Punkte führten auch dazu, dass der Insolvenzverwalter uns nicht direkt alle Rechte entzog, sondern uns vertraute und eine sogenannte »Insolvenz in Eigenregie« ermöglichte. Das hieß: Wir behielten die Schlüssel – und am nächsten Morgen saßen Severin und ich wieder im Büro. Wie jeden Tag.

      Heute allerdings war es gespenstisch leer. Bis gestern herrschte hier eine lebhafte Atmosphäre der Kreativität und des Aufbruchs. Überall junge Menschen, die an der Zukunft arbeiteten und dachten: Die Welt von morgen gehört uns. Und jetzt: nichts. Die Hochglanz-Kaffeemaschine von Jura stand noch da, und Severin machte uns einen Kaffee mit den exklusiven Bohnen – ein Vorrat, der für uns zwei noch sehr lange halten würde. Mein voll ausgestatteter BMW ging zurück an den Händler, die Leasingraten konnte ich ja auch nicht mehr bezahlen. Ich kaufte mir von meinem persönlich Ersparten einen Ford Ka ohne jedes Extra: 50 PS.

      Ich bin sehr dankbar, dass Severin und ich uns auch in dieser unfassbar schweren Zeit nie gestritten haben. Wir haben das zusammen sauber durchgezogen und bis heute freundschaftlichen Kontakt. Er war übrigens danach einige Jahre als Berater im Bereich Internetmarketing aktiv und ist inzwischen in der Energiebranche gelandet. So ganz kann er vom Internet aber doch nicht lassen und ist in seiner Freizeit als Blogger aktiv.

      Rückblickend frage ich mich noch manchmal, ob das unschöne Ende der twisd AG vermeidbar gewesen wäre. Sicher beantworten kann ich es nicht, sehe aber, dass wir doch einige entscheidende Fehler gemacht haben. Dass wir so manche Zeichen der Zeit nicht erkannt hatten, habe ich ja schon geschildert. Wesentlich für das Scheitern war aber auch, dass wir uns nicht zu 100 Prozent auf unser Produkt, den kleinen Internetserver, konzentriert haben. Für den hatten wir ja schließlich das Investment erhalten. Nein, wir tanzten noch auf anderen Hochzeiten. Das Projektgeschäft hatten wir weiter betrieben, also das Erstellen der Multimedia-CDs und der Internet-Seiten, denn hierin hatten die Ursprünge unseres gemeinsamen Unternehmens gelegen, und die wollten wir nicht aufgeben. Natürlich brachte dies zwar gute Umsätze, band aber auch viele unserer Ressourcen, die wir besser in die Entwicklung unseres Produkts hätten investieren sollen. Als im Zuge der Krise des Neuen Markts wichtige Kunden von uns in die Insolvenz gingen, sorgte dieser Geschäftszweig sogar für hohe Forderungsausfälle. Geld, das uns dann umso mehr bei der Produktentwicklung fehlte. Hätte ich heute den jungen Frank bei Die Höhle der Löwen vor mir und er würde mir seine twisd AG vorstellen, würde ich ihm einen ganz klaren Rat geben: Konzentriere dich auf eine Sache. Und zwar auf das Produkt, das du effektiv skalieren kannst. Doch hinterher ist man immer klüger.

      Die letzte Firewall wird durchbrochen

      Ach ja, ich hatte damals noch etwas Wichtiges vergessen, leider. Die Abwicklung der Firma, das Entlassen der Mitarbeiter, die Überlegungen, was als Nächstes kommen würde – das alles hatte mich völlig in Beschlag genommen. Mittlerweile wohnte ich wieder bei meinen Eltern, und ich hatte noch keinen Plan, wie es weitergehen sollte. Aber da gab es noch ein winzig kleines Detail – die »klitzekleine Formalität«. Die Bürgschaft, die ich in dem unbedachten Moment unterschrieben hatte.

      An jenem grausamen Morgen war ich unterwegs zu einem Kumpel, der mir eine neue Softwaretechnologie zeigen wollte. Ich war gerade bei ihm angekommen, als mein Telefon klingelte. Meine Mutter war dran, fassungslos, schockiert, verzweifelt. Sie hatte einen Brief der Bank an mich geöffnet, in dem mir recht formlos mitgeteilt wurde, dass ich unverzüglich eine Million Euro zurückzuzahlen habe – oder zumindest schon einmal die acht

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